Ribéry in Lille: Genug eingesteckt
LILLE Pfeifen oder nicht auspfeifen – das war die Frage gestern Abend im „Grand Stade Lille Métropole“ für die Heimfans. Es ging um Franck Ribéry, den Sohn ihrer Heimat, geboren und aufgewachsen rund 140 Kilometer entfernt in Boulogne-sur-Mer. Nun kam er mit dem FC Bayern zurück an die Stätte seines Erwachsenwerdens, nach Lille.
Für 45 Minuten. Zur Pause musste Ribéry wegen einer Muskelverhärtung raus, Wenig verwunderlich. Die eher biederen LOSC-Kicker hatten ihn seit Anpfiff malträtiert – selten passte ein Wort so gut. In der 3. Minute das erste Foul, kurz darauf wieder. Und so fort. Schnell war das strahlend-weiße Trikot am Rücken so matsch-verschmiert, dass nur die neon-orange Nummer 7 gut zu sehen war. Und wann immer die dreckige Sieben mit dem Ball am Fuß Richtung Lille-Tor dribbelte, drohte Gefahr. Also nahmen die zunächst zaghaften Pfiffe der Fans mehr und mehr zu. Ständig musste Ribéry kleine Nickeligkeiten einstecken – es musste ihn an seine Kindheit erinnern. Die Jungs, die zu langsam und zu schlecht waren, gaben einem immer auf die Socken. In der 41. Minute reichte es Ribéry, er blieb erstmal liegen.
Andenken an seine Heimkehr im Schienbein- und Knöchelbereich hatte er genügend gesammelt. Schmerzhaftes Souvenir. Zur Pause war Schluss mit Einstecken. Wie in alten Zeiten. Die Lehrer mussten ihn schützen. Damals, ab 1995 in der LOSC-Jugendakademie, hatte er sich auch nicht immer im Griff. Typische Albereien und Raufereien von Teenagern? Nach vier Jahren wurde er wegen Disziplinlosigkeiten wieder zurück in seine Heimatstadt geschickt. „Zweischneidige Erinnerungen“ überschrieb die nordfranzösische Zeitung „La Voix du Nord“ Ribérys Rückkehr. Der Kampf um Anerkennung zog sich durch sein Leben, durch seine gesamte Karriere. Hassliebe charakterisiert die Beziehung zu den Fans in seiner Heimat. Über Stade Brest, den FC Metz sowie einem Ausflug zu Galatasaray Istanbul landetet er im Süden des Landes.
Bei Olympique Marseille ging sein Stern endgültig auf, er wurde von den Fans vergöttert – und als er 2007 zu Bayern wechselte, verdammt. Die WM 2006 war sein persönliches Sommermärchen, er überraschte an der Seiten von Superstar Zinedine Zidane als frecher Flügelflitzer. Als er 2010 in Südafrika an der Revolte gegen Trainer Domenech beteiligt war, wurde er von der Öffentlichkeit als Sündenbock verteufelt. Wann immer er mit Bayern in Lyon oder Marseille spielte, hagelte es Pfiffe und Beschimpfungen.
Spätestens seit dem 1:1 letzte Woche in Spanien, als er in seinem 69. Länderspiel (11 Tore) den Ausgleich vorbereitete, ist es wieder Liebe. „Ich habe den härtesten Kampf meiner Karriere gewonnen“, sagte Ribéry der „L'Équipe“. Der Bayern-Profi weiter: „Ich habe es allein geschafft und ich stehe immer noch. Das hätten nicht viele Spieler in dieser Form geschafft.“ Um Stolz ging es immer in seinem Leben. Und darum, es den anderen zu zeigen. Ribéry, 29, ist gereift. Auch dank Trainer Jupp Heynckes, eine Art Vaterfigur für ihn.
„Franck war in seiner Heimat immer umstritten, aber jetzt ruht er in sich, ist von der Psyche her ein ganz anderer Spieler als früher.“ Gestern Abend musste er tatsächlich in den Dreck – aber es ging gut. Mit Ribéry haben die Bayern noch nie gegen ein französisches Team verloren. Immerhin ein schönes Andenken.