Nagelsmanns System im Taktik-Check: "Bayern fehlt die Absicherung"
München - An Fußballtraining ist für Alphonso Davies noch immer nicht zu denken. Der 21-jährige Kanadier, der seit Mitte Januar wegen einer Herzmuskelentzündung nach seiner Corona-Infektion ausfällt, wird sich Ende dieser Woche weiteren Kontrolluntersuchungen unterziehen - dann weiß Bayern-Trainer Julian Nagelsmann wohl ungefähr, wann Davies zum Team zurückkehren könnte.
"Phonzy" Davies fehlt den Bayern extrem
Die Münchner und ihr Linksverteidiger hoffen auf März, doch sicher ist das nicht. "Es ist der Best Case eingetreten, was den Heilungsverlauf anbelangt", sagte Nagelsmann zuletzt über Davies.
Der Kanadier fehlt Bayern extrem, er würde aktuell viel lieber an der Säbener Straße die Vorbereitung auf das Spiel bei Eintracht Frankfurt am Samstag (18.30 Uhr) starten, statt wie in diesen Tagen für ein wenig private Zerstreuung in die Türkei zu reisen. Aber das ist die Realität. "Natürlich vermissen wir Phonzy, er ist wichtig für unser Spiel", sagte Nagelsmann.
Ohne Davies: Power im Angriff, Schwächen in der Defensive
Und das war eher noch eine Untertreibung: Lucas Hernández und Omar Richards sind hinten links keine gleichwertigen Davies-Vertreter, ohne den Außenverteidiger, der oft wie ein Angreifer agiert, hat Bayern weniger Tempo und Power im Spiel nach vorne.
"Davies ist offensiv sehr stark - ähnlich wie Achraf Hakimi bei Paris Saint-Germain auf der rechten Seite. Defensiv hat Davies aber Schwächen", sagt Taktikexperte Constantin Eckner im Gespräch mit der AZ: "Ich sehe bei Bayern gerade gar nicht so sehr das Problem, dass nach vorne zu wenig Druck entwickelt wird. Es ist eher die defensive Absicherung, die Nagelsmanns Mannschaft fehlt." Was Eckner im Detail meint: Zu viele Spieler greifen derzeit bei Bayern an, zu wenige kommen bei Ballverlust zurück in die Defensive, um zu verteidigen.

Schiefe Balance und wenig Absicherung bei Kontern
Ganz unabhängig übrigens davon, ob Nagelsmann mit einer Dreierkette oder Viererkette in der Abwehr agieren lässt. Die Balance im Spiel stimmt nicht mehr.
"Wenn Bayern aktuell mit einer Dreierkette spielt, sind die Flügelpositionen defensiv nicht abgesichert", erklärt Eckner. "Serge Gnabry, Leroy Sané oder Kingsley Coman sind nicht die Spielertypen, die wie ,echte' Außenverteidiger mit nach hinten zurückkehren und um den Ball kämpfen. Und auf den Sechserpositionen fehlt neben Joshua Kimmich ein weiterer defensivstarker Spieler, der Konter unterbindet."
Goretzka dringend gebraucht, Musiala die Lösung?
Corentin Tolisso, der nun mit einem Muskelfaserriss vorerst ausfällt, bringt diese Qualitäten ebenso wenig mit wie Marc Roca oder Marcel Sabitzer. Leon Goretzka dank seiner Dynamik hingegen schon, aber wegen anhaltender Probleme an der Patellasehne wird der 27-Jährige noch einige Zeit fehlen.
Deshalb stehen Bayern komplizierte Wochen bevor, der junge Jamal Musiala könnte eine kreative, aber auch gewagte Nagelsmann-Lösung sein. Gegen Ende des Jahres 2021 zeigte Musiala allerdings bereits, dass er auf der Doppelsechs bestehen kann.
Im Sommer mehr Kadertiefe schaffen
Im Sommer soll sich der Kader des FC Bayern dann verändern, in diesen Wochen ist mehr als deutlich geworden, dass Tiefe im Aufgebot fehlt. Aus Eckners Sicht besteht vor allem auf einer Position Bedarf, wenn Nagelsmann sein bevorzugtes 3-6-1-System etablieren möchte: "Bayern braucht einen starken Rechtsverteidiger, ein Pendant zu Davies auf der linken Seite. Dann könnte Benjamin Pavard den rechten Part der Dreierkette übernehmen, das ist seine ideale Position."
Doch bekanntlich ist der Markt an erstklassigen Rechtsverteidigern überschaubar, Wolfsburgs Ridle Baku wird immer wieder mit Bayern in Verbindung gebracht, ebenso Sergiño Dest vom FC Barcelona, an dem die Münchner schon mal ganz dicht dran waren. Und im Zentrum soll Ajax-Jungstar Ryan Gravenberch für Stabilität sorgen. Eckner meint: "Er ist athletisch, groß gewachsen und wäre eine Top-Alternative zu Kimmich und Goretzka."