Pfaff mit Rat an FC-Bayern-Trainer Thomas Tuchel: "Sollte auf de Ligt und Dier setzen"

Torhüter-Legende Jean-Marie Pfaff spricht in seiner exklusiven Kolumne für die Abendzeitung über die Krise des FC Bayern - und erklärt, warum er trotz allem nicht zu einem Wechsel des Cheftrainers rät.
von  Jean-Marie Pfaff
"Beide haben große Erfahrung haben und bereits bewiesen, dass sie zusammen harmonieren": Eric Dier und Matthijs de Ligt.
"Beide haben große Erfahrung haben und bereits bewiesen, dass sie zusammen harmonieren": Eric Dier und Matthijs de Ligt. © imago

München - Was ist los beim FC Bayern? Nach der derben Niederlage in der Bundesliga bei Bayer Leverkusen (0:3) hat es die Bayern nun auch in der Champions League erwischt. Nach einer ordentlichen ersten Halbzeit brach der Rekordmeister bei Lazio Rom nach der Pause unerklärlicherweise völlig ein und kassierte mit dem 0:1 die nächste Pleite. Die erhoffte Reaktion nach dem Leverkusen-Spiel war nur ansatzweise zu erkennen.

Tuchel hat Entscheidungen getroffen, die nur schwer nachzuvollziehen sind

Klar ist: Die Münchner stecken in der Krise und das ausgerechnet vor der entscheidenden Phase in der Saison.Natürlich prasselt jetzt die Kritik auf die Mannschaft und vor allem auf den Trainer ein - das sind die Mechanismen in diesem Geschäft. Thomas Tuchel hat einige Entscheidungen getroffen, die man nur schwer nachvollziehen kann.

Muss ich eine funktionierende Innenverteidigung (de Ligt, Dier), die in zwei Partien sehr gut funktioniert hat, auf die Bank setzen, weil Upamecano aus einer Verletzung zurückkommt und Kim nach Jetlag und Asien-Cup wieder zur Verfügung steht?

Muss ich einen neuen Spieler (Boey) in seinem ersten Spiel von Anfang an auf einer ungewohnten Position einsetzen? Muss ich das funktionierende 4-2-3-1-System, das die Spieler kennen und in dem sie sich wohlfühlen, im wohl wichtigsten Spiel der Saison umstellen? Die Stimmung kippt, die Mehrheit der Fans wünscht sich wohl inzwischen die Beurlaubung des Trainers.

Tuchel hat die Titelverteidigung nicht mehr in der Hand 

Aber: Was würde ein Trainerwechsel am Ende wirklich bringen? In der vergangenen Saison wurde Julian Nagelsmann in einer vergleichbaren Situation entlassen, Tuchel kam und steht nun sogar noch schlechter da als Nagelsmann, der bei seiner Beurlaubung immerhin noch in allen drei Wettbewerben im Rennen war.

Tuchel ist mit den Bayern aus dem Pokal ausgeschieden, hat die Titelverteidigung in der Liga nicht mehr in der eigenen Hand und nun droht auch in der Königsklasse nach dem 0:1 in Rom das Aus.

Sané nur noch ein Schatten seiner selbst 

Die aktuell gehandelten Kandidaten für eine Tuchel-Nachfolge kann ich mir nur schwer vorstellen. Louis van Gaal wird nicht mehr zurückkommen, er genießt verdientermaßen sein Leben in Portugal. Joachim Löw hat seine großen Erfolge mit der Nationalmannschaft gefeiert. Ob er als Vereinstrainer das Ruder in München herumreißen kann? Ich bin skeptisch. Jürgen Klopp will nach seinem Ausstieg beim FC Liverpool erst einmal ein Jahr Pause machen. Und auch eine Rückkehr von Hansi Flick ist noch keine Garantie, dass sich der Erfolg in München automatisch wieder einstellt.

In erster Linie sehe ich in dieser Situation die Mannschaft gefordert. Jeder muss sich an die eigene Nase fassen und sich hinterfragen, ob er wirklich alles dafür tut, um mit der Mannschaft den maximalen Erfolg zu haben. Sané hat in der Vorrunde in jedem Spiel geglänzt, seit Beginn der Rückrunde ist er auf dem Platz nur noch ein Schatten seiner selbst.

Pfaff rät Tuchel zu diesem Abwehr-Duo

Upamecano hat zu oft ein, zwei grobe Schnitzer drin, auch Kim hat mich noch nicht wirklich überzeugt. Der Südkoreaner ist bislang ein solider Verteidiger, der Chef der Kette ist er aber noch nicht. Ich würde auf Matthijs de Ligt und Eric Dier im Zentrum setzen, die beide große Erfahrung haben und bereits bewiesen haben, dass sie zusammen harmonieren.

Man kann nur hoffen, dass Tuchel der Mannschaft möglichst schnell wieder das Selbstverständnis und die Leichtigkeit auf dem Platz einimpft, sonst droht die erste titellose Saison seit 2012.

Und das würde der Trainer am Ende möglicherweise nicht überstehen.

Euer Jean-Marie


Der 70-Jährige war belgischer Nationaltorwart (64 Einsätze) und stand beim FC Bayern zwischen 1982 und 1988 156 Mal zwischen den Pfosten. Pfaff war Vizeeuropameister 1980, WM-Vierter 1986, drei Mal deutscher Meister, zwei Mal Pokalsieger. 1987 war er Welttorhüter. Für die AZ ist er als Kolumnist tätig.

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