Interview

"Läuft nicht alles rund": Das denkt Ex-Kapitän Ballack über die Ära Tuchel beim FC Bayern

Vor dem Liga-Gipfel des FC Bayern gegen Leverkusen schätzt Michael Ballack in der AZ die Situation bei seinen beiden Ex-Vereinen ein – und spricht über den DFB, Rudi Völler und die komplizierte Teamchef-Suche.
von  Patrick Strasser
"Ein sehr intelligenter Trainer, ein guter Kommunikator": Michael Ballack (li.) hält viel von Thomas Tuchel.
"Ein sehr intelligenter Trainer, ein guter Kommunikator": Michael Ballack (li.) hält viel von Thomas Tuchel. © IMAGO / MIS

München - 155 Pflichtspiele (42 Tore) für Bayer Leverkusen, 157 Einsätze mit 62 Toren für den FC Bayern: Vor dem Topspiel am Freitagabend (20.30 Uhr, DAZN und im AZ-Liveticker) gibt es wohl keinen besseren Experten als Michael Ballack.

Im AZ-Interview verrät der ehemalige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, welchen seiner Ex-Vereine er derzeit im Vorteil sieht und was er von den Bundestrainer-Kandidaten für die DFB-Elf erwartet.

AZ: Herr Ballack, bevor wir zum Duell Ihrer ehemaligen Klubs, zwischen Meister FC Bayern München und Herausforderer Bayer Leverkusen diesen Freitagabend kommen, möchten wir zunächst über den Mann der Woche sprechen: Rudi Völler. Mit ihm als Teamchef sind Sie 2002 Vize-Weltmeister geworden, nun hat er der Nationalelf neues Leben eingehaucht. Wie macht der Mann das?
MICHAEL BALLACK: Weil er sympathisch ist, immer authentisch. Seine Vita, seine Erfahrung und seine Erfolge sprechen sowieso für sich. Ein Multitalent. Er hat es in der Kürze der Zeit hinbekommen, das Komplettpaket aller Anforderungen souverän wegzumoderieren und hat dabei ein gutes Bild abgegeben. Aber Rudi ist bescheiden genug, um das Lob dann auch weiterzugeben, zu verteilen.

Michael Ballack zur Bundestrainer-Suche: "Der Erfolg steht über allem"

Gegen Frankreich ist der 63-Jährige nun eingesprungen, hat alle Herzen gewonnen. Wird er sich erneut erweichen lassen, bei Bedarf weiterzumachen?
Rudi bleibt bei seinem Nein. Er hat sehr freundlich, aber bestimmt und nachvollziehbar abgesagt. Das ist kein Thema für ihn.

Hatten in der Nationalmannschaft ein enges Verhältnis: Rudi Völler (li.) und Michael Ballack.
Hatten in der Nationalmannschaft ein enges Verhältnis: Rudi Völler (li.) und Michael Ballack. © IMAGO / MIS

Wer sollte Ihrer Meinung nach nun der Nachfolger als Bundestrainer werden? Zur Wahl stehen unterschiedliche Trainertypen – und Generationen wie Julian Nagelsmann oder etwa Louis van Gaal.
Das ist schwierig, bei konkreten Namen halte ich mich raus. Joachim Löw und Hansi Flick waren sich doch recht ähnlich in ihrer Herangehensweise, haben nahezu eine Sprache gesprochen, aber das hat eben nicht mehr gegriffen. Generell ist es heutzutage auch in der Nationalmannschaft kompliziert, langfristig zu planen, weil das ja dann sehr stark auf einen Trainer und dessen Ausrichtung bezogen wäre. Ich finde, das Perspektivische müsste man aktuell unterordnen, weil der Erfolg über allem steht.

In neun Monaten beginnt die Heim-EM 2024. Wäre also auch eine Lösung bis inklusive des Turniers denkbar?
Natürlich, das kann man machen. Auch in der Trainerbranche ist eine hohe Fluktuation zu sehen und Topspieler, wie es nun mal die Nationalspieler sind, müssen in der Lage sein, sich auch kurzfristig auf Neues einzustellen und dennoch ihre Bestform abzurufen. In der Nationalelf geht es um das Momentum. Die über einen längeren Zeitraum besten Spieler sollen das Gerüst einer Mannschaft bilden, da kann man auch mal experimentieren, aber eben nicht zu viel. Das Gros der Mannschaft muss stehen, um dann die Schwächen zu finden und auszumerzen.

Kann Leverkusen dem FC Bayern gefährlich werden? "Vergangenheit zeigt, dass sie Dellen erleiden"

Nun zum Duell zweier Top-Trainer, die sich am Freitag gegenüberstehen. Xabi Alonso fordert mit Leverkusen Thomas Tuchel und dessen Bayern. Wie beurteilen Sie die Arbeit des Spaniers?
In Mönchengladbach haben die Leverkusener souverän und überzeugend gewonnen – so gut habe ich sie lange nicht gesehen. Alonso hat als Spieler mit seinen Stationen Real Madrid, Liverpool und Bayern eine herausragende Schule gehabt. Er hat das Fachwissen, punktet mit Inhalten und seiner natürlichen Autorität, ist auch dank all seiner Erfolge eine Respektsperson. Dazu ist er ein guter Typ, kommt gut an. Die Voraussetzungen sind top, aber nicht jeder hat dann automatisch auch Erfolg.

Einer wie Alonso ist sicher auf dem Zettel der Topklubs, bei denen er war – vor allem von Real, weil Carlo Ancelotti nach Saisonende in Madrid aufhört. Und gerade bei Bayern kann es ja nie schaden, einen Plan-B-Trainer in der Hinterhand zu haben.
Wenn du Erfolge hast und die Spielweise heraussticht, dann bist du begehrt auf dem Trainermarkt, völlig klar. Es hängt von seiner weiteren Entwicklung ab. Alonso sammelt gerade seine Erfahrungen als Cheftrainer, braucht aber auch mal eine schwierige Phase, eine Durststrecke. Ich wünsche ihm das nicht, aber das macht was mit dir, bringt dich weiter.

Heiße Duelle auf dem Feld: Nach der Karriere wurde Michael Ballack (li.) TV-Experte, Xabi Alonso schlug eine vielversprechende Trainer-Karriere ein.
Heiße Duelle auf dem Feld: Nach der Karriere wurde Michael Ballack (li.) TV-Experte, Xabi Alonso schlug eine vielversprechende Trainer-Karriere ein. © IMAGO / Ulmer

Kann Bayer aktuell den Bayern schon gefährlich werden?
Aktuell könnten die Leverkusener ihre Position mit einem Statement-Sieg untermauern, aber langfristig denke ich, dass sie noch Zeit brauchen. Denn die Vergangenheit hat ja gezeigt, dass sie oftmals Dellen durch Schwächephasen erleiden.

Bei den Münchnern musste Thomas Tuchel im März nach der plötzlichen Entlassung von Julian Nagelsmann einen Kaltstart hinlegen.
Die Frage bei solch einem Neuanfang ist ja: Ziehen alle sofort mit? Der Einstieg war schwierig für Tuchel, da nicht alle im Umfeld, bei den Fans und in den Medien die Trennung von Nagelsmann zu 100 Prozent verstanden haben. Als Nachfolger spürst du, dass der Weg noch nicht komplett frei ist. Aber Tuchel hat es gut moderiert.

"Das erzeugt Reibung": Bringt Thomas Tuchel den FC Bayern in die Spur?

Bekommt Tuchel es nun hin, die Bayern zu stabilisieren bei all den Nebengeräuschen im Verein und im Umfeld?
In der Rückrunde waren die Schwankungen in der Leistung der Mannschaft erkennbar. Bayern hat auch jetzt einen hervorragenden Kader, dennoch läuft noch nicht alles rund. Aber Tuchel ist ein sehr intelligenter Trainer, ein guter Kommunikator. Er bringt alles mit, um in München auch langfristig Erfolg zu haben – obwohl die Ansprüche der Bosse bekanntermaßen sehr, sehr hoch sind.

Tuchel tritt bisher sehr direkt und ehrlich auf, ist dadurch aber auch unbequem. Kommt das bei der Führungsetage gut an?
Aus meiner Sicht ist Tuchel den Spielern und seinem Umfeld gegenüber ein sehr fordernder Trainer, intern arbeitet er sehr akribisch. Er spricht die Dinge offen an, äußert sich vielleicht nicht immer politisch korrekt. Das erzeugt Reibung, kann aber auch gut sein.

Zuletzt: Welcher Ihrer früheren Vereine setzt sich am Freitagabend in der Allianz Arena durch?
Es verspricht, ein absolutes Topspiel zu werden, kann in alle Richtungen ausgehen. Die Bayern haben den kleinen Vorteil, zu Hause zu spielen. Die Leverkusener Spieler müssen nach der Länderspiel-Periode, nach Rückkehr von ihren Einsätzen in aller Welt, nochmal nach München reisen – das ist schon stressig, weil der Zeitplan so eng ist. Es wäre ein Stück Normalität, wenn die Bayern ihren Anspruch und ihre Vormachtstellung in so einer Situation untermauern. Erstens, weil sie mit den Umständen besser umgehen können und zweitens, weil sie ein Zeichen setzen wollen.  

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