Nagelsmann regiert mit harter Hand: Welche Stars des FC Bayern müssen um ihre EM-Plätze fürchten?

München - Tick-Tock – die Uhr des letzten Fußballgerichts dreht für die deutsche Nationalmannschaft vor der Heim-EM (ab 14. Juni) in all ihrer Erbarmungslosigkeit ihre Runden. Genau vier Monate hat Bundestrainer Julian Nagelsmann noch Zeit, seinem Team die nassforsche Art beizubringen, für die er selber bekannt ist. Doch wie will der 36-Jährige, der Ende September das Amt von dem glück- und erfolglosen Hansi Flick übernommen hat, Fußball-Deutschland wieder in die Erfolgsspur, die man vor Jahren verlassen und in die Gegenrichtung steuert, führen?
Julian Nagelsmann: "Wir reden uns ein, Deutschland sei eine Topfußballnation"
Seine eigene Bilanz ist vor den Länderspielen in Frankreich (23. März) und gegen die Niederlande (26. März) durchwachsen: Vier Spiele, ein Sieg (über die USA), ein Unentschieden (Mexiko), zwei Niederlagen gegen die Türkei und Österreich. Sein Fazit danach war vernichtend (für die Nationalelf) und Entschuldigung findend (für sich) zugleich. "Die A-Nationalmannschaft liegt seit Jahren sportlich am Boden", sagte er im "Spiegel": "Wir reden uns ein, Deutschland sei eine Topfußballnation, obwohl wir seit Jahren Misserfolge erleben. Wir müssen endlich anfangen, Fußball wieder zu arbeiten." Die Zeitenwende anders interpretiert. Zudem fordert er immer wieder, dass die Nationalspieler "Diener für ihr Land" sein müssen.
Der FC-Bayern-Block galt über Jahre als Erfolgsgarant der Nationalelf
Dienen und arbeiten, nicht unbedingt die Berufsbeschreibung, die die Fußballer-Generation Z verinnerlicht hat. Der Bayern-Block, er galt über Jahre als Erfolgsgarant der Nationalelf. Die Triumphe bei der EM 1972 und der WM 1974 wären ohne, die Franz Beckenbauers, Sepp Maiers, Gerd Müllers und Paul Breitners dieser Fußballwelt nicht denkbar gewesen. Gleiches gilt für den EM-Sieg 1996 als sechs Bayern-Spieler in der Final-Startelf standen und das brasilianische Märchen 2014 als Bayern – wie 1974 – mit sechs Startern im Finale aufwarten konnte und mit Mario Götze zudem der Siegtorschütze zum 1:0 über Argentinien eingewechselt wurde. Auch 1974 waren die Münchner Breitner und Müller für die Tore beim 2:1 über die Niederlande verantwortlich.
Ex-Bayern-Coach Nagelsmann kennt seine Münchner Pappenheimer nur zu gut. Anders als bei den Bayern kann er jetzt eine Mannschaft auf seine Anforderungen maßschneidern, und er ordnet dem kollektiven und persönlichen Erfolg alles unter. Die Zeiten des bayerischen Standesdünkels sind vorbei. Nagelsmann nimmt auch keine Rücksicht auf Gefühle – oder Freundschaften. So verzichtet er für die Länderspiele auf die Dienste von Bayern-Star Leon Goretzka, dessen Teamkollege Aleksandar Pavlovic bekommt dafür seine Bewährungschance.

Philipp Lahm: "Nagelsmann muss eine Struktur des Kaders finden"
Dabei war es Goretzka, der bei Nagelsmanns Entlassung bei Bayern den Schulterschluss mit dem Coach gemacht hatte. "Du bist ein großartiger Mensch und Trainer, dem wir alle von Herzen nur das Allerbeste wünschen. Wir haben eine sehr enge Beziehung gepflegt."
Ähnliche Worte fand Joshua Kimmich, der etwa mit seiner Familie Weihnachten bei den Nagelsmanns gefeiert hatte. Er kommentierte die Entscheidung der Bayern-Bosse mit den Worten "wenig Liebe, wenig Herz". Kimmich muss sich unter Nagelsmann wieder auf seine ungeliebte Rolle als Rechtsverteidiger konzentrieren, im Mittelfeld ist für ihn kein Platz mehr. Ilkay Gündogan (FC Barcelona) wird wohl unter Nagelsmann nicht nur Kapitän bleiben und statt Bayern-Keeper Manuel Neuer die Binde tragen, sondern auch gesetzt sein. Platzhirsch ist aber Toni Kroos (Real Madrid), den Nagelsmann überredet hat, den Rücktritt vom Rücktritt zu vollziehen und wieder für Deutschland zu spielen. Selbst Ausnahmekönner Jamal Musiala muss in dieser Konstellation seinen Platz finden. Seine Geniestreiche braucht die DFB-Elf dringend, aber unter die von Nagelsmann favorisierte Malocher-Kategorie fällt er trotz aller Verbesserungen in der Defensivarbeit nicht. Und wie sieht es für Serge Gnabry aus, der beim 8:1 der Bayern gegen Mainz zwar mit einem Hackentor ein spektakuläres Comeback nach langer Verletzungspause gab, aber der noch nicht in der Nähe bei 100 Prozent ist?
"Nagelsmann muss eine Struktur des Kaders finden. Für mich ist es auch spannend zu sehen, wie er nominiert. Ich weiß nicht, ob es Experimente sind oder es vielleicht schon die Umstellung gibt von diesen Länderspielen zum Turnier hin", sagte der EM-Chef Philipp Lahm, die Situation sei nach den Pleiten 2018 und 2022 so "extrem wie nie".
Nagelsmann hat fast ganzen BVB-Block aussortiert
Es gibt viele Fragezeichen: Auch um Raumdeuter Thomas Müller, der vielleicht auch nicht im Kader sein wird. Der 34-Jährige ist bei Bayern zum Joker geworden und in der DFB-Elf gibt es ein Rein-Raus. Vom damaligen Bundestrainer Joachim Löw nach dem WM-Aus 2018 aussortiert, holte dieser ihn zur EM 2021 zurück. Doch die Messias-Rolle konnte er nicht erfüllen. Müller ist aber ein Führungs- und Teamspieler.

Die Frage ist nur, ob Nagelsmann nicht gerade diese Hierarchien durchbrechen will. Dass er mit harter Hand regiert, erfahren auch die Dortmunder Kicker. Mats Hummels (35), Niklas Süle (28), Nico Schlotterbeck (24), Julian Brandt (27) und Emre Can kriegen wohl alle eine Auszeit. Nur BVB-Stürmer Niklas Füllkrug dürfte vom Bannstrahl verschont bleiben.
Nagelsmann sucht Malocher, wilde, hungrige Spieler. Die hat er beim VfB Stuttgart ausgemacht. Chris Führich (26), Deniz Undav (27), Maximilian Mittelstädt (26) und Waldemar Anton (27) dürften wohl alle am Donnerstag mit einer Nominierung belohnt werden. Es sind die letzten Chancen, auf den EM-Zug aufzuspringen. Aber die Uhr tickt gnadenlos - ein Debakel bei der Heim-EM kann sich Fußball-Deutschland nicht leisten. Daher die Stiftung Spielertest.