Plötzlich angezählt: Auch Joshua Kimmich beim FC Bayern ist nicht mehr unumstritten
München - Er wurde mit jeder Form von Superlativen regelrecht überhäuft.
Wenn von Joshua Kimmich die Rede war, dann überschlugen sich die Fans, die Trainer, die Experten – die echten, die vermeintlichen und die selbst ernannten – darin, in stetige Hochgesänge und Lobpreisungen zu verfallen.
Zukünftiger Weltfußballer, in Bälde Kapitän der Nationalmannschaft und des FC Bayern sowieso – so wurde über den jetzt 27-Jährigen, dessen Image irgendwo zwischen Vorzeigefußballer und Ehrgeizling und Streber angesiedelt ist, geurteilt.
Als Joshua Kimmich die Impfung verweigerte, wurde er zum Politikum
Doch wie so oft, wenn man auf den überhöhten Sockel gehoben wurde, warten die, die einen da hochgehievt haben, insgeheim nur darauf, das Denkmal zu zerstören und dann den Vielgelobten mit Urgewalt und Freude wieder auf den harten Boden der Tatsachen zu befördern.
Plötzlich mutierten Lobpreiser zu Kritikern. Das hatte Kimmich, der ja öffentlichkeitswirksam zusammen mit Leon Goretzka die Aktion "We kick Corona" ins Leben gerufen hatte, schon als Mensch erfahren müssen.
Als publik wurde, dass ausgerechnet er, der die Initiative mit den Worten "nur wenn wir als Gesellschaft jetzt zusammenstehen, Vernunft und Verantwortung zeigen und füreinander da sind, schaffen wir es aus dieser Krise" begründete hatte, sich selber aber nicht hatte impfen lassen, war er plötzlich ein Geächteter und nicht mehr der strahlende, gepriesene, bajuwarische Held in der Anti-Corona-Ritterrüstung.
Joshua Kimmichs Status ist nicht mehr unantastbar
Kritik und Häme prasselte wie aus einem Jaucheeimer auf ihn ein. Kimmich war plötzlich Politikum. Die Corona-Leugner und Rechtspopulisten feierten ihn, hatten unvermittelt und unerwartet ihre Galionsfigur gefunden. Die anderen, die bisherigen Loblied-Anstimmer, verdammten ihn nun. Doch Kimmichs sportlicher Wert, sein Status blieb auch in dieser Zeit unantastbar.
Bis jetzt. Nach seinen Auftritten beim FC Bayern – der vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen (20.30 Uhr/DAZN und im AZ-Liveticker) nach vier sieglosen Liga-Spielen in Serie als Krisen-Bayern dasteht – und den schwachen Auftritten in der Nations League gegen Ungarn (0:1) und England (3:3 nach 2:0-Führung) stand Kimmich im Fokus der Kritik, im Auge des Sturms.
Philipp Lahm, der frühere Kapitän der Bayern und Nationalmannschaft, hatte noch in lahmscher Zurückhaltung gefordert, Kimmich müsse "einen Tick defensiver denken und spielen". Deutlichere Worte fanden dafür die, die sich nicht als Diplomaten des Fußballs verstehen.
Hamann und Babbel üben scharfe Kritik an Joshua Kimmich
"Er hat sich in den letzten Jahren ein Standing erspielt, da haben wir alle gesagt: Weltklasse, überragend. Schon in der vergangenen Saison ist mir aber aufgefallen, dass er nicht mehr die Disziplin hat, auf seiner Position zu spielen", sagte der frühere Nationalspieler und Bayern-Star Markus Babbel. Kimmich turne "überall herum, nur nicht da, wo er spielen sollte. Mittlerweile habe ich bei ihm das Gefühl, dass er glänzen will und dass man ihn aufgrund seines Status nicht mehr angreifen, geschweige denn berühren darf."
Sky-Experte Didi Hamann stieß ins gleiche Kimmich-Oppositonellen-Horn. "Ein Sechser ist er für mich nicht. Der Kimmich hat noch nie anders gespielt", sagte Hamann bei "Bild": "Bei den Bayern geht das manchmal unter, wenn man seine Position nicht hält, weil sie einfach so dominant sind in der Bundesliga. In der Champions League wird das häufiger mal bestraft. Kimmich ist kein defensiv denkender Spieler, das war er aber auch noch nie."
Nagelsmann spricht Kimmich "vollstes Vertrauen" aus
Hamanns unverblümte Forderung: Bayern-Coach Julian Nagelmann, der ja auch gerade sehr viel mehr Kritiker als Fürsprecher hat, müsse seine (Trainer-)Pflicht erfüllen. "Das Einfachste wäre, ihm zu sagen, dass er die Position zu halten und sich für den Erfolg der Mannschaft zurückzunehmen hat", sagte Hamann: "Ich glaube, das kann er. Deswegen wird er trotzdem kein defensiv denkender Spieler sein, aber das wäre ein Fortschritt."
Doch der eine Vielkritisierte stellte sich lieber vor den anderen neuen "Liebling" der Kritiker. "Jeder darf seine Meinung äußern, das müssen wir aushalten. Am Ende geht es um die Art und Weise und auch um den Inhalt. Josh ist ein extrem wichtiger Spieler für uns und für die Nationalmannschaft", sagte Nagelsmann: "Er genießt volles Vertrauen, auch bei der Nationalmannschaft. Er hat wie jeder Mensch Dinge, die er gut macht und Dinge, an denen er sich entwickeln kann. Am Ende ist wichtig, dass der Spieler weiß, was er zu tun hat."
Und wenn er es nicht weiß, hat es ihm der Trainer eben beizubringen.
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