"Pep ist zuallererst Barça-Fan"
Guillem Balague, enger Guardiola-Vertrauer, schreibt exklusiv in der AZ über den Starcoach, der den FC Barcelona zur Über-Mannschaft machte und ab Sommer den FC Bayern trainiert.
Als Pep Guardiola am 5. Mai 2012 in einem tränenaufgeweichten Camp Nou äußerst emotional auf Wiedersehen sagte, meinte er zu den treuen Barcelona-Fans: "Ihr werdet mich niemals verlieren."
Nicht mal Pep hätte sich wohl träumen lassen, dass ihn das Schicksal nur elf Monate später in eine solche Zwickmühle führen würde: Barcelona auf der einen, sein baldiger neuer Arbeitgeber FC Bayern auf der anderen Seite. In einem Halbfinale der Champions League, das alle in seinen Bann zieht.
Er mag den Fans des FC Barcelona zwar gesagt haben, sie würden ihn nie verlieren. Tief in sich drin wird er aber gehofft haben, ihnen so bald nicht wieder gegenüber zu stehen – sei es nur auf diese Art.
Wenn man Guardiola durchschneiden würde, würde man sehen, dass er mit jeder seiner Faser, mit jedem Tropfen Blut ein patriotischer Katalane ist. Ein echter "Cule", wie sich die Barça-Fans nennen. Er ist also zuallererst Barça-Fan – und sein Job in München startet nicht früher als Ende Juni.
In München sollte man sich deshalb nicht betrogen fühlen. In Pep steckt ein Vollprofi. Nicht umsonst hat er in Barcelona in vier Jahren 14 von 19 möglichen Titeln geholt. Nicht umsonst hat er dafür sein Privatleben, seine Gesundheit und beinahe auch seinen Verstand aufs Spiel gesetzt.
Als der Isländer Eidur Gudjohnson 2008 in Peps erstem Jahr es nicht schaffte, in die erste Elf zu kommen, fragte er den Trainer: "Was soll ich tun, was verlangst du von mir?" – "Dein Leben", antwortete Pep, vollkommen ernst wie emotionslos. So war Pep selbst – als Spieler und als Trainer.
Deswegen fordert er es auch von seinen Spielern ein. Guardiola hat Barcelona als ein erschöpfter, beinahe gebrochener Mann verlassen, weil er fühlte, dass er seine Spieler nicht mehr auf das Niveau bringen konnte, das er von ihnen verlangte.
Dass er nun den FC Bayern gewählt hat, liegt daran, dass ihm alles zusagte, was er vom Tag seines ersten Gesprächs mit Bayerns Bossen im vergangenen Sommer in seinem katalanischen Zuhause über Bayern erfuhr.
Aber wen will Guardiola siegen sehen? Gewinnt Bayern, holt es den Champions-League-Pokal und vielleicht das Triple, was könnte er noch erreichen? Guardiola hat Barcelona verlassen, um den Druck, alles gewinnen zu müssen, auch woanders zu spüren. Um zu sehen, ob er es schaffen kann, seine Methodik und seinen Spielstil woanders zu etablieren.
Dass Louis van Gaal schon bei Bayern war, mag ihm in fußballerischen Bereichen helfen – beide haben mehr oder weniger dieselbe Idee vom Fußballspiel. Die Anforderung würde also sein, Europas Spitze zu verteidigen, eine harte Aufgabe. Er würde sich darauf Freude.
Und was, wenn Barcelona gewinnt? Würde er es gutheißen, dass sein Barça, das er zurückgelassen hat, ohne ihn genau so erfolgreich, ja sogar noch erfolgreicher als vergangene Saison ist? Die Antwort ist: ja! Pep wusste vergangenen Sommer, dass es an der Zeit war, der Mannschaft ein neues Gesicht, neue Befehle zu geben.
Sein Assistent Tito Vilanova, zu dem er kaum mehr Kontakt hat, scheint die richtige Medizin gewesen zu sein, auch wenn er einige Pep-Elemente aus dem Spiel verbannen musste. Die Konsequenz: Barcelona spielt kein so engagiertes Pressing mehr, hat weniger Ballbesitz und kassiert mehr Gegentore.
Doch schafft es Barcelona nach Wembley, würde es den Barça-Fan Pep Freude, denn es wäre die Bestätigung seiner Arbeit, wenn auch mit einer Dosis Tito.
In Deutschland und fast ganz Europa wird Pep als eine Kreuzung als dem Messias und Superman angesehen. In Wahrheit ist er jemand, der alles gibt, was er hat. Mit den Worten von Thomas Edison gesagt, besteht Pep also eher aus einem Prozent Inspiration – und 99 Prozent Schweiß.
Eines Tages wird ihn sein Weg vielleicht wieder nach Barcelona führen. Vielleicht als Präsident, als Sportdirektor. Ab Juni wird er jedoch erstmal seinen ganzen Schweiß in den FC Bayern investieren und alles daran setzen, Titel zu gewinnen.
Mit ziemlicher Sicherheit wird er sich selbst wieder die obsessiven Rituale auferlegen, die ihn bei Barcelona so erfolgreich gemacht haben. Um das zu tun, was er am besten kann: gewinnen.