Rätselhafter Rastelli: Leroy Sané und die ewige Suche nach Konstanz

Mal brillant, mal arrogant: Leroy Sané ist der Wandler zwischen den Welten. In Mailand zeigt er mal wieder seine ganze Weltklasse.
von  Patrick Strasser
Fingerzeig an die Kritiker? Leroy Sané war in Mailand Bayerns Unterschiedsspieler.
Fingerzeig an die Kritiker? Leroy Sané war in Mailand Bayerns Unterschiedsspieler. © IMAGO/ULMER Pressebildagentur

Mailand/München - Im Entenmarsch schlenderte Bayerns Boygroup durch die engen Gänge des verwinkelten Giuseppe-Meazza-Stadions von Mailand vorbei an den Journalisten zum Ausgang, zum Mannschaftsbus.

Während einer wie Eric Maxim Choupo-Moting sich federnden Ganges wie in einem Musikvideo fortbewegt, schlurft ein Leroy Sané von dannen, die Kapuze seines Hoodies über den Kopf gezogen, den Blick starr ins Handy gerichtet. In seinem Film, in seiner Welt. Vertieft, abgeschottet.

Beim Führungstor zeigte Sané seine ganze Weltklasse

Einem wie dem 26-Jährigen sieht man im Afterwork-Modus nicht an, was für eine Leistung er gerade gezeigt hat. Einstellungssache, Charaktere sind verschieden. Sehr gut war's übrigens, beides: Sanés Auftritt und das Resultat – 2:0 für die Bayern bei Inter Mailand zum Auftakt in die Champions-League-Gruppenphase.

Beim Führungstreffer zeigte der Linksfuß seine ganze Weltklasse, schob den Ball nach einer zirkusreifen Annahme des perfekt gezirkelten Passes von Joshua Kimmich mit rechts ins Netz. Ein Tänzchen um Inter-Keeper André Onana ging dem voraus. "Das Tor macht er Weltklasse", feierte Leon Goretzka seinen Mitspieler, "man sieht, dass er Spaß hat, in solchen Spielen aufzudrehen". Nach einem fabelhaften, doppelten Doppelpass mit Kingsley Coman erzwang Sané mit seinem Schuss das Eigentor von Inters Danilo D'Ambrosio. Die Kirsche auf der Sané-Leistung.

Sané beim FC Bayern: Ein ständiges Auf und Ab

Der Offensivspieler performte auf der stimmungsvollen und geschichtsträchtigen Bühne San Siro wie selten zuvor, seit er im Sommer 2020 für rund 60 Millionen Euro Ablöse von Manchester City nach München gewechselt war. Seine Zeit bei Bayern ist ein ständiges Auf und Ab, der Abend von Mailand dokumentierte seinen Entwicklungsstatus. Auch zu Beginn seiner dritten Saison an der Säbener Straße haftet dem Hochbegabten der Makel an, das Image einer launischen Diva zu haben. Künstlerisch wertvoll, aber unberechenbar. Kategorie rätselhafter Rastelli. Mal brillant und mal arrogant – überspitzt formuliert.

Wer so viel draufhat, landet bei schwachen Auftritten schnell in jener Schublade. Wofür er nichts kann. An seiner Körpersprache auf dem Platz hat Sané gearbeitet. Mittlerweile hetzt er Ball und Gegner in der eigenen Hälfte hinterher, als müsse er mit diesem einen Sprint ein Spiel umbiegen. Was bestens ankommt. Beim Trainer, den Mitspielern, den Fans.

Rat- oder sprachlose Zuschauer – das ist Sané

Vor etwas mehr als einem Jahr hatten ihn einige Bayern-Anhänger wegen seiner Schluffigkeit ausgepfiffen. Er riss sich am Riemen, überzeugte, verfiel jedoch ab der Rückrunde wieder in ein unerklärliches Tief, verzeichnete von Anfang März bis zum Saisonende keine Torbeteiligung mehr. Das ist Sané – entweder er hinterlässt seine Beobachter ratlos oder er macht sie sprachlos.

Bei Inter konnte sich Bundestrainer Hansi Flick als Tribünengast von Sanés Sahneseite überzeugen, sah den vierten Treffer im achten Pflichtspiel der Saison. Eine glasklare Empfehlung für die Nationalelf und Flicks Startformation bei der WM in Katar.

Flick, der Sané in der Saison 2020/21 bei Bayern coachte, kann mit dem – oft zu lässigen – Talent, das in der Nationalmannschaft wie auch in München große Konkurrenz im Offensivbereich hat: Serge Gnabry, Jamal Musiala, Thomas Müller. "Leroy hat sehr agil agiert", sagte Müller in Mailand erfreut, "das ist das, was wir von ihm brauchen. Dann hat auch er ein Lächeln im Gesicht."

Kapitän Manuel Neuer betonte: "Er ist ein Schlüsselspieler für besondere Momente und kann in der Verfassung, in der er im Moment ist, Spiele für uns entscheiden." Hasan Salihamidzic machte es "Spaß, ihm zuzuschauen". Der Sportvorstand lobte Sané: "Er weiß, was für ein Potenzial er hat. Wenn er das auf den Platz bringt, kann er einer der Besten in Europa werden." Wenn er Konstanz zeigt. Das ist der Schlüssel.

Sané selbst bevorzugt leise Töne, sagte bei DAZN: "Ich will einfach nur ein gutes Spiel abliefern, ein gutes Gefühl haben und froh vom Platz gehen." Es kann so leicht, so einfach sein.

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