"Lange genug die Knochen hingehalten": FC-Bayern-Joker Müller trifft und grantelt
München - Ein Tor, fünf Mal MÜ-LL-ER. Stadionsprecher Stephan Lehmann kostete den Moment des Abends aus, rief in der 85. Minute nicht wie üblich drei Mal, nicht vier Mal, sondern fünf Mal ins Mikrofon: "THO-MAS..." Und erntete ein immer noch lauteres MÜ-LL-ER.
Sein Moment am Dienstag, diese Eruption der Emotionen in der Allianz Arena nach dem 1:1-Ausgleich gegen Inter Mailand, muss nicht Müllers 57. und letztes Champions-League-Tor in seinem 162. Einsatz gewesen sein. Auch nicht sein letztes Europacup-Heimspiel. Trotz des 1:2-Endstands.

Müller faucht Reporter an: "Bin hier nicht auf einer Farewell-Tour"
Angefressen unterbricht der Routinier den Reporter von Prime Video im TV-Interview nach dem Spiel, als es um ihn selbst geht: "Habe ich mein Abschiedsspiel oder haben wir ein Viertelfinal-Hinspiel? Ich möchte mich über das Spiel unterhalten." Pause. Dann schiebt der 35-Jährige nach: "Ich bin hier nicht auf einer Farewell-Tour (deutsch: Abschiedstournee, d. Red.). Ich bin grad Sportler." Und wer weiß, wie lange noch? Sein Ende bei Bayern nach der Klub-WM in den USA im Juni/Juli muss ja nicht sein Karriereende sein.
Müller nannte die Diskussionen um den Einjahresvertrag, der ihm von den Bayern-Bossen verwehrt wurde, bescheiden einen "Nebenkriegsschauplatz". Jan-Christian Dreesen, der Vorstandschef, erklärte zu den Gründen: "Es war keine Frage des Pakets, es war eine Frage der sportlichen Entscheidung. Deswegen war es keine Frage des Geldes." Nun ja, die einen sagen so, die anderen so.
Gegen Inter: Mit Müller kommt frischer Schwung ins Bayern-Spiel
Ob Müller überrascht gewesen sei von der Wucht der Reaktionen aus allen Richtungen, von den Fans und den Medien, nach der Bekanntgabe der Entscheidung am Samstag? "Nein, nicht überrascht", entgegnete Müller und ordnete – auch mal wohltuend unbescheiden – ein: "Ich bin Rekordspieler, 700 Spiele, in der Champions League 170-weiß-ich-nicht-was. Wenn man da mal nicht ein bisserl auf den Putz hauen kann! Dafür habe ich lange genug die Knochen hingehalten." Er lächelte. Das Echo war auch eine Genugtuung.
Rein sportlich brachte seine Einwechslung in der 74. Minute neuen Schwung, neue Energie. Übertragen von Müller auf die Ränge und die Mitspieler. Ob diese elektrisch aufgeladene Spannung bei einem Einsatz von Beginn bei Inter einen Kurzschluss verursacht hätte? Nicht zu beweisen. 90 Minuten am Anschlag hat Müller lange nicht aufdrehen dürfen. Aber: Auch er wird nicht jünger. Wie er den Ball reindrückte, elastisch und ungelenk zugleich, war dennoch typisch Müller. Sein drittes Tor schon in der Champions League in dieser Saison zeigt: So viele gelangen ihm in den beiden vergangenen zwei Spielzeiten nicht – jeweils nur eins. Insgesamt kommt er nun in 744 Spielen auf 248 Tore und 273 Vorlagen. Märchenhaft.
Müller steht vor seinem letzten Clásico gegen Borussia Dortmund
Doch wie endet Müllers Story? Mit einem Happy End? Dazu braucht es kommenden Mittwoch in Mailand ein Weiterkommen. "Das war erst die erste Halbzeit, es steht 2:1 für Inter. Es ist nur ein Tor Unterschied, das ist im Fußball gar nichts, eine Aktion. Wir lassen uns davon nicht unterkriegen", sagt Müller, der ewige Antreiber, und betont: "Wir bleiben zusammen und kriegen das hin. Volle Kraft voraus!" Mit Müller im Giuseppe-Meazza-Stadion in der Startelf?
"Thomas gibt immer Energie. Er weiß, wo er im Strafraum stehen muss. Er weiß, wie er Spieler mitreißen kann, er weiß, wo das Tor steht", sagte Konrad Laimer, der Vorbereiter des Ausgleichs. Was macht Vincent Kompany? Bringt er wieder Raphael Guerreiro, eher im Niedrigstrom-Modus unterwegs, auf der Zehn? Oder Serge Gnabry auf dem linken Flügel und zieht Leroy Sané in die Mitte? Der Trainer weiß natürlich um das besondere Etwas von Müller, sagte: "Thomas hat das Gefühl, in engen Räumen immer was zu machen. Das war so ein Spiel. Ich hoffe, dass es noch oft passiert."
Am Samstag – und das ist definitiv so – bestreitet Müller seinen letzten Clásico gegen Borussia Dortmund. "Die Situation ist kitzelig, die Meisterschaft noch nicht entschieden", meinte er, "wir brauchen jeden Punkt, also ist da Druck drauf."
Wenn sich damit einer auskennt, dann… Genau.