Rensings Traum: Das Ding hochhalten
Beim Paulaner-Fanstammtisch diskutierte der Bayern-Torhüter über die Champions League, die Kahn-Nachfolge und die Nationaltorhüter-Frage.
MÜNCHEN Er kam direkt vom Training und wollte, weil er sich ein wenig schonen sollte, eigentlich nicht länger als eine Stunde bleiben. Dann aber wurden, weil Bayern-Torhüter Michael Rensing so viel Spaß hatte am dritten Paulaner-Fanstammtisch der Abendzeitung, fast zwei Stunden draus. Beim Frage- und Antwortspiel mit den Fans, von AZ-Sportchef Gunnar Jans und Bayern-Reporter Patrick Strasser moderiert, ging es diesmal im „Wirtshaus in der Au“ vor allem um das Thema Champions League. „Wir tun alles, um möglichst weit, am liebsten bis ins Finale zu kommen“, versprach der Kahn-Nachfolger vor dem letzten Gruppenspiel heute in Lyon.
AZ: Sie sind am Ende der Vorrunde Ihrer ersten Saison als Nr. 1 bei Bayern. Wie schwierig war es gerade am Anfang für Sie, der Sie ja als Torwart davon leben, dass die Mannschaft eingespielt ist?
MICHAEL RENSING (24): Letzte Saison haben wir wenig Tore kassiert, obwohl wir das nicht als Maßstab nehmen sollten, weil da alles perfekt lief. Diese Saison wurden in fast jedem Spiel sechs, sieben 100prozentige Chancen zugelassen, was nicht sein kann. Die letzten zwei Monate sind wir aber ungeschlagen, und es lief immer besser für mich. Es macht immer mehr Spaß. Es gibt nichts Schöneres, als bei Bayern im Tor zu stehen. Ich fühle mich pudelwohl in der Rolle, so als wenn nie etwas anders gewesen wäre.
MARKUS KERN: Sie sprachen Probleme in der Defensive an. Wieso tauchten die auf?
Vielleicht, weil wir viel am System umgestellt haben und keine eingespielte Hintermannschaft hatten. Durch das neue System wurde viel ausprobiert, dadurch wurden wir variabler. Einige Spieler kamen auch erst so spät zur Vorbereitung, dass sie noch nicht fit waren. Nach der letzten Saison dachten wir vielleicht schon, dass 70 Prozent reichen, die Gegner zu schlagen, am Anfang dieser Saison haben wir ruckzuck gemerkt, dass das nicht geht. Aber nach einigen heftigen Gesprächen haben wir gemerkt, dass wir uns den Hintern noch mehr aufreißen müssen. Mittlerweile sind wir ganz die Alten, es läuft hervorragend auch in der Champions League.
HANS STÜBL: Sie haben 2001 im A-Jugend-Endspiel mit Lahm, Schweinsteiger und Ottl gespielt. Heute spielen Sie gemeinsam in der Champions League. Hat sich ein Traum erfüllt?
Ich denke oft an das Jahr zurück auch an 2000, wo ich mit der B-Jugend Deutscher Meister wurde. Das vergisst man nicht. Ich bin mit 16 Jahren hierher gekommen, weg vom Elternhaus und war zum ersten Mal auf mich allein gestellt. Ich habe zum ersten Mal ein Konto bei der Sparkasse eröffnet, bin selbst einkaufen gegangen, was früher immer der große Bruder gemacht hat. Ich bin früh selbstständig geworden, habe alles für den Fußball aufgegeben. Direkt nach dem Abschluss mit der A-Jugend sind mir damals die Tränen in die Augen geschossen. Damals habe ich vom Uli Hoeneß einen Vorvertrag bekommen, er sagte „Mach’ weiter so, dann schaut es gut aus für dich“. So ging das Schritt für Schritt weiter. Der Jahrgang 83/84, mit dem wir B-Jugend-Meister wurden, war grandios. Letztes Jahr in Mailand waren sechs Spieler aus der eigenen Jugend dabei. Das waren ganz außergewöhnliche Jahrgänge.
HARALD FÖRG: Wie weit wollen Sie kommen, was muss passieren für das Höchste, den Champions League-Sieg?
Das Viertelfinale ist das Minimum. Es wäre sicher ein Vorteil, als Gruppensieger zuerst auswärts zu spielen. Wir brauchen auch Losglück. Es entscheidet die Tagesform und wie verletzungsfrei wir bleiben. Ich denke schon, wie wir in der Champions League spielen und wie wir derzeit in Form sind, dass sogar mehr als das Viertelfinale drin ist. Man muss von Runde zu Runde schauen. Ein Traum wäre es für mich natürlich im Finale zu stehen und das Ding hoch zu halten.
MANFRED EITEL: Wann werden Sie im Tor der Nationalmannschaft stehen?
Schwieriges Thema. Ich weiß, dass ich in der Lage gewesen wäre, früher im Tor zu stehen, dann wäre es vielleicht heuer schon anders. René Adler hat mir voraus, dass er schon ein Jahr länger gespielt hat als ich, gut gehalten hat und jetzt beim Umbruch dabei ist.
MATTHIAS SEYFARTH: Bei der U21 waren Sie doch lange Zeit gesetzt – vor Adler.
Richtig, als ich in der Junioren-Nationalmannschaft die Nummer eins war, da war er hinter mir zweiter Torwart, auch ein Neuer war hinter mir. Ich musste dann altersbedingt raus und habe nicht gespielt, weil Olli da war. Dann ist es schwer, Ansprüche zu stellen. Jetzt bin ich im Tor und alles, was ich kann, zeige ich gerade und werde immer besser. Jetzt steht jemand als Nummer 1 im Tor, der zu der Zeit, als ich noch mit ihm zusammengespielt habe, hinter mir stand. Es ist verdient, denn er war letzte Saison der beste deutsche Torwart von der Leistung. Ich bin ein junger deutscher Torwart, spiele im Gegensatz zu den anderen in der Champions League und wenn ich diese und nächste Saison gut halte, wird das eines Tages Thema werden.
HANS STÜBL: In welchem Stadion spielen Sie am liebsten?
Ich mag es am liebsten in den richtig engen Stadien, wenn die Zuschauer direkt hinter einem sind und es zur Sache geht. Mailand war sehr cool, in Deutschland ist das Dortmunder Stadion genial.
RALPH KISSINGER: Wie ist das, wenn einen die gegnerischen Fans anpöbeln?
Das finde ich geil. Wir haben überragende Fans, aber manchmal ist es so, wenn der erste anfängt zu pfeifen, dann pfeifen die anderen mit. Es wird auch bei 0:0 zu Halbzeit gepfiffen, aber wenn man den Verein liebt, steht man auch zu dem Verein und ist mit Herzblut dabei. Es wäre schon ein Traum, einmal in England zu spielen, aber ich bin erster Torwart bei Bayern, liebe den Verein über alles und kann mir auch vorstellen hier ein Leben lang zu spielen.
AZ: Der übelste Gegenstand, der Ihnen mal entgegengeflogen kam?
Kümmerlingflaschen waren da schon dabei. Ein Golfball wie bei Olli war es zum Glück noch nicht. Aber die Gefahr macht mir nichts aus, je hitziger es zur Sache geht, desto mehr Spaß habe ich dabei. Besser als wenn nix los ist im Stadion und die Zuschauer 30 Meter hinter mir sind. Lustig ist es nicht, wenn der Schädel blutet, aber dann gibt es einen Turban drum, und es geht weiter. Dann bin ich umso heißer.
STEPHAN KUFER: Sie kommen aus Lingen. Wie ist damals der Kontakt vom TUS Lingen zum FC Bayern zustande gekommen?
Ich habe meine ganze Jugend komplett beim TUS Lingen gespielt. Mit 10 Jahren habe ich in der Kreisauswahl angefangen, dann Bezirksauswahl und Niedersachsenauswahl und wurde schließlich mit 15 bei einem Lehrgang der Nationalmannschaft in Duisburg von einem Scout angesprochen, der für Bayern unterwegs war. Eines Tages wurde ich von Wolfgang Dremmler zum Probetraining eingeladen. So hat sich das ergeben. Ich hatte Angebote von Bremen, Enschede und - das dürft ihr mir nicht übel nehmen - hätte fast schon bei Schalke zugesagt. Das ging gar nicht. Es war zwar weit weg von Lingen, aber es war damals das beste Angebot. Dann hat Bayern angerufen und ich musste nicht lange überlegen. Es war der schwierigste Weg, aber alle in meiner Familie waren durchweg rot und immer schon Bayern-Fans gewesen. Die Chance wollte ich wahrnehmen. Ich wollte nicht irgendwann sagen müssen "Du hattest die Gelegenheit bei Bayern zu spielen und hast sie nicht genutzt". Ich wollte mich da durchbeißen und nebenbei mein Abi machen. Das habe ich auch geschafft, bin dann ins Bayern-Internat gezogen und ich denke ich habe alles richtig gemacht.
STEFAN RIEPLHUBER: In der Allianz Arena gibt es keine roten Spinde mehr in der Bayern-Kabine. Es gibt dort den einzigen Strategieraum in Europa. Ist das angenehm dort?
Ein Strategieraum? Das ist jetzt unsere neue Kabine. Die haben ein bisschen was umgestellt, wir sind umgezogen und unsere Spinde sind jetzt grau anstatt rot. Eigentlich ist mir das wurscht. Wir können uns auch in einem ganz anderen Raum umziehen. Da gibt es halt einen Flipchart, wo wir die Aufstellung besprechen. In der alten Kabine kann man sich hinsetzen, Kaffee trinken und die anderen Spiele im TV gucken. Das ist für mich eine ganz normale Kabine nur eben jetzt ein bisschen funktioneller und besser aufgeteilt.
HANS GEHRLEIN: Was ist der generelle Unterschied zwischen Klinsmann und Hitzfeld?
Es ist für einen neuen Trainer mit seiner eigenen Philosophie immer schwierig, wenn man einen Trainer ersetzen soll, der Jahre lang so erfolgreich war. Klinsmann wird am Erfolg gemessen und wenn er nicht so erfolgreich ist, dann kommt schnell Kritik. So war es auch am Anfang. Es hat seine Zeit gebraucht, jetzt schaut es richtig gut aus und man kann sich unsere Spiele wieder ansehen. (lacht) Ich habe Hitzfeld viel zu verdanken, viel von ihm gelernt und wir hatten ein super Verhältnis zueinander, zum neuen Trainer ganz genauso. Er ist vielleicht ein bisschen noch mehr dran an der Mannschaft. Er ist sehr sehr menschlich, vom Charakter wirklich phänomenal. Es ist schwierig Unterschiede festzumachen. Ich kann persönlich bei keinem Trainer sagen "der war besser, der war schlechter". Ich habe von jedem viel lernen können, es waren alles andere Typen.
RALPH KISSINGER: Wie ist dabei die Philosophie von Klinsmann?
Also ich führe lieber 1:0 als 5:3. Klinsmann hat sich am Ende der letzten Saison viele Spiele angeschaut und hatte wohl das Gefühl, dass da noch Luft nach oben ist. Viele Spieler konnten die Sprache nicht, sie wurden auch nie dahin getrieben, wir konnten uns nicht so richtig verständigen und allein da kann man schon einiges rausholen, dass die sich wohler fühlen und wir dadurch noch besser werden, als wir es eh schon waren. Wir haben letztes Jahr schon zwei Titel geholt darum ist es schwierig noch erfolgreicher zu spielen. Der Trainer wollte nicht nur Showfußball zelebrieren, weil er weiß auch, dass das nichts bringt, wenn du hinten nicht gut stehst. Wir liegen schon richtig so, dass du hinten sicher und routiniert stehst, eben das typische Bayern-Spiel runter spielst. Und da sind wir langsam wieder auf dem richtigen Weg.
MATTHIAS ERDMANN: Wie ist es zu erklären, dass es in der Champions League von Anfang an gut gelaufen ist und in der Bundesliga nur mäßige Leistungen gezeigt wurden?
In der Bundesliga haben wir nach der letzten Saison mit den vielen Punkten Vorsprung wahrscheinlich gedacht „Jetzt hauen wir die alle locker weg“ und nach dem Jahr Abstinenz in der Champions League waren wir umso heißer drauf, um international richtig Gas zu geben. Da waren wir richtig gut vorbereitet und in der Bundesliga nicht 100% konzentriert. Da mussten wir in der Bundesliga zulegen und mittlerweile haben wir es begriffen.
AZ: Glauben Sie, dass Karlsruhe Mitte Oktober das Knackpunkt-Spiel war?
Das Spiel war schon sehr wichtig. Hätten wir da Unentschieden gespielt, wären wir weiter im Mittelfeld rumgedümpelt. So haben wir einen Schritt nach vorne gemacht und dann kam die ganze Serie, die wir dringend starten mussten, um wieder nach oben zu kommen. Aber es stimmt, dass Karlsruhe schon ein Schlüsselspiel war.
MARKUS KERN: Welche Gegner sind in der Champions League Angstgegner für den FC Bayern?
Es hängt davon ab, wie wir jetzt abschneiden. Wenn wir nur Zweiter werden, kann es sein, dass wir Barcelona kriegen. Wenn wir Erster werden, können wir einen anderen starken Gegner bekommen. Jetzt gibt es fast nur noch superstarke Gegner, vielleicht zwei, drei, die vom Namen nicht so stark sind, aber sich trotzdem durchgesetzt haben. Wir schauen nur darauf, dass wir Erster werden, damit wir dann zuerst auswärts spielen. Da musst du ein gutes Ergebnis erzielen, dann kannst du im Rückspiel zu Hause einiges gerade biegen. Darum geht es.
MATTHIAS SEYFARTH: Gibt es einen Lieblingsgegner in der Champions League?
Den gibt es eigentlich nicht auch keinen Angstgegner, obwohl meine Lieblingsmannschaften aus England kommen. Ich finde, dass da der beste Fußball gespielt wird. Ich schaue immer Premiere League. Da wird nach Fouls oder strittigen Szenen nicht immer so lange diskutiert wie bei uns. Ich mag den Fußball dort, weil er ehrlich ist mit viel Tempo und Einsatz. Das gefällt mir einfach. Im Finale würde ich mir Chelsea wünschen.
STEPHAN KUFER: Was war Ihr emotionalstes Spiel?
Das erste Champions League-Spiel gegen Mailand in München und das Rückspiel. Das waren beide emotionale Spiele. Aber auch Europameisterschaft der U 21 letztes Gruppenspiel beim 0:0 gegen Portugal oder das A-Jugend-Finale. Obwohl ich schon ein paar Jahre dabei bin, war das schon etwas Besonderes. Das Spiel im DFB-Pokal im Grünwalder Stadion gegen Mönchengladbach, als ich danach auf den Zaun geklettert bin, war auf jeden Fall auch eines der Highlights. Da sind wir zu Fuß von der Säbener Straße zum Stadion gegangen und wurden mit Eiern beworfen. Das war die geilste Zeit. Wir waren jung, alle waren mit Herzblut dabei und wir haben reihenweise die Bundesligamannschaften weggeräumt. Die Amateure-Fans liebe ich über alles und die Lieder kann ich alle noch auswendig. Das war schon eine geile Zeit. Bei den Profis ist es ja leider schon normal, wenn man gegen die Gegner gewinnt. Eins ist klar: Bei meiner ersten Meisterschaft als Nummer 1 bleibt es nicht nur beim Zaun klettern. (lacht)
Protokoll: Reinhard Franke