Paul Potts: "Drama, Dramatik, Leidenschaft"
AZ: Herr Potts, erklären Sie uns doch mal den Mythos Wembley. Sie als einer der populärsten Tenöre der Welt haben dort ja schon gesungen. Dort, wo am Samstag das Champions-League-Finale zwischen den Bayern und den Dortmundern steigt.
PAUL POTTS: Das war einer dieser Momente, die man – egal, wie viel man schon sonst erlebt hat – lange für irreal hält. Es sind tiefgreifende Emotionen, die an den Ursprung deines Selbst gehen. Es hat – wir reden hier ja von England – geschüttet, wie es nur regnen kann. Dann aber diese erhabene Stimmung zu spüren, das ist wunderbar. Ich wünsche allen Spielern beim Finale, dass sie das Gleiche erleben dürfen. Ich hoffe nur, ihnen bleibt der Regen erspart.
Sie wurden berühmt für Ihre Interpretation des Liedes „Nessum Dorma” aus der Oper Turandot von Giacomo Puccini. Das bedeutet so viel, wie „keiner schläft”. Wem wird das Finale den Schlaf rauben, den Bayern- oder Dortmund-Fans?
Ich denke, dass die Bayern-Fans so freudentrunken sein werden, dass sie gar nicht an Schlaf denken werden. Den Dortmundern wird die Trauer den Schlaf rauben. Die Zeit für Bayerns Siegesarie ist gekommen. Fußball und Oper haben viel gemein. Auf beiden Bühnen gehen viele Träume in Erfüllung, aber noch mehr werden zerstört. Das ist immer mit viel Drama, Dramatik und Leidenschaft verbunden. Und wie die Bayern vor einem Jahr gelitten haben!
Sie waren die längste Zeit Ihres Lebens ein Underdog, für wen schlägt Ihr Herz beim Finale in Wembley.
Bayern ist Favorit. Wer Barcelona so vernichtet, muss Favorit sein. Es stimmt, ich war fast immer Underdog und habe auch für die Underdogs in meinem Herzen einen besonderen Platz frei. Aber ich habe zu viele positive Verbindungen zu München, als dass ich hier gegen sie sein könnte. Wäre ich neutral, wäre ich für Dortmund. Bin ich aber nicht.
Wie nimmt man denn in England wahr, dass das Finale ausgerechnet von zwei deutschen Klubs bestritten wird?
Es gibt hier schon Witze. Da zwei deutsche Teams im Finale stehen, muss man kein Elfmeterschießen fürchten, das die englische Seele wieder brechen würde. Zwei deutsche Klubs im Finale, wenn es da Elferschießen gibt, bin ich nicht sicher, ob das Spiel am Samstag entschieden wird, oder ob es bis Sonntag dauert, weil alle treffen. Und die Engländer würden da sitzen, staunen und sich fragen: Wie machen die das? Wie kann man aus elf Metern treffen?
London war zuletzt der Nabel der Sportwelt. Chelsea siegt in der Champions-League und Europa-League, hatte die Olympischen Spiele, die Paralympics. Hat der Olympische Geist London verändert?
Die Londoner sind seitdem freundlicher. Wenn man früher einen Menschen in der U-Bahn angesprochen hat, hat der befürchtet, er steht einem Schwerverbrecher gegenüber. Heute wird man vielleicht noch wie ein Strolch angeschaut, aber nicht mehr wie ein Aussätziger.
Eines der Rituale beim Fußball ist die Seitenwahl vor Spielbeginn durch Münzwurf, kommen da bei Ihnen Erinnerungen auf?
Bei jedem Münzwurf, muss ich daran denken, wie eine Münze mein Leben verändert hat. Ich stand vor der Wahl, ob ich mich bei der Castingshow „Britian’s got Talent” bewerbe oder nicht. Ich wählte Kopf, die Münze fiel so, ich bewarb mich – und seitdem lebe ich einen Traum, der mich vor der Queen, in Wembley singen ließ. Oper und Fußball sind die Bühne für große Träume, meiner ging in Erfüllung.
Viele andere platzten...
Ja. Aber auch ein geplatzter Traum kann noch in Erfüllung gehen. Die Bayern arbeiten ja daran, das wäre große Oper.