Seehofer: "Hoeneß könnte es bis ganz oben schaffen"
Der Ministerpräsident über Sport und Politik, über Beckenbauer und Sepp Maier – und über sein persönliches Handspiel.
AZ: Herr Seehofer, am Samstag steht das Spiel der Spiele an. Der FC Bayern im Finale dahoam gegen den FC Chelsea. Wie viele Karten haben Sie denn als Bayerischer Ministerpräsident und wie viele Minister, Staatssekretäre können Sie glücklich machen?
HORST SEEHOFER: Zum Finale gehe ich auf Einladung der UEFA nur mit meiner Frau. Ich möchte nicht, dass jemand sagt: Aha, mir hat er eine Karte verweigert, aber jetzt hat er seine ganze Familie oder die halbe Staatskanzlei dabei. Die Kartenanfragen, die bei uns eingegangen sind – ach, das war einiges. Wir sind schon mal mit dem gesamten Kabinett zum FC Bayern ins Stadion gegangen. Das war das Pokalspiel gegen Ingolstadt letztes Jahr im September – aber da war ja ausreichend Platz in der Arena.
Beim Pokalfinale in Berlin waren Sie mit Ihrer Frau Karin und hatten einen Fanschal um den Hals. Wie schauen Sie am liebsten Fußball?
Lieber im kleineren Kreis zu Hause. Für mich gibt es in größerer Runde zu viele „Trainer“, die dann immer um einen herumsitzen und alles besser wissen. Bei solchen Spielen wie dem Halbfinale der Bayern in Madrid mit dem Elfmeterschießen, da bekomme ich dann schon feuchte Hände, wenn es so eng wird. Und dann springe ich schon auch mal vor Freude auf. Das war ja ein Jahrhundertereignis.
Sie sind – ob im Stadion oder dahoam - eher der Typ stiller Genießer oder werden Sie auch mal laut?
Ich genieße das einfach, muss mich dann nicht ständig mit meinen Nachbarn austauschen. Geliebt habe ich übrigens das besondere Flair des Olympiastadions.
Wie meinen Sie das?
Als ich in jungen Jahren schon politisch aktiv war, habe ich mir ein bis zweimal im Jahr die Zeit genommen und bin allein in den Olympiapark. Schon am Samstagfrüh bin ich mit dem Zug von Ingolstadt nach München gefahren, habe mir eine gute Zeitung gekauft und mich in die Wiese gelegt. Der weiß-blaue Himmel, dazu die Menschen, die von den Parkplätzen Richtung Stadion strömen - das war ein Lebensgenuss. Ich war da ganz alleine. Das habe ich richtig genossen.
Heutzutage könnten Sie als Ministerpräsident so etwas nicht mehr machen.
Das geht nicht mehr, nein. Alles hat seine zwei Seiten. Dafür ist in den Stadien heutzutage immer alles top organisiert, wer wo sitzt, etc. Da gibt es ja exakte Pläne. Da fällt mir eine nette Geschichte ein: Ich war mal in Mittelfranken, in Ansbach. Da kam eine Frau auf mich zu und sagte: „Sie sind doch bei dem Spiel.“ Ich antwortete: „Ja.“ Sie sagte: „Können Sie mir Ihre Karte geben? Sie kommen doch auch so rein.“
Sie sind in Ingolstadt geboren. Als Kind waren Sie Torhüter.
Richtig, ich habe mich in der Schulmannschaft, in der Betriebsmannschaft und in der Nachbarschaft ins Tor gestellt. Ich hatte jedoch das Gefühl, im Handball kannst du mehr bringen.
Aber jedes Kind, jeder Jugendliche kickt doch? Warum sind Sie denn zum Handball gewechselt?
Ich habe neben dem Handball auch weiter gekickt, auf dem Bolzplatz. Jeden Tag. Und am Samstagnachmittag mit allen aus dem Viertel. Aber mit 1,93 Körpergröße war ich fürs Handball einfach gut geeignet. Im Verein habe ich dann beim ESV Ingolstadt und beim MTV Ingolstadt Handball gespielt. Immerhin hoch bis zur Bayernliga, wir haben ein bis drei Mal pro Woche trainiert. Wir haben auch große Mannschaften geschlagen wie den MTSV Schwabing. Das war damals eine sehr gefürchtete Mannschaft, aber wir haben's gepackt. Ich habe noch die Endphase des Großfeldhandballs erlebt, danach haben wir auf dem Kleinfeld gespielt, so wie es heute im Handball generell gespielt wird.
Und im Fußball? Wie haben Sie als Kind die Bayern erlebt?
Mein erster Verein war der ESV, der Eisenbahner-Sportverein. Das waren die Schwarz-Weißen, der Arbeiterverein. Draußen am Bahnhof war das Stadion, da kamen sogar die Bayern, die damals noch nicht in der Bundesliga gespielt haben. Franz Beckenbauer hat mir mal erzählt, dass er sich an eine Geschichte erinnert: Damals, Anfang der 60er Jahre, hätten sie sich geschworen: auf diesem Feld, auf diesem Platz spielen wir nie mehr - einfach indem wir aufsteigen.
Hat ja geklappt, 1965.
Damals war Borussia Dortmund für viele Jugendliche die große Nummer, auch in Bayern. Nürnberg mit Max Morlock wurde 1961 Meister, die hatten auch in Ingolstadt sehr viele Anhänger. Wenn 1860 gegen den Club gespielt hat, waren das richtige Auseinandersetzungen. Das wurde im Fernsehen live übertragen. Auch das Spiel der Löwen gegen West Ham 1965. Und dann kam der unaufhaltsame Aufstieg von Beckenbauer, Müller, Hoeneß. Wussten Sie, dass Beckenbauers erste Frau aus Ingolstadt war? Wenn man wusste, dass das Auto vom Beckenbauer in der Stadt war, dann ist man da hingepilgert und hat gewartet, bis er einsteigt. Auch damals gab es schon Fans…
Ihre Frau Karin ist Fan des TSV 1860.
Sie verheimlicht das nicht, ist geprägt durch ihr Elternhaus und ihre Brüder. Aber sie fühlt sich im Kreise der Bayern auch sehr wohl. Richtiger Bayern-Anhänger wurde ich durch die WM 1974, da waren die Bayern-Stars das Maß aller Dinge. Der Sepp Maier mit seinen Paraden, der Gerd Müller mit seinen Toren im Sitzen. Was man in jungen Jahren erlebt, das prägt sich nachhaltig in die Gefühlswelt ein.
Für welchen Spieler haben Sie besonders geschwärmt?
Nachdem ich mich in der Freizeit immer selbst ins Tor gestellt habe - ich habe nie gewartet, bis der Lehrer was gesagt hat - hatte ich immer ein Auge auf den Sepp Maier. Er war mein sportliches Idol. Er war der Inbegriff eines lockeren Profisportlers, der immer einen Spaß auf Lager hatte. Vor Franz Beckenbauer hatte ich immer den größten Respekt. Als er dann zum HSV gewechselt ist, war das für mich, wie für viele andere Fans, ein herber Schlag. Es war für mich unvorstellbar, dass ein Bayern-Spieler nach Hamburg wechselt. Dann Uli Hoeneß als Flügelflitzer: Das war ja ein Schock, als er mit nur 27 Jahren aufhören musste. Dann Katsche Schwarzenbeck, ein kerniger Bursche. Wie der da hinten aufgeräumt hat und alles weggeputzt hat - mit einer Seelenruhe, mit einem schnurgeraden Pass hat er immer Franz Beckenbauer gesucht.
Wie beurteilen Sie, was Uli Hoeneß für den FC Bayern geleistet hat?
Der FC Bayern ist eine Weltmarke, ein Aushängeschild Bayerns mit weltweiter Bedeutung. Das merke ich immer wieder: Ob ich in Sao Paulo, Kapstadt oder Peking bin. Also: Die „Marke FC Bayern" ist mit Uli Hoeneß untrennbar verbunden. Er ist ein begnadeter Fußballmanager und Kaufmann. Zweitens ist der FC Bayern eine große Familie, so habe ich das zuletzt vor zwei Jahren auf einer Meisterfeier erlebt. Vom Zeugwart bis zum Busfahrer bis zu den Stars haben da alle miteinander gefeiert. Der FC Bayern ist - auch dank Hoeneß - die beste Marke und die stärkste Familie. Diese einzigartige Mischung ist nicht zu steigern. Mir imponiert, wie Hoeneß immer auf der Seite der kleinen Leute ist. Er spricht die Sprache der Menschen, ohne ihnen nach dem Munde zu reden.
Kein Spruch, sondern eine persönliche Beobachtung von Ihnen?
Ich erzähle Ihnen ein Beispiel: Am Vorabend vor dem Champions League-Finale in Madrid hatten wir ein Essen mit Beckenbauer, Rummenigge, Hoeneß, meiner Frau und mir. Ohne Reporter, ohne Kameras. Am Ende nestelte Hoeneß in seiner Tasche und gibt dem Mädchen, das uns den ganzen Abend bedient hat, ein großzügiges Trinkgeld. Keiner von uns anderen hat daran gedacht. Ihm persönlich war das ein Anliegen. Oder wie er sich um Spieler kümmert, die in Schwierigkeiten stecken. Er sagt auch immer: Wir leisten einen Dienst am Fan. Das gefällt mir unheimlich gut. Das sollten sich Politiker auch zu Herzen nehmen. Aus all diesen Punkten speist sich die Beliebtheit von Uli Hoeneß und meine große Achtung vor dieser Persönlichkeit.
Hoeneß ist CSU-nah, aber politisch unabhängig. Viele sähen ihn in einer gehobeneren Position in der Politik.
Er könnte es. In jeder Funktion. Bis nach ganz oben.
Auch als Bundespräsident?
Da gab es ja schon einzelne Stimmen (lacht). Er könnte es. Aber dann würde seine Strahlkraft leiden. Er ist total authentisch wie er ist. Er kann der Kanzlerin, dem Bayerischen Ministerpräsidenten und allen anderen sehr offen die Meinung sagen. Das geht so nur, weil er nicht in der politischen Mühle drin ist. Seine größte Waffe ist die Authentizität und die speist sich aus dem was und wie er ist.
Haben Sie ihn mal gefragt, ob er in der CSU ein Amt übernehmen würde?
Nein, auch wenn wir häufig reden, zuletzt bei einem langen, sehr sehr schönen Abendessen bei ihm zu Hause. Interessant ist ja: Bei Bayern kommt nie was raus. Ob von Rummenigge, Hopfner oder den anderen. Nichts. Null. So einen Ethos habe ich nirgendwo, nicht in der Wirtschaft, nicht in der Politik angetroffen. Das ist ein tolles System, die kann man nur in den höchsten Tönen loben. Das ist Extraklasse, was da läuft. Früher auf dem Spielfeld, heute im Management.
Wo wir beim Thema Sport und Politik sind – wie verhalten Sie sich in der Streitfrage um einen eventuellen Boykott der EM wegen der inhaftierten Oppositionellen Julia Timoschenko?
Ich wäre ohnehin nicht in die Ukraine gereist, das hatte ich nicht vor. Meine Position ist seit jeher: Sport und Politik sollten nicht miteinander vermengt werden. Man muss Frau Timoschenko medizinisch helfen, und da ist die Bundesregierung ja dran. Sport ist die herrlichste Nebensache der Welt nach den existenziellen Grundbedürfnissen der Menschen. Und da sollten wir uns um Gottes Willen hüten vor einer Politisierung des Sports. Man sollte den Sport nicht einsetzen als Institution, um etwa einen Boykott herbeizuführen. Die Spieler sollen eine Meinung haben und sie äußern dürfen. Ich finde es gut, wenn sich ein Sportler fundiert zu gesellschaftspolitischen Themen äußert - so wie Paul Breitner früher schon. Auch wenn wir natürlich nicht immer einer Meinung waren.
Blicken wir noch einmal aufs Champions-League-Finale: Was bleibt wirtschaftlich hängen für den Freistaat?
Zahlen kenne ich nicht, aber darum geht es auch nicht. Wir Bayern gelten ja sowieso schon als etwas Außergewöhnliches, Unvergleichliches. Das ist bayerisches Selbstbewusstsein ohne Arroganz. Die Leute subsumieren im FC Bayern alle Stärken des Freistaats.
Das Oktoberfest und der FC Bayern – bessere Werbeträger gibt es nicht, oder?
Nein. Uli Hoeneß hat zurecht gesagt: Wenn's dem FC Bayern gut geht, geht's dem Freistaat gut. Mia san mia. Wir stehen immer wieder auf, wir bleiben nie am Boden liegen. Bayern profitiert von dieser Weltmarke ganz gewaltig. Das öffnet Türen. Wenn ich nach Moskau fahre, spricht auch Putin mit mir aus Interesse an Bayern. Ich kann hinkommen auf der Welt, wohin ich will - die Bayern sind schon da.
Neulich waren Sie mit Paul Breitner in Sao Paulo.
Stellen Sie sich vor: Als wir dort waren, spielte Bayern in der Bundesliga bei Borussia Dortmund, Ortszeit 15 Uhr. Und was war? Das politische Programm stand still. Aus. Ende. Das ganze Hotel saß vor dem Bildschirm, alle wie gebannt. Diese Strahlkraft! Ja, da lacht das Herz eines Ministerpräsidenten.
Mal anders gefragt: Welche Funktion in einem Fußballverein hätten Sie?
Ich wäre der Trainer.
Warum? Weil Sie auswechseln, die Richtung vorgeben können?
Weil es ums Motivieren geht, darum, Leistung einzufordern. Posten besetzen, Enttäuschungen moderieren. Ich lobe nicht immer, aber therapeutisch muss ich jeden Tag tätig sein, möglichst einfühlsam. Die Parallele ist: Ohne Erfolg ist man nicht lange da. Wenn man Wahlen nicht gewinnt, ist es so, als verliert man eine Serie von Spielen.
In den letzten Jahren hat es einen häufigen Wechsel gegeben - wer wurde öfter gewechselt? Der Bayern-Trainer oder der Bayerische Ministerpräsident?
Ich bin jetzt dreieinhalb Jahre da, mein Vorgänger ein Jahr. Ich habe das Rotationsprinzip gestoppt. Aber es stimmt: Es gab in dieser Zeit mehr Bayern-Trainer.
Der Vertrag von Jupp Heynckes läuft im Juni 2013 aus. In Bayern stehen 2013 Landtagswahlen an - wer bleibt länger im Amt? Heynckes oder Seehofer?
Ich glaube und hoffe, dass die Bayern ihre Chance am 19. Mai nutzen und man weiß, dass nach dem maximalen Erfolg eine besonders schwierige Saison folgt. Trotzdem: Jupp Heynckes packt das. Er ist ein toller Typ. Für mich steht 2013 eine noch nie da gewesene Herausforderung an: Alle gegen einen, alle gegen Seehofer. Ich habe im Herzen große Zuversicht, was den Wahlerfolg betrifft. Aber im Gegensatz zu einem Trainer bedeutet beim Ministerpräsidenten ein Wahlerfolg das Ja der Wähler zu einer ganzen Legislaturperiode im Amt.