Nerlinger und Hoeneß: Schlag den Gaal!

MÜNCHEN - Es wird einsam um den eigenwilligen Coach: Sportdirektor Christian Nerlinger kritisiert ihn – wie zuvor schon Uli Hoeneß – scharf. Karl-Heinz Rummenigge eilt ihm nicht zu Hilfe. Der Vorstandsboss hält sich raus.
Nein, nein, reine Routine, hieß es. Eine ganz und gar turnusmäßige Vorstandssitzung sei es, die am Montagnachmittag ab 15 Uhr die Bosse des FC Bayern zusammenführte. Und dennoch wird es nicht allein darum gegangen sein, in großer Runde noch einmal von der zweiten Halbzeit des 5:1 gegen Kaiserslautern zu schwärmen.
Es ging mal wieder ums große Ganze. Um die Außendarstellung und Außenwirkung des Vereins. Kurz: darum, wer das Sagen hat und wer nach außen kommuniziert, dass er das Sagen hat. Zum wiederholten Male hat man sich an Louis van Gaal, dem Trainer, gerieben. An dem, um den die Frage der Bosse kreist, „ob man immer mit dem Kopf durch die Wand muss“.
Die Wand ist dicker geworden dieser Tage. Bestand sie bis vor Wochen im Grunde nur aus Uli Hoeneß, dem Präsidenten, dessen Vorbehalte gegen Charakter und Umgehensweise des Holländers beständiger waren als seine Gelübde, sich darüber auszuschweigen. Nun ist Sportdirektor Christian Nerlinger als Kritiker hinzugekommen. Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, der die erste Konfrontation zwischen Hoeneß und van Gaal im Herbst noch schlichtete, verzichtete am Montag darauf. Er ließ die Dinge laufen. „Dazu möchte ich keinen Kommentar abgeben“, sagte er der AZ. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, die Dinge zu moderieren und dem Trainer unterstützend zur Seite zu springen. Er verzichtete.
„Kurz vor Weihnachten hatten wir ein schönes Abendessen mit dem Aufsichtsrat, sehr harmonisch. Wir gingen in bestem Einvernehmen in den Urlaub“, berichtete Hoeneß in der „SZ“. Da hatte van Gaal seinen Torwart-Coup schon im Hinterkopf. Zum Erstaunen aller Verantwortlichen setzte er Jörg Butt als Nummer eins ab und ernannte Thomas Kraft zum Nachfolger. Zum Entsetzen aller unterrichtete er davon: niemanden. „Van Gaal ist van Gaal, das betont er selbst“, analysierte Hoeneß, „und dazu gehören eben immer wieder Überraschungen.“
Und die sind zuletzt eher unliebsamer Natur. Siehe Freitag, beim jüngsten Fall. Van Gaal hasst es, wenn er der Meinung ist, jemand mischt sich in seine Kernkompetenz ein, das Hoheitsgebiet sportliche Leitung. Egal, wer das ist. Nerlinger hatte zuvor lediglich festgestellt, im Falle des verletzten Franzosen Franck Ribéry könne es mit seinem Comeback „bis zum Spiel in Bremen (29. Januar, d. Red.) knapp werden“.
Daraufhin fauchte der Trainer am Freitag vor dem Lautern-Spiel: „Wer sagt das? Das Wichtigste ist, was ich sage.“ Lediglich der Vereinsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt habe in diesem Punkt sein Vertrauen, ansonsten sei es dem Trainer vorbehalten, über Spieler und ihre Reha-Zeiten Auskunft zu geben. Niemandem sonst.
Das wollte Nerlinger, dessen Verhältnis zum Trainer bis zur Torwart-Rochade als loyal und sehr eng beschrieben werden kann, nicht auf sich sitzen lassen. Er wies die Kritik als „lächerlich“ zurück, konterte: „Es ist nicht die Aufgabe des Trainers, meine Aussagen öffentlich zu kommentieren. Als direkter Vorgesetzter und auch sportlich Mitverantwortlicher ist es mein Recht und auch meine Pflicht, mich zu solchen Dingen zu äußern.“
Nerlinger verschafft sich mit dieser ungewohnten Härte gegenüber dem Trainer ein neues, kantigeres Profil – die Absolution hat er von Hoeneß, der seine Aussage, der FC Bayern sei – anders als wohl in van Gaals Gedankenspielen – „kein Ausbildungsverein“ öffentlich gelobt hatte.
Schlag den Gaal ist wohl in Mode: erst Hoeneß, im Herbst frontal, nun per Seitenhieb, jetzt auch noch Nerlinger, dazu die unterlassene Hilfeleistung von Rummenigge. Viele uneingeschränkte Befürworter hat van Gaal nicht mehr im Verein, sein großes (und bald einziges?) Plus: ein Großteil der Mannschaft schwärmt von seinem Training und seiner Philosophie.
Wenig dezent folgte schließlich Nerlingers Hinweis: „Er muss wissen, dass es in diesem Verein auch andere Personen gibt, die für den sportlichen Bereich verantwortlich sind.“ Das sind die, die über den Trainerjob entscheiden.
Patrick Strasser