Pep, der Kontrollfreak - Erlebnisfußall? Ergebnisfußball!

München - Es ist noch nicht lange her, da ging es beim FC Bayern vor allem darum, welcher Torrekord denn nun als nächstes fallen würde. Knackt Robert Lewandowski etwa die 40-Tore-Marke, die Gerd Müller einst in der Bundesliga und eigentlich ja für die Ewigkeit aufgestellt hatte? Durchbrechen die Bayern der Neuzeit am Ende gar die 100-Tore-Schallmauer, die ihnen Müller, Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer und Co. – ebenfalls in der Saison 1971/72 und mit insgesamt 101 Treffern – hinterlassen haben?
Anlass dazu gaben die Galaauftritte und Torfestivals, die die Münchner in der Hinrunde gleich reihenweise ablieferten. Selbst in den Topspielen wurden die Konkurrenten da bisweilen deklassiert: Das 5:1, mit dem Dortmund, Wolfsburg und Arsenal jeweils wieder aus München nach Hause geschickt wurden, wurde zum neuen bayerisches Lieblingsergebnis.
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Seit kurzem gibt es dafür nun allerdings einen neuen, ernsthaften Bewerber: das 1:0. Mit jenem Endstand entschied der FC Bayern nämlich seine drei letzten Pflichtspiele (gegen Köln, Frankfurt und Lissabon). Das Team von Trainer Pep Guardiola liefert aktuell Ergebnis- statt Erlebnisfußball.
2016 gewann der FC Bayern nur zwei seiner 15 Spiele (elf Siege, eine Niederlage) höher als mit zwei Toren Differenz – bei Zweitligist Bochum (Pokal, 3:0) und gegen Abstiegskandidat Bremen (5:0). 2,7 Toren im Schnitt aus der Hinrunde stehen nun zwei Treffer gegenüber.
„Ich weiß nicht“, sagte Guardiola über Ursachen für den Rückgang. Gegen Benfica sei es das Wichtigste gewesen, „das zu verhindern, was gegen Juventus passiert ist“, führte der Spanier dann aus: „Ich wollte mehr Kontrolle. Dann kreierst du weniger Torchancen.“ Außerdem würden in der aktuellen Phase „alle Mannschaften für ihre Ziele“ kämpfen. „Da ist es nicht einfach.“ Außerdem hätte von den letzten sieben Gegnern „nur eine Mannschaft mit Viererkette gespielt. Alle anderen mit Fünferkette“. Gleichzeitig verwies Guardiola aber auch auf die eigene verbesserte und „sehr wichtige“ defensive Stabilität. „Wir haben kein Gegentor in den letzten drei Spielen bekommen, Manu in der Bundesliga nur 13 Gegentore.“
In Guardiolas Debütsaison hatte sein Team die Bundesliga noch mit einem Torverhältnis von 94:23, im Folgejahr mit 80:18 abgeschlossen. Aktuell stehen die Bayern bei 66:13. Damit steuern sie tatsächlich auf eine neue Defensivbestmarke zu, auf Torrekorde dagegen nicht. Mit 67 Toren stellt Verfolger Borussia Dortmund aktuell sogar die beste Offensive der Liga.
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Im BVB, der nur fünf Punkte Rückstand auf die Bayern hat, sieht Guardiola auch den entscheidenden Unterschied zu den vergangenen Spielzeiten, in denen sein Team jeweils in der entscheidenden Saisonphase aus dem Rhythmus gekommen war. „Im ersten Jahr waren wir zu dieser Zeit schon deutscher Meister, im zweiten fast. Unser Kopf war nicht mehr da“, sagte Guardiola über die Niederlagen, die er im Frühjahr 2014 und 2015 hinnehmen musste. Auch wenn das Aus jeweils im Halbfinale der Champions League auf die „top, top, top Qualität“ der Gegner Real Madrid und FC Barcelona – und nicht auf Münchner Nachlässigkeit zurückzuführen sei. „Jetzt haben wir mit Borussia Dortmund einen Gegner, der deutscher Meister wäre, wenn Bayern München nicht da wäre. Wir können es uns nicht erlauben, darauf zu warten, dass sie einen Fehler machen“, sagte Guardiola, „wir müssen, wir müssen. Vielleicht ist das gut für uns“.
So sei Guardiolas Einschätzung nach von den verbleibenden sechs Bundesligapartien nun „jedes Spiel ein Finale, um unser wichtigstes Saisonziel zu erreichen“. Das erste steht am Samstag (15.30 Uhr/Sky) beim VfB Stuttgart an. Guardiola muss beim VfB erneut auf Arjen Robben verzichten. „Die Tendenz ist nicht nächste Woche, leider“, sagte er über eine mögliche Rückkehr seines Flügelspielers. Dieser sitze wie die ebenfalls noch verletzten Holger Badstuber, Medhi Benatia und Jérôme Boateng „mit dem Rotwein zu Hause“, sagte Guardiola scherzhaft.
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Auf sein Rotwein-Quartett muss er auch in seinen Gedankenspielen für das Viertelfinal-Rückspiel, das am kommenden Mittwoch in der Champions League bei Benfica ansteht, wohl noch weiterhin verzichten. „Ich kann nicht in die Köpfe der Spieler schauen“, sagte Guardiola mit Blick auf die Partie, „aber ich hoffe, dass sich die Spieler auf Stuttgart fokussieren“. Bislang ist ihnen in dieser Saison jener Fokuswechsel nach Auftritten in der Königsklasse immer gelungen. Alle acht Bundesligaspiele im Anschluss daran wurden gewonnen. Die letzten beiden mit 1:0. Julian Buhl