Peps letzte Patrone – High Noon in der Arena
München - Wenn am Dienstag kurz vor dem Anpfiff die beiden Trainer aus den Katakomben zu ihren Bänken schreiten, wird man die Anspannung in der Allianz Arena spüren, in den Gesichtern sehen, das Knistern fühlen, den Angstschweiß riechen. Neben der Champions-League-Hymne könnte die Uefa vor dem zweiten und entscheidenden Duell zwischen Pep Guardiola und Diego Simeone auch den Song "Do not forsake me, oh my darlin'" (Verlass' mich nicht, mein Liebling) anspielen: das Titellied des Westerns "High Noon" (Zwölf Uhr mittags) aus dem Jahr 1952. Der Film, der auf ewig symbolhaft für einen Zweikampf unter echten Männern steht.
Im Duell, dass am Dienstag (ab 20.45 Uhr live im ZDF, bei Sky und im AZ-Ticker) startet, kann es auch nur einen (Finalisten) geben: den FC Bayern oder Atlético Madrid, nur einen Trainer-Triumphator: Guardiola oder Simeone.
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Im ersten Aufeinandertreffen hat der Argentinier schneller gezogen, seine "Rojiblancos" gewannen 1:0, nun muss der Spanier den entscheidenden Treffer setzen. "Ich habe noch eine Kugel", hatte Guardiola am Freitag gesagt. Nach dem Hinspiel war er heftig wegen seiner Aufstellung ohne Thomas Müller und Franck Ribéry kritisiert worden. "You killed me. Eyerybody killed me", sagte er in einem emotionalen Englisch-Deutsch-Gemisch, "aber ich bin noch nicht tot. Wir haben noch ein Spiel, ich habe noch eine Patrone." Seine letzte Patrone. Der Schuss muss sitzen.
"Es ist nicht genug, Meister zu sein hier. Es ist nicht genug, Pokalsieger zu sein hier."
Die Bayern wollen ihr zehntes Endspiel des wichtigsten europäischen Vereinswettbewerbs erreichen, am 28. Mai in Mailand gegen Real Madrid oder Manchester City um Europas Thron spielen. Für Guardiola ist es der dritte Anlauf. 2014 scheiterte an Real Madrid, 2015 am FC Barcelona – und nun? Schafft es Bayern nicht, wäre der 45-Jährige trotz des Doubles 2014, trotz der Meisterschaft 2015 und 2016, die wohl am Samstag feststeht, ein Unvollendeter.
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Als Nachfolger von Jupp Heynckes, dem Triple-Gewinner 2013, wurde Guardiola geholt, um den FC Bayern zur Nummer eins in Europa zu machen. Oh ja, Pep weiß, dass es nicht reicht, die Münchner zur vierten Meisterschaft nacheinander – ein historischer Triumph – zu führen. "Es ist nicht genug, Meister zu sein hier. Es ist nicht genug, Pokalsieger zu sein hier. Nur das Triple ist genug." Diese Sätze sind aus dem Frühjahr 2015, der Spanier hatte sie schnell verinnerlicht. Peps Wirken in München war all die Monate, jede einzelne Stunde, getrieben von der Besessenheit, es sich und der gesamten Welt zu beweisen, nicht nur mit dem FC Barcelona die Königsklasse gewinnen zu können (wie 2009 und 2011), sondern auch mit dem FC Bayern – in einer fremden Umgebung, in einer fremden Sprache, mit einer anderen Mannschaft. Doch von Anfang an fühlte sich der Spanier missverstanden – bei Fans, Medien, Verantwortlichen. Seine Philosophie, sein Ballbesitzfußball, das Dominieren des Gegners, wurde ganz banal an Ergebnissen gemessen. Guardiola weiß das, aber es kränkte ihn. Er sieht sich als Künstler. Und da zählt es nicht allein, wie hoch die Summe ist, die ein Käufer für ein Werk bezahlen möchte.
"Ich bin – wow, voller Energie", sagt Pep Guardiola
Gegen Atlético steigt der Showdown. Guardiolas Aufstellung muss sitzen. Ebenso wichtig wird die Mischung aus kontrolliertem Ballbesitz- und dem von der Mannschaft geschätzten Leidenschaftsfußball, den der Trainer zuletzt mehr und mehr akzeptiert hat. Zuletzt sprach er selbst von den "kämpferischen" Tugenden. "Ich bin – wow, voller Energie", sagte er. Und wenn es nicht klappt, Herr Guardiola, was dann? "You can kill me, no problem."