Nervosität? Kenne ich nicht!
MAILAND Die Geschichte des Giuseppe-Meazza-Stadions im Mailänder Stadtteil San Siro ist auch die von bajuwarischen Torwarthelden. Thomas Kraft, heute 22 Jahre alt, war zarte 12 Jahre alt, als aus Oliver Kahn im Elfmeterschießen kurz vor Mitternacht des 23.Mai 2001 ein Titan wurde. Kahn hielt drei Mal, Valencia war im Champions-League-Finale besiegt, der Fluch von 25 pott-losen Jahren ebenfalls.
Noch nicht mal fünf Monate alt war Kraft, als Raimond Aumann einen neuen Namen bekam: Am 7. Dezember 1988 hielt er im Uefa-Cup-Achtelfinal-Rückspiel famos. Aus einem 0:2 im Hinspiel gegen Inter wurde ein 3:1, man nannte es das Wunder von Mailand, Aumann wurde „Raimondo milanese” getauft.
Und Kraft? Auf italienisch „la forza”? Was die Champions League betrifft, ist er noch ein Baby, es ist sein dritter Einsatz nach dem 2:3 beim AS Rom und dem 3:0 gegen Basel. Doch in diesen Partien konnte nichts mehr passieren, Bayern hatte das Achtelfinale bereits erreicht. Es waren Ausbildungsspiele, die Partie am Mittwoch bei Inter ist sein bisher größtes Spiel, seine Feuerprobe. Wird er der Rückhalt, die Forza der Bayern? Trotz seiner Schädelprellung, die er am Samstag beim 3:1 in Mainz erlitten hatte?
„Es geht wieder besser, es passt alles”, sagte er am Dienstag, „ich Freude mich riesig, das ist ein großes und wichtiges Spiel.” Kurz und knapp beantwortete er die Fragen der Reporter vor dem Abflug am Münchner Flughafen. Souverän parierte er alle Angriffe. Die Bedeutung des Spiels! Die Final-Revanche! Dieser Fußball-Tempel! Die 80000! Er muss doch nervös sein.
Kraft blieb locker. „Das sind die Spiele, auf die ich lange hingearbeitet habe”, sagte er. Wie lästige Aufsetzer prasselten die Fragen auf den Mann aus dem Westerwald ein, doch er sagte nur: „Nervosität? Kenne ich nicht. Ich kenne das nicht. Bei mir ist alles wie immer. Ich habe meine Anspannung, natürlich, aber ansonsten mache ich alles wie immer, ganz normal." Cool, cooler, Kraft. Forza, Thomas!
Doch woher kommt die bayerische Bierruhe des Preußen? „Der spielt das nicht, der ist so”, sagte Sepp Maier, der den jungen Keeper ab 2004 zwei Jahre trainiert hatte. „Es ist beeindruckend, wie ruhig und konzentriert er seinen Job macht. Das ist eine seiner großen Stärken.” In den „Tunnel gehen”, so nannte das Kahn früher, Aumann ließ die „Jalousien" runter. Muss man auch, vor allem vor der Fan-Kurve der Interisti in San Siro.
„Es ist sehr laut in diesem Stadion, der Lärmpegel kann enorm sein”, sagte sky-Experte Jens Lehmann, „aber es macht Spaß, als Fußballer will man ja solche Spiele spielen." Auch der Ex-Nationaltorhüter hatte dort sein Schlüsselerlebnis, gewann 1997 mit Schalke im Elfmeterschießen gegen Inter den Uefa-Cup. Lehmann glaubt: „Kraft wird das Spiel entgegenkommen. Inter spielt nicht so über die Außen, Inter flankt nicht so viel. Da muss er nicht so viele Entscheidungen treffen, ob er rauskommt. Das macht es einfacher – und auf der Linie ist er ja stark."
Hält Kraft gegen Inter stark, könnte es seine Trumpfkarte in den Vertragsverhandlungen sein. Wird er zum Helden, könnten Bayerns Bosse eine Verpflichtung von Nationaltorwart Manuel Neuer den Fans schwer vermitteln. „Louis van Gaal hat gezeigt, dass er einen Neuer-Transfer nicht unbedingt bevorzugt”, glaubt Lehmann, „sonst würde er ja jetzt nicht Kraft ins Tor stellen." Jetzt also zeigt sich, ob van Gaal richtig lag mit dem Wechsel.