"Neuer braucht keine Ecken und Kanten"
AZ: Herr Schumacher, stimmt es, dass Sie mit Karl-Heinz Rummenigge und Paul Breitner früher Elfmeter-Wetten abgeschlossen haben und die Schulden dann noch auf dem Platz beglichen wurden?
TONI SCHUMACHER: Das ist schon mal vorgekommen.
Klingt interessant. . .
Paul Breitner war ja ein guter Elfmeterschütze und hat sich durch die Wette sicher nicht aus der Ruhe bringen lassen. Bei Breitner hat das leider nicht so oft geholfen, aber es hat den Nervenkitzel schon ein bisschen erhöht. Aber wenn ich mich so an die Wetten mit Karl-Heinz Rummenigge zurückerinnere, bin ich aus der Nummer eigentlich ganz gut rausgekommen. . .
Und dann wurden tatsächlich Geldscheine gezückt?
Ja, den ein oder anderen hatte man schon im Stutzen dabei. Das sind ja Ehrenschulden, die muss man sofort begleichen.
Welche Wette würden Sie den beiden jetzt vor dem Spiel zwischen dem FC Bayern und Ihrem 1. FC Köln anbieten?
Das ist etwas anderes. Ich bin auch ein ganz schlechter Zuschauer. Du sitzt auf der Tribüne und kannst nicht mehr eingreifen. Das ist ein komisches Gefühl für mich. Wetten kann man besser, wenn man selber mit dabei ist.
Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass der 1. FC Köln der Bayern-Jäger Nummer eins ist?
Ich weiß, dass wir von mehr als 80 Spielen 46 nicht verloren haben. Wir waren immer ein bisschen der Angstgegner des FC Bayern.
In der Auswärtstabelle steht Köln aktuell auf dem zweiten Tabellenplatz, direkt hinter Bayern. . .
Können wir das nicht auf die gesamte Tabelle übertragen? (lacht) Diese Bilanz liegt auch an unserer Art, Fußball zu spielen. Wir haben Spieler, die aus einer organisierten Defensive heraus sehr gut kontern können.
Heute war zu lesen, dass Manuel Neuer 2006 fast beim 1. FC Köln gelandet wäre. Der damalige Trainer Hanspeter Latour hat das verraten. Schade, oder?
Das habe ich jetzt auch zum ersten Mal gehört. Wer weiß, ob er heute noch bei uns spielen würde, wenn er die gleiche Entwicklung genommen hätte. Wir haben mit Timo Horn auch so einen jungen Wilden. Er war ein wichtiger Garant dafür, dass wir aufgestiegen sind. Auch dass wir bisher so wenige Gegentore bekommen haben, ist mit ein Verdienst von ihm.
Wie haben Sie die Weltfußballerwahl erlebt? Hätten Sie sich gewünscht, dass Manuel Neuer als Torhüter den Titel gewinnt?
Ich habe ja selbst den Silbernen Ball schon gewonnen, 1986 hinter Diego Maradona. Es ist einfach schwer für Torhüter, diesen Titel zu holen. Manuel Neuer hätte es meiner Meinung nach mit Abstand verdient. Aber wir wissen nicht, welche Einflüsse da eine Rolle spielen. Von daher muss er nicht allzu traurig sein. Es ist besser, den WM-Pokal im Regal stehen zu haben als den Goldenen Ball.
Wie nehmen Sie das als früherer Weltklassetorhüter wahr, wie sehen Sie ihn, wenn er beispielsweise mit der Hacke vor dem Strafraum klärt?
Ich war auch ein Torhüter, der das geliebt hat: weit aus dem Sechzehner raus, Steilpässe abfangen. Von daher gefällt mir das Spiel, das Manuel Neuer heute zelebriert. Neuer ist darüberhinaus ein netter Kerl, charakterlich einwandfrei. Mit ihm haben wir einen Supertorwart als Nationalkeeper.
Glauben Sie, dass er überhaupt einen ernsthaften Herausforderer um den Platz im Tor der Nationalelf hat? Barcelonas Ter Stegen oder Horn?
Jetzt Timo Horn als Jäger von Manuel Neuer auszurufen, ist etwas verfrüht und würde dem Jungen nicht helfen. Aber trotzdem sind da einige Torhüter, wie Leno, ter Stegen oder irgendwann auch Horn, die Druck auf Neuer ausüben. Rene Adler war auch mal fast unantastbar. Dann hat er sich verletzt.
Wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf bei Neuer?
Er ist schon sehr komplett. Aber das Interessante ist ja, dass sehr gute Torhüter sehr unterschiedliche Typen sein können. Was mich groß gemacht hat, war meine Einstellung: nie aufgeben, immer weiter, immer versuchen, besser zu werden. Mein großes Vorbild war Sepp Maier, obwohl der einen ganz anderen Stil hatte. Aber seine Einstellung zu seinem Beruf war beeindruckend. Oliver Kahn war zu seiner Zeit der beste Torwart und wieder etwas anders. Es ist immer schwer, diese Jungs miteinander zu vergleichen.
Den Torhüter-Typ mit Ecken und Kanten, wie Kahn, verkörpert Neuer ja nicht gerade. Fehlt ihm das vielleicht in seiner Ausstrahlung?
Neuer braucht keine Ecken und Kanten, solange bei Bayern alles läuft wie geschmiert. Das ist dann gefragt, wenn es mal ein bisschen brenzlig wird. Aber wann wird es bei den Bayern schon mal brenzlig?
Derzeit versucht sich Mitchell Weiser beim FC Bayern. Als er sich vom 1. FC Köln verabschiedete, galt er als eines der größten Talente im deutschen Fußball.
Er war immer ein talentierter Spieler, aber die Konstanz fehlt ihm natürlich noch. Er hat es schwer in München. Wenn man als so junger Spieler zum FC Bayern kommt, muss man extraordinär sein, um sich gegen Arjen Robben, Thomas Müller und die ganzen anderen Weltmeister und Weltklassespieler dort durchzusetzen. Es würde ihm sicher gut tun, regelmäßiger zu spielen.
Sein Vertrag bei Bayern läuft im Sommer aus. Ist er nicht ein Spieler, mit dem sich Köln beschäftigt?
Solche Dinge entscheidet bei uns die sportliche Leitung um Jörg Schmadtke. Spontan glaube ich nicht, dass er bei uns ins Konzept passt.
Mit Lukas Podolski gibt es noch einen weiteren Exil-Kölner, der sich ebenfalls bei Bayern nicht durchsetzen konnte.
Nach seinem Wechsel zu Inter Mailand habe ich ihn etwas aus dem Fokus verloren. Damals hätte ich ihm geraten: ,Wenn du zu Bayern willst, gerne. Aber geh vorher noch mal woanders hin und verdien dir ein paar Sporen.’ Er war auch sehr jung. Man wird dann oft damit abgestempelt, dass man es bei Bayern nicht geschafft hat. Dabei ist das keine Schande. Die wenigsten schaffen es bei Bayern.
Viele Köln-Fans träumen von einer erneuten Rückkehr des verlorenen Sohnes.
Lukas Podolski wird dieses Jahr 30. Wir haben rund 24 Millionen Euro Schulden. Damit ist eigentlich schon alles gesagt.