Reiner Calmund über den FC Bayern: Bevor wir motzen, schaut nach England
Reiner Calmund war lange Manager und Geschäftsführer von Bayer Leverkusen. Mittlerweile ist er vor allem im TV-Geschäft tätig, arbeitet unter anderem als Fußball-Experte bei Sky. AZ hat vor dem Aufeinandertreffen zwischen dem FC Bayern und Bayer Leverkusen (Samstag um 15.30 Uhr im Liveticker) mit ihm gesprochen.
AZ: Herr Calmund, null Punkte nach zwei Spieltagen: Gibt es auch nur einen Ansatz von Hoffnung, dass Bayer Leverkusen am Samstag ausgerechnet in München was reißt?
REINER CALMUND: Wenn alles normal läuft, kassieren die ihre dritte Niederlage. Da brauchst du kein Prophet sein. Die beiden Niederlagen waren verdient, gerade in Gladbach hätte das noch höher ausfallen können. Klar hatte das Team Pech mit Verletzten in der Defensive, die Ausfälle von Baumgartlinger, den Bender-Brüdern, das war eine Schwächung, darf aber keine Erklärung sein. Hätte man besser kompensieren müssen. Naja, dann legst du so einen Start hin und fährst im dritten Spiel zu Bayern München, da kannst du getrost sagen: Das läuft ja erste Sahne.
Die Bayern scheinen schon wieder unverwundbar. Schnell dahin war alle Hoffnung der Konkurrenz auf einen holprigen Stotterstart nach dem Trainerwechsel.
Ich habe das Spiel gegen Hoffenheim live im Stadion gesehen. Wie die den Ball laufen lassen und bis auf 20 Minuten den Gegner dominiert haben, war schon vom Allerfeinsten. Insgeheim hoffe ich für Bayer natürlich schon auf ein Unentschieden, aber das klappt nur, wenn auch der Papst und der Liebe Gott auf deiner Seite sind. Ich würde es nicht nur Leverkusen gönnen, sondern der ganzen Liga, dass es vorne mal wieder enger wird.
Calmund: Langweilige Meisterschaft kein Bundesliga-Problem
Auch wenn Sie nicht gern dran denken, der gemeine Fußball-Fan erinnert sich mit Wehmut an dramatische Meisterschaftsentscheidungen am 34. Spieltag. Wie im Jahr 2000. Leverkusen, Unterhaching, das Eigentor von Ballack.
Ja, die Spannung um den Titel fehlt. Aber bevor wir weitermotzen: Schau mal nach England. ManCity lag am Ende 19 Punkte vor ManUnited. Spanien: Barça, 14 vor Atlético, 17 vor Real. Es ist nun mal so. Und doch ist Fußball bei uns immer noch der Hit. Der Schnitt in den ersten zwei Runden knapp 45.000, Quoten ohne Ende im Fernsehen. Deutschland gegen Peru schlägt sogar den Tatort. Und es ist ja alles immer dramatisch, die internationalen Plätze, Klassenerhalt, da wird gekämpft bis zum Schluss. Alles spannend. Bis auf die Meisterschaft eben.
Serge Gnabry dreht auf - der Rest der Bayern stagniert
In Ihrer Manager-Zeit wurde gerne über Bayer Vizekusen gehöhnt, nach vier zweiten Plätzen in sechs Jahren. Warum reicht es seit sieben Jahren nicht einmal mehr zur Vize-Meisterschaft? Läuft da was falsch?
Wir hatten damals Wahnsinns-Spieler, gerade im Mittelfeld: Emerson, Zé Roberto, Schneider. Dann der alte Lehnhoff, der junge Ballack und Ramelow für die Drecksarbeit. Die Transferpolitik war erfolgreich, wir hatten auch Glück. Aber schau dir das heute an: Das ist auch nicht von Pappe. Der Bailey mit 21, hinter dem die ganze Welt her ist. Der Havertz mit 19, über den der Rudi Völler sagt, dass der mal 100 Länderspiele macht. Und der Julian Brandt mit 22. Prost Mahlzeit. Zumindest auf Junioren-Ebene ist das Weltklasse.
Weshalb fraglich ist, ob Julian Brandt noch lange in Leverkusen spielt, trotz Vertrag bis 2021. Wann sehen Sie ihn bei den Bayern?
Die Bayern sind ja nicht blöd. Aber ich möchte vor dem Spiel da bitte nicht spekulieren.
Kovac war als Aktiver schon Spielertrainer
Wen Sie aus seiner Zeit bei Bayer noch gut kennen, ist Niko Kovac. Wie haben Sie ihn als Spieler erlebt?
Da erzähl’ ich Ihnen mal was.
Nur zu.
Ich habe 1996 ja beide Brüder geholt, den Robert aus Nürnberg und den Niko aus Berlin. Man muss wissen: Der Niko hatte mit der Hertha am letzten Spieltag gerade so noch den Klassenerhalt geschafft, mit einem 0:0 in Wattenscheid. Wohlgemerkt in der Zweiten Liga, sonst wären die runter in die damalige Regionalliga. Bei uns hat mich der Niko vom ersten Tag überzeugt. Was der für klare Ansagen gemacht hat. Wie er ein Spiel lesen konnte. Was er für ein unwahrscheinliches Auge hatte. Er war bei uns im Mittelfeld sofort der Wortführer.
Hat sich als Neuling also gleich mal Respekt verschafft?
Und wie, das aber völlig berechtigt, auch gegenüber alten Hasen wie dem Lehnhoff oder dem Heintze. Du hättest damals schon annehmen können, dass er der Chef bei uns ist. Hab’ ich dem Daum auch gesagt, sag’ ich: Christoph, der Niko ist so was wie ein Spielertrainer.
Servus, Niko! Die Bayern-Trainer der letzten 20 Jahre
Sie ahnten also bereits seine Karriere als Trainer voraus?
Das war nicht zu übersehen. Auch so, wie er die Spiele besprochen und analysiert hat. Das hat der mit der Muttermilch eingesogen. Und was er schon in Frankfurt geleistet hat, à la bonne heure!
Passt er zu den Bayern? Denken Sie, er hat auch in München Erfolg?
Klar. Er ist ein Fachmann, lässt sich nicht verbiegen. Er ist überzeugt von sich, selbstbewusst, hat keine Scheu vor großen Namen, geht die Dinge klar, offen und ehrlich an. Dafür wirst du im Fußball zwar nicht immer belohnt, in diesem Fall hoffe ich aber schon. Ich wünsche ihm alles Beste bei den Bayern.
Vermissen Sie eigentlich das Tagesgeschäft? Sie sagten einmal, in Ihrer Zeit als Manager hätten sie 17 Stunden täglich im roten Bereich gearbeitet. Können Sie auch ruhiger?
Ja, ich genieße mein Leben und brauche das alles nicht mehr. Ich bin mit großer Begeisterung Experte bei Sky, das ist Job und Hobby zugleich. Ich werde jetzt bald 70, im Rückblick muss ich sagen, so wie alles war, das hat sich schon alles gelohnt. Bin halt immer noch ein Fußballbekloppter.