Sammer schimpft: "Alles Alibi-Käse!"
München - Matthias Sammer hatte keinen hochroten Kopf, er fuhr auch
nicht aus der Haut. Aber die im Ton sehr ruhigen Worte des Bayern-Sportvorstands hatten große Sprengkraft. "Wir spielen ohne Emotion Fußball,
wir machen Dienst nach Vorschrift. Wir müssen raus aus der Komfortzone",
sagte der Erfolgsbesessene nach dem mittelprächtigen 2:0 (0:0) gegen Hannover
96 in seiner Paraderolle als Mahner – und er schickte den Vorwurf hinterher,
das Starensemble des Rekordmeisters verstecke sich hinter seinem Star-Trainer
Pep Guardiola.
Es gehe nicht um die Einstellung, "Käse" sei jede Diskussion darüber. Es
gehe um den Guardiola-Hype. "Pep hin, Pep her, Pep hoch, Pep runter – dafür
kann er nichts. Aber dadurch fühlen sich alle etwas weniger in der
Verantwortung", monierte Sammer.
Drei Tage vor dem Champions-League-Auftakt gegen ZSKA Moskau schlug der
46-Jährige Alarm. Als Guardiolas Elf den Start in die "Vollgas-Wochen" mit
angezogener Handbremse absolviert hatte, rüttelte er den seiner Meinung nach
etwas dahindämmernden Triple-Gewinner kräftig auf.
Die Mannschaft, so seine Analyse, ruhe sich auf den Titeln und der
grandiosen Vorsaison aus. Der durch den Trainerwechsel von Jupp Heynckes auf
den Spanier auch beabsichtigte Effekt, Spannung im Team zu halten, greift
offenbar nicht hinreichend. Die Niederlage im Supercup gegen den Rivalen
Borussia Dortmund oder das Remis in Freiburg haben ebenfalls nicht gereicht,
Gier oder Galligkeit – auch das sind Wörter, die Sammer gerne benutzt –
zurückzubringen.
Guardiola müsse viel Energie aufwenden, um die Münchner vor den Spielen
in den richtigen Modus zu bringen. Zu viel nach Sammers Ansicht. "Der Trainer
muss jedes Mal eine Brandrede halten, dass wir in die Gänge kommen", sagte
Sammer, der "die letzten zwei, drei Prozent" herauskitzeln will. "Wir
befinden uns an einem Zeitpunkt der Saison, wo Dortmund letztes Jahr alles
verschenkt hat." Auch Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hatte das unter der
Woche schon angemahnt. Der BVB solle "eine Warnung" sein.
Keine Emotionen, nicht genug Antrieb, zu wenig Wille, die hoch
dekorierten Kicker würden laut Sammer "nur auf Impulse von außen warten", wie
am Dienstag, wenn die Titelverteidigung in der Champions League beginnt. Die
Debatten um das veränderte System, um Positionsverschiebungen – für Sammer
ohne Bedeutung. "Alles Alibi-Käse", sagt er. Seine Kritik ist grundlegend und
zielt auf die "Basiselemente".
Wenn auch nicht zu Sammers Zufriedenheit und ebenso keineswegs im
Vollgas-Modus, den Präsident Uli Hoeneß für die kommenden Wochen gefordert
hatte – der FC Bayern hat doch recht ungefährdet gewonnen und seine Serie auf
jetzt 30 Bundesliga-Spiele ohne Niederlage ausgebaut. Bei den Toren von Mario
Mandzukic (51.) und Franck Ribéry (64.) blitzte auch die individuelle Klasse
des Luxuskaders auf.
Guardiola führte den phasenweise mühevoll aussehenden Auftritt auf den
fehlenden Rhythmus durch die Länderspielunterbrechung zurück. Mit
öffentlicher Kritik an seiner Mannschaft hielt er sich zurück. Auch Kapitän
Philipp Lahm schob die Schwerfälligkeit "ganz klar" auf die internationalen
Pflichten. Und solche Verletzungen wie von Mario Götze, Javi Martínez und
Thiago könne auch der FC Bayern "nicht immer so einfach verkraften". Dazu
verblieb Vize-Kapitän Bastian Schweinsteiger nach seiner auskurierten
Verletzung 90 Minuten auf der Bank.
Hannover gelang es dennoch nur vereinzelt, an den Lederhosen der Bayern
zu zupfen. Auszuziehen vermochte die Elf von Mirko Slomka das erstmals
vorgeführte Outfit im Oktoberfeststil nicht. Als Dämpfer nach dem bisher
besten Start der Vereinsgeschichte wollte 96-Präsident Martin Kind das Spiel
gleichwohl nicht werten. "Die Mannschaft war sehr engagiert, wir fahren nicht
unzufrieden aus München zurück." Immerhin hatte es nicht wie im Vorjahr eine
Klatsche gesetzt. "Wir waren couragiert und haben es insgesamt ordentlich
gemacht", sagte Trainer Slomka: "Um hier mehr zu holen, muss man aber ein Tor
erzielen." So reichte ein Bayern-Motor auf niedrigen Touren.