Reise ins Ungewisse für Nagelsmann und den FC Bayern

München - Öfter mal was Neues - und diesmal mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Hat sich wohl die DFL gedacht und dem FC Bayern das bis dato traditionelle, aber nur inoffizielle Heimrecht des Titelverteidigers in der Auftaktpartie der nachfolgenden Saison genommen.
Letztes Jahr fieselte der FC Bayern die bemitleidenswerten Schalker bei der Eröffnung zu Hause mit 8:0 ab - für Königsblau nur der Anfang vom bitteren Ende.
Wird Spiel gegen Borussia Mönchengladbach zur Stolperfalle für Nagelsmann?
Am Freitagabend (20.30 Uhr, Sat.1, DAZN und AZ-Liveticker) muss der Dauer-Meister - gefühlt seit Abschaffung der D-Mark, in der Tat seit 2013 - zu Beginn erstmals auswärts ran. Der Borussia-Park, die Heimstätte der Gladbacher (23.000 Fans dürfen dabei sein), könnte für Neu-Trainer Julian Nagelsmann zur Stolperfalle werden.

Denn: In den vergangenen sechs Heimspielen gegen die Roten gab es vier Siege für die Borussia, zuletzt am 8. Januar mit 3:2. Blickt man auf die vergangenen zehn Spielzeiten, hat der FC Bayern gegen kein anderes Team der Liga so viele Niederlagen (acht in 20 Partien) erlitten und so viele Gegentreffer (28) kassiert. Die Siegquote der Übermacht im deutschen Fußball beträgt gegen die Fohlen nur schwache 45 Prozent. Könnte also eine schwere Geburt werden.
FC Bayern: In vier Testspielen kein Sieg
Noch dazu nach dieser Vorbereitung, die in München schon als Bonsai-Krise (eine Stufe unter Mini-Krise) daherkommt, jedoch dank der delikaten Umstände grummelnd hingenommen wurde.
Durch die urlaubsbedingt unterschiedliche Rückkehr der EM-Teilnehmer war der fünfeinhalb Wochen dauernde Vorlauf gestört, den wild zusammengewürfelten Teams glückte in vier Testspielen kein Sieg (dabei nur ein Remis). Das Pokal-Duell bei Fünftligist Bremer SV, intern als lockerer Aufgalopp mit Wettkampfcharakter angesehen, musste wegen eines Corona-Ausbruchs bei den Gastgebern um knapp drei Wochen verschoben werden. Einspielen? Ein Satz mit X. Ein neues System, frische taktische Kniffe einstudieren? Im Anfangsstadium.

Für Trainer Julian Nagelsmann (34) bezahlte der Meister, mit einem Titel am Ende der vergangenen Saison unter dem Radar der eigenen Hoffnungen und Erwartungen, an RB Leipzig 15 Millionen Euro Ablöse, die dank an bestimmte Erfolge geknüpfte Boni auf bis zu 25 Millionen anwachsen können.
Julian Nagelsmann: "Ich freue mich, bin aber auch gespannt"
Das Paket macht den gebürtigen Bayern bei seiner Herkulesaufgabe in der Heimat zum teuersten Chefcoach aller Zeiten. Der absolute Wunschtrainer erhielt einen Fünfjahresvertrag - und damit viel Vertrauen. Doch das Erbe von Sieben-Titel-Coach Hansi Flick, dem neuen Bundestrainer, ist ein schwieriges.
"Ich freue mich, bin aber auch gespannt, wie wir nach einer zerklüfteten Vorbereitung starten. Auch für jeden Spieler ist es nach der EM spannend, wo er steht", betonte ein angespannt wirkender Nagelsmann, bei seinem Pflichtspieldebüt auf der Bank exakt 34 Jahre und 21 Tage alt - und damit Bayerns drittjüngster Chefcoach der Profis. Jünger bei ihrer Premiere waren nur Reinhard Saftig (31 Jahre, 118 Tage) und Sören Lerby (33 Jahre, 253 Tage).
Es wird eine Reise ins Ungewisse. Nagelsmann baute schon mal vor, falls es schiefgeht in Gladbach und den vier Pflichtspielen bis zur ersten Länderspiele-Unterbrechung. Es werde auf jeden Fall "nicht möglich sein, dass beide Teams 90 Minuten ein Feuerwerk abbrennen." Denn: "Wir müssen erst in den Rhythmus kommen, werden uns über den Ligaalltag entwickeln müssen."
Eine Steigerung auf Raten? "Wenn man die Geschichte der letzten Jahre sieht, sollten wir vor Selbstvertrauen strotzen", meinte Nagelsmann und ließ ein "aber" heraushorchen. Er weiß: "Alle wollen, dass wir nicht den zehnten Titel in Folge holen."
Nagelsmann setzt auf die Faktoren Zeit und Geduld. Hat man an der Säbener Straße traditionell aber nicht. Immerhin: In 19 Duellen hat der Meister noch nie sein Auftaktspiel verloren.