Mitreißer gesucht

Flache Hierarchie, autoritärer Trainer – dieses Experiment funktionierte nicht. Beim FC Bayern suchen sie jetzt nach Anführern
von  Thomas Becker
Kapitäne unter sich: Philipp Lahm (r.) und sein Stellvertreter Bastian Schweinsteiger.
Kapitäne unter sich: Philipp Lahm (r.) und sein Stellvertreter Bastian Schweinsteiger. © firo/augenklick

München - Im Handball hätte der Schiedsrichter längst Zeitspiel gepfiffen. Bastian Schweinsteiger formulierte so lange und so viele Sätze hintereinander, als wolle er die nächste, womöglich unbequeme Frage weit von sich wegschieben. Nach handgestoppten 2,31 Minuten war Frage eins beantwortet. Die Essenz aus zweieinhalb Minuten: Wir müssen dringend mal wieder gewinnen. Ja gut.

Der Co-Kapitän des FC Bayern war der erste Quasi-Klub-Offizielle, der sich nach der Van-Gaal-Entmachtung den Fragen der Journalisten stellen musste. Kein leichter Job, aber schließlich ist er nach Philipp Lahm der zweite Mann in der offiziellen Team-Hierarchie. Und genau die hatte er im Blick – neben so naheliegenden Aspekten wie dem notwendigen Sieg gegen den HSV am Samstag („Wir müssen schleunigst drei Punkte holen”) und einem positiven Abschied für den Noch-Trainer („Das hat er verdient”).

Er spreche „sehr viel mit den Spielern und auch mit dem Trainer”, sagte Schweinsteiger. Vor allem, seit der alte Kapitän von Bord und er – wie schon in der Nationalmannschaft – zum Vize aufgestiegen ist: „Da hat sich natürlich schon was geändert”, meinte Schweinsteiger, „der Mark (van Bommel, d.Red.) war halt ein Wortführer und stand als Kapitän in der Hierarchie ganz oben. Natürlich fehlt da jetzt etwas.” So deutlich hat bislang noch niemand aus dem Verein den nicht unumstrittenen Verkauf van Bommels an den AC Mailand kommentiert.

Schweinsteiger weiter: „Aber es gibt auch Spieler, die nachrücken: der Philipp (Lahm), Jörg Butt oder Miroslav Klose, die mal das Wort ergreifen. Oder Arjen Robben sagt was. Auch Thomas Müller und Holger Badstuber, die ja Nationalspieler sind.” Nach einer klaren Hierarchie mit einem bestimmenden Chef klingt das nicht gerade. Eher nach einem Rudel Suchender, das ganz arg seinen Leitwolf vermisst. Zumal ja auch Ex-Kapitän Oliver Kahn letzte Woche beim 0:1 gegen Schalke im Pokal feststellte, dass der Mannschaft die Leader und Mitreißer fehlen.

Lahm scheut nicht die Auseinandersetzung mit dem Trainer

Dominator Louis van Gaal hatte in der Winterpause diese Situation geschaffen, als er den „aggressive leader” kühl nach Mailand trieb, so wie einst den anderen Bayern-Kapitän Lucio. Zurück blieb eine Mannschaft ohne Mitte, mit einem Kapitän hinten rechts und einem Co-Kapitän, den ausgerechnet in der heißen Phase der Saison ein Formtief ereilte – und schon war niemand mehr da, der sich gegen die Niederlagen stemmte, der die Kollegen mit ein paar deftigen Worten und Gesten zu etwas mehr Gegenwehr anstachelte. Das Experiment mit der flachen Spieler-Hierarchie in Verbindung mit einem autoritären Trainer funktionierte nicht. Und Philipp Lahm ist nun mal kein Stefan Effenberg und kein Mark van Bommel, und er wird auch keiner mehr werden. Seine Stärken als Kapitän liegen woanders.

Lahm scheut nicht die Auseinandersetzung mit dem Trainer. Zuletzt monierte er vor den TV-Kameras, dass van Gaal nur offensive und keine defensiven Standards trainieren lasse. Folglich wird er dem bevor stehenden Trainerwechsel zumindest mit gemischten Gefühlen gegenüber stehen, denn: Egal, welcher Übungsleiter auf van Gaal folgt, er wird sich sicher mehr mit der Verteidigung befassen als der holländische Offensivgeist.

Bastian Schweinsteiger trauert van Gaal dagegen schon jetzt nach: „Der FC Bayern hat speziell in der letzten Saison vom Trainer stark profitiert. So einen Fußball hab’ ich in meiner Karriere bei Bayern München noch nicht erlebt. Den Fußball-Stil hatten wir noch nicht. Wir haben viele Fans gewonnen damit. Der Trainer ist zwar ein spezieller Typ, aber insgesamt ist es schade. Ich denke, dass er eigentlich schon gut zum FC Bayern gepasst hat.” Doch das sahen die obersten Bayern-Kapitäne anders. 

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