Müller: "Zeit, dass ich das Ding mal hole“
München - Thomas Müller ist gerade mal 23, doch selbst er
fürchtet schon den bösen Stempel. „Für mich wird's auch langsam
Zeit, dass ich das Ding mal hole“, sagt der Nationalspieler vor dem
Champions-League-Finale mit Bayern München gegen Borussia Dortmund:
`Wenn du dreimal verlierst, hast du einen Loser-Stempel drauf – und
den willst du nicht."
Wie es gehen kann, hat Müller in den vergangenen Jahren aus der
Nähe verfolgen können. Seit 2000 ist er im Verein, und so hat er
nach dem Champions-League-Sieg ein Jahr darauf all seine Idole immer
beim letzten Schritt stolpern sehen. Die Karriere von Michael
Ballack, Deutschlands einzigem Weltstar kurz nach der
Jahrtausendwende, gilt als unvollendet, weil er nie Weltmeister, Europameister oder Champions-League-Sieger wurde.
Philipp Lahm (29) und Bastian Schweinsteiger (28) haben mit den Bayern sieben
beziehungsweise elf nationale Titel geholt, doch auch ihnen fehlt im
Frühherbst der Karriere noch der eine große Titel für die Ewigkeit.
Müller hat mitbekommen, wie sehr sich seine Kollegen deshalb
verspotten lassen mussten. Wie sie als „ewige Verlierer“
gebrandmarkt wurden, obwohl sie in seinen Augen so viel erreicht
hatten. Und nun hat auch Müller seit 2010 schon je zwei
Halbfinal-Niederlagen mit der Nationalelf und verlorene Endspiele
mit den Bayern erlebt. Und er will kein Loser sein.
Thomas Müller hat natürlich noch viele Jahre Zeit, und für den
deutschen Fußball wird der 25. Mai so oder so eine Erlösung
darstellen: Der erste große Titel einer deutschen Mannschaft seit
zwölf Jahren wird auch ein gutes Dutzend deutscher Nationalspieler
krönen. Doch dringend wäre dies für Lahm und Schweinsteiger.
„Zu einer großen Ära gehören internationale Titel. Wenn es in
den nächsten Jahren, in denen ich dabei bin, nicht mit Titeln
klappt, wird man nicht von einer großen Ära oder einer Goldenen
Generation sprechen können. Daran lasse ich mich messen“, hatte
Lahm, Kapitän der Bayern und der DFB-Elf, vor einem Jahr gesagt, und
schon damals angefügt: „Allzu lange haben Spieler wie Basti und ich
nicht mehr...“
Heute klingt er etwas zurückhaltender. Zum einen, weil ihm die
Entwicklung seines Klubs Hoffnung macht, auch im Falle einer
Niederlage in Wembley vielleicht noch weitere Chancen in der
Königsklasse zu bekommen. Zum anderen will er sich selbst
anscheinend auch nicht mehr zusätzlich unter Druck setzen. „Wir
haben große Titel gewonnen, aber der große internationale fehlt uns
noch“, sagt er: „Es ist das große Ziel, aber es gibt keine Garantie,
dass man ihn irgendwann holt.“
Richtig genervt ist Schweinsteiger. Wenn er keinen großen Titel
hole, „sterbe ich auch nicht früher“, motzt dieser inzwischen auf
die ständigen Nachfagen. Der Vize-Kapitän, für seinen Trainer Jupp
Heynckes „im Moment der beste Mittelfeldspieler der Welt“, ist auch
genervt, weil die Diskussion immer in eine um Führungsspieler
ausartet. Der frühere Nationaltorhüter Oliver Kahn hatte häufig in
der Wunde gebohrt, Ex-Bayern-Profi Willy Sagnol erklärte abfällig,
man könne eben „nicht immer einen Effenberg, einen Kahn oder einen
Jeremies haben“.
Längst fühlen sich gestandene Kollegen angesprochen. Wie Manuel
Neuer, von dem Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge vor dieser Saison
forderte, „ein Häuptling“ zu sein. Oder Mario Gomez, dem es nach
eigener Auskunft „so was von egal ist, ob ich mit 60 mal als Golden
Boy bezeichnet werde.“
Im „Finale dahoam“ 2012 gegen Chelsea hatten Lahm,
Schweinsteiger und die anderen „eigentlich schon beide Hände am
Pokal“ (Schweinsteiger). Dass sie der anschließenden riesigen
Enttäuschung die bisher beste Saison der glorreichen
Bayern-Geschichte folgen ließen, macht Heynckes Mut, dass der Fluch
gebannt werden kann. Schweinsteiger sei „so stabil wie selten“, sagt
der Coach: „Auch von der Psyche und vom Physischen her. Er hat
genauso wie Philipp Lahm den Hunger, das Pünktchen aufs I zu setzen.“
Mit einem Sieg könnten Lahm und Schweinsteiger ihr Lebenswerk
veredeln und die Diskussionen auf immer verstummen lassen. Und dafür
sorgen, dass auch Thomas Müller sich keine Sorgen machen muss.