Sané-Sonderfall bei der EM: Warum hat Julian Nagelsmann den FC-Bayern-Star überhaupt nominiert?
Frankfurt - Inmitten der Frankfurter Altstadt, zwischen Kaiserdom und Römerberg, liegt die Kunsthalle Schirn, im Volksmund auch "Die Schirn" genannt. Hier, in einem der bekanntesten Ausstellungshäuser Europas, wurde das Konterfei eines Fußballers als Portrait gezeigt, dem das Attribut Künstler auf dem Platz zugeordnet wird: Leroy Sané. Diese Aktion war ein Teil der PR-Serie, mit dem der DFB im Mai die für die EM nominierten Spieler Schritt für Schritt enthüllte. Großes Kino. Großer Spieler?
Nun ja, ein Künstler ist unberechenbar, oft launenhaft. Man weiß um sein Talent, sein Können. Um dies zu zeigen, muss er mit dem richtigen Fuß aufgestanden sein. Im Fall von Sané könnte man sagen: Sein Können ist bekannt, doch die aktuelle Ausstellung bei der Heim-EM weißt noch relativ wenige Exponate auf. Ein Raum der LS-Ausstellungsfläche ist noch in Arbeit - für das Projekt "König Sané" bei dieser EM, schließlich leitet sich der Vorname aus dem Französischen von "Le Roi", der König, ab. Die Kunstwelt wartet gespannt, die Fußballwelt lästert bereits. Denn bisher bietet der 28-Jährige nur brotlose Kunst.
Nagelsmann nominierte Sané trotz Schambein-Problemen
Drei Kurzeinsätze in drei Spielen. 73 Minuten Spielzeit, kein Tor, keine Vorlage, kein Moment, der in Erinnerung geblieben ist. Ist Sané überhaupt dabei? War er schon auf dem Platz? So fragen User im Internet. Für sein Spiel, das von Tempo-Dribblings, Pässen in die Tiefe oder knackigen Abschlüssen nach Sprints lebt, braucht er Vertrauen und Energie. Die Energie eines Spiels, der Mannschaft und der Fans. Dazu das Vertrauen des Bundestrainers sowie das Urvertrauen in sich und seinen Körper.
Julian Nagelsmann setzt auf den Bayern-Profi, nominierte ihn trotz Schambein-Problemen, die Sané seit dem Frühjahr plagten und kaum regelmäßige Trainingseinheiten zuließen. "Er hatte eine lange Verletzung", sagte Nagelsmann und erklärte: "Die Ausfallzeit war nicht so extrem lang, aber er hatte über einen ganz langen Zeitraum immer wieder damit zu kämpfen, war nie ganz frei in den Spielen."
In der Hinrunde war Sané bester FC-Bayern-Spieler
Eben. Sané und sein Spiel wirken gehemmt, das Selbstvertrauen ist weg. Die Selbstverständlichkeit und das Unwiderstehliche aus der Hinrunde der abgelaufenen Saison als er regelmäßig Bayerns Bester war, Tore und Vorlagen am Fließband produzierte. Das nagt an ihm. Wenn ihm etwas misslingt auf dem Platz, zeigt er dies manchmal zu offen nach außen. Dabei ist sein eigener Anspruch noch höher als der seiner Beobachter.
Aber macht das so, als verhindertes Genie, alles Sinn bei dieser EM? Hätte Nagelsmann nicht besser ganz auf ihn verzichten sollen, damit er eine Pause bekommt und sich richtig auskuriert? Ein Heim-EM lässt kein Spieler einfach so liegen, ihn treibt die Hoffnung an. Körperlich ist Sané wieder in einer besseren Verfassung, endlich schmerzfrei. Aber ihm fehlten Spielpraxis, Rhythmus und die Explosionskraft dieses einen besonderen Momentes. Nagelsmann hofft auf den Tag X, wenn Sané zum X-Faktor wird. "Er ist ein bedeutender Spieler für uns, der immer sehr besondere Dinge machen und enge Spiele entscheiden kann", betont der 36-Jährige, der ihn schon als Bayern-Trainer (Juli 2021 bis März 2023) betreute. Sanés Waage, mit den Gewichten namens Genie und Wahnsinn, war damals nicht immer im Gleichgewicht. Doch Sané ist und bleibt ein Sonderfall.
Nagelsmann über Sané: "Er muss sich wie alle hinten dran gerade gedulden"
Wie schwer fällt es dem Ex-Schalker, der als Mega-Talent kurz vor der WM 2018 in Russland vom ehemaligen Bundestrainer Joachim Löw aussortiert wurde, geduldig zu bleiben? "Leroy ist ein ganz angenehmer Charakter, der gut zu führen ist und nicht aufmuckt. Eingewechselt zu werden findet er ganz gut. Daher ist alles in Ordnung", meinte Nagelsmann über seinen zweitwichtigsten Joker nach Mittelstürmer Niclas Füllkrug.
Doch beim 1:1 gegen die Schweiz rückte Außenstürmer Maximilian Beier in der Joker-Hierarchie eine Stufe nach oben - obwohl es erst sein zweites Länderspiel war.
"Er muss sich wie alle hinten dran gerade gedulden", sagt Nagelsmann über Sané. Schlägt dessen große Stunde am Samstag im Achtelfinale? Ein magisches Tor des Künstlers würde sicher im Deutschen Fußballmuseum verewigt werden, passenderweise beheimatet in Dortmund, dem Spielort.