Noch nicht ganz reif für den Titel
Das Unentschieden gegen Neapel erdet die Bayern und zeigt: Noch ist die Truppe von Jupp Heynckes nicht bereit für den Titel in der Königsklasse.
Neapel - Man könnte meinen, der SSC Neapel hätte am Dienstag der besten Mannschaft der Welt ein Remis abgetrotzt. „Der SSC Neapel stoppt die überirdischen Bayern. Die Deutschen sind zwar vom technischen Standpunkt überlegen, doch die Neapolitaner reagieren mit Teamgeist und Hartnäckigkeit”, schrieb die „Gazzetta dello Sport.” Und Napoli-Coach Walter Mazzarri versteifte sich gar auf folgende Bemerkung: „Bayern ist derzeit stärker als Barcelona.”
Okay, Mazzarri wollte wohl die Leistung seiner Spieler beim 1:1 gegen die Bayern richtig gewürdigt wissen. Und tatsächlich haben die Münchner dem Spiel in der Nebel-, Lärm- und Laserpointer-Hölle San Paolo (siehe S. 30) gegen einen Gegner, der sich nicht nur vorgenommen hatte, es ihnen nie leicht zu machen, ihren Stempel aufgedrückt. Sie haben gut gespielt, streckenweise sogar sehr gut. Galaktisch oder überirdisch waren sie zu keinem Zeitpunkt. Nicht nur, weil das Spiel eben nicht triumphal, sondern mit einem geerdeten 1:1 endete.
Und so war es an Jupp Heynckes, ein paar Dinge richtig zu stellen. „Spieler sind auch nur Menschen. Und Menschen dürfen auch mal Fehler machen”, sagte der Coach. Er meinte damit originär Mario Gomez, der einen Elfmeter verschossen hatte. Genauso trifft das aber auch auf das Eigentor Holger Badstubers zu, dem der krasse Stellungsfehler Philipp Lahms vorangegangen war. Oder auf die doch einige Male auftretenden Wackler in der Abwehr. Sie waren eben nur bedingt abwehrbereit. Und das gegen Napoli, das zwar keinesfalls schlecht ist, aber eben nicht Barca, Real oder Manchester United.
Die Bayern 2011/2012 sind zweifelsfrei gut, die Mannschaft sehr weit. Doch sie sind noch nicht ganz reif. Das muss nicht schlecht sein. Die Saison endet erst im Mai, erst dann sollte sie ihren Zenith erreichen. Woran sie möglicherweise noch arbeiten müssen:
Stärke / Dominanz: Die ersten 25 Minuten inklusive des frühen Treffers von Toni Kroos und die zehn Minuten nach Gomez’ verschossenem Elfer waren mit das Beste, das ein hochklassiges Fußballspiel bieten kann. Bayern hat Neapel beherrscht, streckenweise sogar mehr als die vor Ehrfurcht erstarrenden Gegner zuletzt in der Bundesliga. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass wir das Spiel verlieren könnten”, sagte Heynckes. Eine wirkliche Spitzenmannschaft hätte den taumelnden Neapoletanern aber nach dem frühen Treffer nach 99 Sekunden nachgelegt und das Ding damit frühzeitig entschieden. „Dass wir die vielen Chancen nicht verwertet haben, müssen wir uns sicher vorwerfen”, sagte Bastian Schweinsteiger. Auch in der Bundesliga war die Chancenverwertung nicht immer gut. Aber da reichte es eben meist auch so.
Charakter: Nach Gomez' verschossenen Elfer protestierte keiner wegen der Laserpointer-Attacke. Bayern machte einfach weiter. Aber sie agierten dann fast schon zu aggressiv – und damit teils auch unüberlegt. „Na klar bist du sauer, wenn du in so einem Spiel nicht führst und willst dann unbedingt noch das Tor machen”, sagte Kroos. Und auch wenn Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge nach dem Spiel explizit von einem „Punktgewinn” und keinem „Punktverlust” sprach und das Achtelfinale so gut wie erreicht ist – die Mannschaft war über das Remis nicht glücklich. „Natürlich bin ich auch enttäuscht, dass wir hier nicht gewonnen haben, Wir waren die klar bessere Mannschaft”, sagte Toni Kroos, „wir müssen mit dem Punkt leben”, meinte Schweinsteiger. Der Siegeshunger ist da.
Coolness/Abgewichstheit: Die Spieler ließen sich von den Pfiffen gegen sie nicht aus der Fassung bringen. „Die Mannschaft hat sich in diesem Stadion, vor dieser Atmosphäre nicht beeindrucken lassen. Da haben andere große Mannschaften schon ganz andere Probleme gehabt hier”, lobte Heynckes, „die Mannschaft ist cool und ruhig geblieben, das ist sehr positiv und hat mir gut gefallen.” Als die Kulisse im Stadion nach dem 1:1 in der 40. Minute infernalisch wurde, wirkten sie doch verunsichert. Plötzlich wackelte die Abwehr. Wer weiß was passiert wäre, wenn die Pause nicht gekommen wäre.