Nerlinger macht den Freischwimmer

Der neue Sportdirektor des FC Bayern erklärt, wie er künftig seine Hoeneß-Rolle interpretieren will.
MÜNCHEN Ein Kinder-Turnier in der Allianz Arena. Hohe Jubel-Kiekser, Betreuer-Geplärre. Die Saison ist fast weggeräumt; nur in der Südkurve liegt noch rotweißer Müll. Aufgeräumte Stimmung auch in der Loge: Man trifft sich zum „Business Talk“. Das Thema: „Gesellschaftliche Verantwortung: ein Vorbild in der Krise“. Auf dem Podium: Lutz Spandau, Leiter der Allianz Umweltstiftung, und Ex-Profi Christian Nerlinger, Team-Manager des FC Bayern, ab 1. Juli Sportdirektor. Die Zeiten, als sich Nerlinger im Hintergrund halten konnte, sind zu Ende. Der FC Bayern schickt ihn an die Front. Hören wir mal zu:
Der Moderator, ein Wirtschaftsredakteur, spricht vom „1. FC Bayern“, was Nerlinger zum Einhaken nutzt: „Der Uli Hoeneß sagt immer: Sie dürfen den Tabellenplatz ruhig dazu sagen.“ Kleiner Scherz, lockert die Stimmung, gut so. Nun die Frage: Hat der FC Bayern Leuchtturmfunktion als Verein? Nerlinger sagt: „Beim FC Bayern ist Uli Hoeneß Gesicht für soziale Verantwortung.“ Dann spricht er über das Engagement des Vereins, über FC Bayern Hilfe e. V., über „Ein Herz für Kinder“-Aktionen, die ihm „immer sehr nahe gehen“ - und hinter jedem Satz scheint der Mann durch, „der den Klub mit einer gewaltigen Menschlichkeit führt“ – Uli Hoeneß.
Die spontane Hilfe für einen krebskranken Jungen in Kiew, kurz vor einem Champions-League-Spiel? Hoeneß organisiert die OP in München. Das Freundschaftsspiel bei den Bayern-Hassern von St. Pauli? Eine Hoeneß-Idee. Van Bommels Heimatklub Fortuna Sittard ist in Nöten? Hoeneß sagt: Wir kommen, auch wenn schon Ferien sind. Auch Sätze, die Nerlinger zu allgemeinen Themen formuliert, klingen, als kämen sie aus der Hoeneßschen Denkfabrik. Bildung? „Erziehung darf nicht über den Fernsehkanal ablaufen. Da müssen wir aufpassen, dass es nicht zu einer Verrohung der Sitten kommt.“ Junge Spieler, die viel Geld verdienen? „Die machen nichts falsch, wenn sie das unters Kopfkissen legen.“ Wucher-Preise in der Premier League? „Die ganz verrückten Zeiten sind vorbei. Chelsea kann man für einen Euro übernehmen - aber mit einer Milliarde Verbindlichkeiten bei Abramovic.“ Wirtschaftskrise? „Der FC Bayern wird als einer der wenigen Klubs gestärkt daraus hervorgehen.“ In der Geometrie spricht man von Deckungsgleichheit.
Der Ziehvater sieht das ähnlich, sprach in „Blickpunkt Sport“ von „vielen kongruenten Ansichten“ und von Nerlingers „absoluter Freude für diesen Klub zu arbeiten“. Nerlinger wäre ohne den FC Bayern nicht das geworden, was er ist, sagt Hoeneß, und weiter: „Ich sehe viele Parallelen, auch die Verletzungen, die unsere Karrieren beendeten.“ Nerlinger sagt, er hätte sein Studium für keinen anderen Verein abgebrochen als dieses „sehr besondere Gebilde FC Bayern. Aber der Uli hat mir klar gemacht, dass das hier learning by doing ist, Abteilung Herzblut“. Dabei kam Nerlinger auf Initiative von Jürgen Klinsmann und war als Administrator gedacht. „Im Trainingslager in Dubai hat mir Hoeneß gesagt, dass er sehr zufrieden mit mir ist“, erzählt Nerlinger, „und dass es verschiedene Denkmodelle für die Umstrukturierung gibt.“
Der 36-Jährige ist „sehr sehr stolz, dass er mich ausgewählt hat“, legt aber Wert darauf, nicht der Nachfolger zu sein: „Ich möchte ihn nicht nachahmen, muss nicht das Gesicht des FC Bayern sein wie Oli Bierhoff für den DFB. Hoeneß hat sich in den 30 Jahren eine Kompetenz und eine mediale Wirkung aufgebaut, die natürlich nicht kopierbar ist.“ Er wolle „mehr nach innen arbeiten“, den Verein nicht umkrempeln, sondern „an Stellschrauben drehen“ - und „sich irgendwann mal freischwimmen“. Denn: „Uli Hoeneß legt Wert auf kontroverse Diskussionen. Ich muss nicht kuschen.“
Dass es Hoeneß gemächlich angehen lasse, das brauche niemand zu denken: „Uli Hoeneß zieht sich 0,0 Prozent zurück. Er wird eine ganz dominierende Person werden – anders ist dieser Verein auch nicht vorstellbar.“
Thomas Becker