Neuzugang des FC Bayern: Leon Goretzka im Interview mit der Abendzeitung

Bayerns Neuzugang spricht im AZ-Interview über den Jahrgang '95 – Kimmich, Süle, Gnabry –, mit dem er viel erlebt hat, seine Heimat Bochum, Vorbild Kroos und Ziele: "Wir können drei Titel gewinnen!"
von  Julian Buhl
Bayern-Star Leon Goretzka mit den AZ-Redakteuren Maximilian Koch (l.) und Julian Buhl (r.).
Bayern-Star Leon Goretzka mit den AZ-Redakteuren Maximilian Koch (l.) und Julian Buhl (r.). © AZ

München - AZ-Interview mit Leon Goretzka: Der 23-jährige Nationalspieler wechselte zu dieser Saison von Schalke 04 zum FC Bayern.

AZ: Herr Goretzka, ganz ehrlich: Wie groß war der Kulturschock für Sie, als Kind des Ruhrgebiets ins schillernde München zu kommen?
LEON GORETZKA: Es ist auf jeden Fall anders hier (lacht). Bis jetzt war ich noch nie wirklich von zuhause weg. Auch als ich bei Schalke gespielt habe, habe ich ja in meinem Elternhaus in Bochum gewohnt. Zwar mit eigener Wohnung, aber wenn ich mal keine Butter mehr hatte, bin ich einfach eine Etage tiefer gegangen und habe sie bei meinem Papa geholt. Es war ein bewusster Schritt raus aus dieser Situation. Ich liebe meine Heimat Bochum, in München fühle ich mich aber auch sehr wohl.

Haben Sie eigentlich noch Ihre Dauerkarte beim VfL Bochum?
Die nutzt zum Großteil mein Vater. Von der Logistik her ist es schwierig für mich, die Spiele zu besuchen. Aber wenn ich kann, gehe ich gerne zum VfL. Ich träume immer noch davon, dass der VfL irgendwann wieder in die 1. Liga aufsteigt. Bochum würde der Liga viel geben. Ich habe schon bei Schalke kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich am VfL hänge.

Klingt nach: Bochumer Junge für immer.
Natürlich!

Sie sind 23 Jahre, haben schon mit 17 in der 2. Liga gespielt. Viel Zeit, die Jugend zu genießen, hatten Sie nicht. Bedauern Sie das manchmal?
Man denkt schon darüber nach, etwas verpasst zu haben. Den meisten ist nicht bewusst, dass Fußballer in jungem Alter kein normales Leben führen. Viele Dinge, auf die ich verzichten musste, haben meinen Freunden viel Spaß bereitet. Aber wenn man die Geschichte umdreht, konnte ich viele coole Sachen erleben, die meine Freunde nicht erlebt haben. Der Fußball hat mir viel ermöglicht, wunderschöne Momente. Es hat immer zwei Seiten. Ich führe ein sehr schönes Leben, würde nicht tauschen wollen.

Bayern-Star Leon Goretzka mit den AZ-Redakteuren Maximilian Koch (l.) und Julian Buhl (r.).
Bayern-Star Leon Goretzka mit den AZ-Redakteuren Maximilian Koch (l.) und Julian Buhl (r.). © AZ

Ihre Freunde sagen, Sie wären auch ein guter Anwalt geworden. Wie kommen die darauf?
(lacht) Ich gehe einer Diskussion nicht unbedingt aus dem Weg, daran könnte es liegen. Grundsätzlich habe ich versucht, mir durch das Abitur alle Möglichkeiten offenzuhalten, damit man sich den Beruf oder den Studiengang aussuchen kann, falls es mit der Fußballkarriere aus irgendwelchen Gründen nicht weitergeht. Anwalt wäre etwas, das mich interessieren würde. Vielleicht wäre ich tatsächlich geeignet.

Zunächst sollen Sie aber natürlich den FC Bayern verstärken. Hermann Gerland hatte diese Idee bereits, als Sie gerade 17 waren.
Es ist kein Geheimnis, dass Gerland ein Förderer von mir ist. Er kommt ja auch aus Bochum, hat viele Spiele von mir in der Jugend gesehen. Neulich hat er mich willkommen geheißen und gesagt: "Ich hätte dich ja schon fünf Jahre früher geholt. Endlich bist Du hier!" Vielleicht fühlt er sich jetzt auch ein bisschen bestätigt.

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Leon Goretzka: Absage an Real und Barca

Real Madrid wollte Sie vor einigen Jahren verpflichten, zuletzt war auch der FC Barcelona sehr interessiert. Warum haben Sie sich trotzdem für den FC Bayern entschieden?
Es war ein langer Prozess, ich habe mir unheimlich viele Notizen gemacht und die Faktoren abgewägt. Am Ende habe ich einen Strich daruntergezogen und es kam Bayern heraus. Für mich gehört Bayern zu den besten Vereinen. Wenn man die letzten zehn Jahre betrachtet, hat Bayern auch in Europa immer vorne mitgespielt.

Sie haben gesagt, dass man einem gestandenen Spieler auch mal auf die Füße treten muss, "um Aufmerksamkeit zu erzeugen". Schon erledigt in den ersten Bayern-Wochen?
Nein. Aber ich kann es nicht leiden, wenn junge Spieler auf dem Spielfeld still sind, sich verstecken, Zweikämpfen aus dem Weg gehen. Und im Nachhinein sagen: Warum stellt mich der Trainer nicht auf? Ich finde, man sollte neben dem Platz erst mal den Mund halten und auf dem Platz zeigen: Ich bin da, ich will, ich haue mal dazwischen, bin bereit!

Woher kommt bei Ihnen dieser Wille, eine Führungsfigur zu sein?
Es hat bei mir früh angefangen, ich hatte schon in der U16-Nationalmannschaft die Kapitänsbinde. Man ist ein Stück weit dafür gemacht oder nicht.

Sie fühlen sich in der Rolle offenbar sehr wohl.
Ich stelle mich jetzt nicht hin und sage: Ich will sofort Führungsspieler bei Bayern werden. Aber grundsätzlich liegt mir diese Rolle. Mir haben einige Leute in der Vergangenheit bestätigt, dass ich das kann. Das bestärkt mich.

Goretzka: Toni Kross ist mein Vorbild

Vor einigen Jahren sagten Sie, dass Toni Kroos Ihr Idol wäre und dass Sie ihn gern mal treffen würden.
Das hat ja geklappt (lacht).

Ist er immer noch ein Vorbild?
Absolut. Er ist ein außergewöhnlicher Fußballer und auch auf seine Art ein starker Charakter. Wenn man sich anschaut, was er in seiner Karriere alles erreicht hat, ist das absolut außergewöhnlich. Wie viele Champions-League-Titel und andere Trophäen er schon gewonnen hat – da fehlen einem fast die Worte.

Wie gehen Sie mit der Konkurrenzsituation im Bayern-Mittelfeld um? Rechnen Sie sich viel Spielzeit aus?
Natürlich brauchst du Spielzeit, um reinzukommen. Ich habe versucht, in der Vorbereitung Vollgas zu geben. In den letzten Spielen bin ich oft eingewechselt worden, das ist für mich schon ungewohnt. Ich sehe mich grundsätzlich nicht als Spieler, der reinkommt und gleich Dribblings zeigt. Ich möchte jedes Spiel von Anfang an spielen, aber das möchte bei uns jeder. Ich versuche, mit Leistung zu überzeugen, mich so dem Trainer aufzudrängen.

Mario Götze kam 2013 als das Supertalent zu den Bayern und konnte sich nicht durchsetzen. Hat man das im Hinterkopf?
Darüber habe ich bei meinem Wechsel nicht nachgedacht. Ich glaube, das kann man nicht miteinander vergleichen. Ich weiß, was ich für ein Typ bin, und das ist entscheidend. Ohne jemand anderem da etwas absprechen zu wollen, ist es ganz wichtig, dass du vor allem mental stark bist. Der Verein hier ist riesengroß. Gerade unter Jürgen Klopp in Dortmund oder bei mir bei Schalke ist das im Vergleich schon noch mal einen Tick kleiner. Da musst du mental absolute Stärke entwickeln, um das zu schaffen. Ich hoffe, dass ich das hinkriege.

Sie wirken recht optimistisch.
Klar, sonst hätte ich es nicht gemacht. Den Schritt zu Bayern darfst du nur machen, wenn du dir sicher bist.

Goretzka ist hungrig auf Titel

Wie viele Titel sollen es denn sein in Ihrer ersten Saison?
Wie viele gibt es denn zu gewinnen?

Den Supercup haben Sie ja schon. Drei Titel sind noch möglich.
Dann können wir drei gewinnen!

Wäre Ihre erste Meisterschaft etwas Besonderes für Sie – oder fasziniert die Champions League mehr?
Grundsätzlich ist die Champions League einen Tacken höher anzusiedeln. Das ist der Titel, der schwieriger zu gewinnen ist. Aber ich Freude mich über jeden Titel – so wie beim Supercup. Das war für mich auf Vereinsebene der erste Titel. Ich glaube, dass das auch das Erfolgsgeheimnis von Bayern ist, dass sie immer Leute dazu holen, die hungrig bleiben. Ich bin total hungrig! Darin sehe ich ein Stück weit meine Aufgabe, dass man immer weitermachen, Titel gewinnen und nach dem Besten streben will. Das müssen wir uns beibehalten.

Sie gehören wie Joshua Kimmich, Serge Gnabry und Niklas Süle zum Jahrgang 1995. Haben Sie den gemeinsamen Traum, mit Bayern und der Nationalelf eine Ära zu prägen?
Bei mir ist das definitiv so. Es ist auffällig, dass unser Jahrgang immer sehr stark war. In der U17 hatten wir eine sehr erfolgreiche Zeit, in der U19 und U21 sind wir Europameister geworden, haben dann Silber bei Olympia in Rio geholt. Von den Jungs waren auch viele beim Confed-Cup-Sieg dabei. Es ist alles vorbereitet, jetzt müssen wir den nächsten Schritt gehen, uns alle etablieren – dann können wir zusammen angreifen.

Der Zusammenhalt der 95er scheint groß zu sein.
Auf jeden Fall, das ist gewachsen. Ich kenne die Jungs schon, seit wir 14, 15 sind. Jo Kimmich und Serge Gnabry kennen sich aus Stuttgart noch länger. Wir sind zusammen diesen Weg gegangen, jeder auf seine Art und Weise. Jetzt treffen wir alle bei Bayern wieder aufeinander. Das ist insgesamt schon eine echt romantische Geschichte, finde ich.

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