"Positiv denken! Chelsea ist nicht Dortmund!"
Oliver Kahn kam als Motivator zum Verlierer-Bankett. Er blieb bis zum Schluss, sprach den Spielern Mut zu – und erklärt im AZ-Interview, wie Bayern trotz dieser Pleite den Triumph am Samstag packen kann
AZ: Herr Kahn, es ist kurz vor halb drei Uhr, Sie sitzen noch auf dem Bankett des FC Bayern. Die Spieler haben sich kurz vor zwei Uhr verabschiedet, sind zurück ins Hotel.
OLIVER KAHN: Ja. Ich habe ihnen zugerufen: Warum geht ihr schon? Ihr könnt doch noch ein bisschen auf den Tischen tanzen. Aber es ist halt kein Mario Basler mehr in der Mannschaft. Da verlieren wir 1999 diese Finale in Barcelona und der Jancker und er tanzen auf den Tischen – so haben die das verarbeitet.
Und jetzt – nach dem vernichtenden 2:5 gegen Dortmund? Was können Sie als Ex-Kapitän tun? Sie haben hier beim Bankett lange mit Bastian Schweinsteiger gesprochen.
In solchen Momenten muss man den Überblick bewahren. Ein DFB-Pokalfinale ist etwas Großartiges. Doch eine Mannschaft wie der FC Bayern kann das jedes Jahr erreichen – wie die Meisterschaft. Dieses Finale nächsten Samstag schlägt alles, was bisher dagewesen ist. Dann kann man Dortmund ruhig mal Meister und Pokalsieger werden lassen.
Aber doch nicht so. Mit 2:5!
Es war fatal. So etwas habe ich in einem Finale von den Bayern noch nicht gesehen. Aber es macht keinen Sinn, dass die Spieler noch diese Gedanken daran mit in die nächste Woche nehmen. Das kann man am Ende der Saison analysieren. Jetzt geht es darum, dass man etwas Einmaliges erreichen kann. Die große Kunst ist es, den Fokus nur auf Samstag zu legen. Du musst dieses 2:5 gedanklich wegwerfen, darfst es nicht zu stark gewichten.
Wie kann das gelingen?
Man muss nur noch davon reden, was man erreichen kann. Den Fokus nach vorne richten, Dortmund abhaken. Solche Situationen waren für mich immer Herausforderungen. Das war geil, das hat Spaß gemacht, nach solchen Negativerlebnissen zu sagen: Heute verdammen mich die Leute, nach dem nächsten Spiel feiern sie dich. Das habe ich geliebt. Das muss man jetzt kommunizieren. Positiv denken!
Kommt das an?
Ich stand x-Mal im Pokalfinale. Ich weiß ganz genau, wie die Jungs ticken, was im Verein jetzt los ist. Und welche Gefahren in diesen Emotionen liegen. Es sind viele junge Spieler, für die es das erste große Finale war wie Alaba, Boateng.
Sie haben bewusst mit den Führungsspielern geredet.
Der Kalle (Vorstandsboss Rummenigge, d.Red.) hat schon am Samstagmorgen zu mir gesagt: „Wenn du willst, kannst du am Abend aufs Bankett kommen.” Als ich dann dieses Spiel gesehen habe, hatte ich ein noch größeres Bedürfnis, dem ein oder anderen was zu sagen, ihn zu motivieren. Weil ich mich immer noch sehr verbunden mit dem Verein und den Personen fühle. Das hat mir sehr weh getan. Fünf Gegentore! Wahnsinn! Man kann immer mal verlieren, ich habe auch fünf Stück kassiert, sogar zweimal hintereinander. Aber in einem Finale?
Spielt es eine Rolle, dass man nicht 2:3, sondern 2:5 verloren hat?
Du kannst so ein Finale verlieren im Elfmeterschießen, das Spiel war eng, du hast dich gut gewehrt. Aber bei so einer deutlichen Niederlage besteht die Gefahr, dass etwas hängenbleibt.
Wie groß ist die Lücke zu Dortmund nach fünf Pleiten hintereinander?
Es ist ein mentales Problem. Das ist so als ob du beim Schach, Backgammon, Squash oder Tischtennis immer gegen den gleichen Typen spielst und immer verlierst. Du gewinnst einfach nicht. Das kennen wir doch alle. Du fängst an zu grübeln, sagst dir, das gibt’s doch nicht. Irgendwann wird es zur Blockade.
Und nun gegen Chelsea?
Chelsea ist nicht Dortmund – das ist schon mal gut. Die Engländer haben keine gelben Trikots an, das ist schon mal ein Vorteil.