Michael Reschke über Thomas Tuchel im AZ-Interview: "Man muss sich für jeden Sieg strecken"

AZ-Interview mit Michael Reschke. Der 66-Jährige war von 2014 bis 2017 Technischer Direktor beim FC Bayern und zuvor lange als Manager für Bayer Leverkusen tätig. Heute arbeitet er für die Agentur ICM Stellar.
AZ: Herr Reschke, wie groß ist die Vorfreude auf das Spitzenduell Ihrer beiden Ex-Klubs Bayer Leverkusen und FC Bayern am Samstag?
MICHAEL RESCHKE: Da gibt es wirklich eine ganz Palette an Emotionen, in allererster Linie bin ich total gespannt. Ich erwarte ein rassiges Spitzenspiel, weil beide Klubs mit aller Macht gewinnen wollen und sehr hohe Qualität besitzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eines der besten Bundesliga-Spiele der letzten Jahren sehen werden. Wichtig ist, dass beide voll auf Sieg gehen. Die Leverkusener spielen bislang eine fantastische Saison, die Münchner zumindest eine stabile, gute Saison - von wenigen Ausrutschern mal abgesehen. Die aktuell besten Teams in Deutschland, die auch international zur Spitze zählen, stehen sich gegenüber. Da ist immer alles möglich.
Wie sehen Sie die Debatte, dass der FC Bayern unter Thomas Tuchel nicht besonders attraktiv spielen würde?
Diese Selbstsicherheit und Leichtigkeit, mit der die Bayern früher durch die Liga marschiert sind und oft deutlich gewonnen haben, ist aktuell nicht zu erkennen. Extrem war dies in der Zeit unter Pep Guardiola, als man in der Bundesliga alles an die Wand gespielt. Das ist nicht mehr der Fall und es herrscht eher so eine Arbeitssieg-Mentalität. Eine neue und spannende Qualität, aber eigentlich nicht die, die man von Bayern erwartet. Man muss sich für jeden Sieg strecken. Für die Bayern ungewohnt, für die Liga eine tolle Sache, denn jeder Spieltag verspricht Spannung.
Reschke: Bayern-Sieg wäre "ganz fettes Ausrufezeichen im Meisterkampf"
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass diese Leichtigkeit etwas verloren gegangen ist?
Eine interessante Frage. Es werden ja oft die vielen Verletzungen als Begründung genannt, und sicher spielt dies mit rein. Andererseits sind die ersten 20 Feldspieler des FC Bayern allesamt Bundesliga-Spitzenspieler und exakt diese 20 haben bisher nahezu ausschließlich auf dem Platz gestanden. Zu diesen 20 zählt mittlerweile auch Aleks Pavlovic, der sich zum Glücksgriff entwickelt hat und mittlerweile eine zusätzliche wichtige Option ist. Insgesamt hätte man vielleicht etwas mehr Souveränität erwartet. Fakt ist aber auch: Von den 20 Ligaspielen hat Bayern bislang nur zwei verloren - und jetzt beginnt die entscheidende Phase der Saison. Dabei genießt das Duell in Leverkusen natürlich eine besonders hohe Bedeutung und Aussagekraft. Falls Bayern gewinnen sollte, egal ob mit einem Arbeitssieg oder souverän, wäre das ein ganz fettes Ausrufezeichen im Meisterkampf. Im Falle einer Niederlage hätte Bayer 04 fünf Punkte Vorsprung und weiteren mächtigen Rückenwind. Dann würde es sehr schwer werden für die Bayern.
Leverkusen gegen Bayern ist auch das Duell zwischen Florian Wirtz und Jamal Musiala. Welcher Youngster ist weiter in seiner Entwicklung?
Meine Meinung nach besitzen beide die Qualität, irgendwann einmal Weltfußballer des Jahres zu werden. Ihre Klasse ist jetzt schon außergewöhnlich und es ist eine spezielle Form von Kunstgenuss, sie spielen zu sehen. Musiala ist dabei mehr das besondere Kunstwerk auf der Sahnetorte, der Mitspieler und Fans mit fantastischen Aktionen verzückt. Wirtz hat auch solche Momente, aber er ist auch der Motor des ganzen Bayer-04-Aufschwung. Aber zu sagen, der eine wäre weiter als der andere, ist nicht möglich und unnötig. Damit würde man diesen beiden Ausnahmekönnern nicht gerecht werden. Musiala und Wirtz werden die Nationalmannschaft über Jahre entscheidend prägen und uns wieder auf internationales Topniveau führen. Ich bin sicher, dass sie auch einen besonderen, vertrauensvollen Zugang zueinanderfinden, wenn sie regelmäßig zusammen spielen und trainieren.
Florian Wirtz zum FC Bayern? "Alle Topklubs werden um ihn kämpfen"
Sind Musiala und Wirtz zusammen bei Bayern vorstellbar?
Ich will da gar nicht spekulieren. Es beeindruckt, wie Wirtz bislang sein Ding in Leverkusen gemacht hat, mit welcher Ruhe, Wucht, aber auch Gelassenheit er seine Karriere vorantreibt. Dass Florian irgendwann mal bei einem der internationalen Top-4-Klubs landet, ist ein offenes Buch. Welcher Klub es am Ende sein wird? Alle Topklubs werden um ihn kämpfen. Zur Zeit ist Florian ein Geschenk für die Bundesliga. Freuen wir uns alle über diesen Jungen!
Wie sehen Sie die Entwicklung von Xabi Alonso, den Sie als Spieler bei Bayern erlebt haben?
Ich war damals entscheidend in den Transfer von Alonso zu Bayern mit eingebunden und hatte viel Kontakt mit ihm. Nach seiner Zeit bei Bayern haben wir uns einige Male getroffen und hatten einen sehr interessanten Austausch. Bei Xabi Alonso war immer klar, dass er alle Qualitäten für einen ganz besonderen Trainer mitbringt. Nicht nur, weil er auf dem Platz schon ein Dominator war, der Fußball gedacht und gelebt hat. Noch wichtiger ist, dass er zwei wesentliche und in dieser Klasse ungewöhnlichen Qualität vereint: Überragende fußballerische Intelligenz und eben auch hohe Empathie. Dank dieser sozialen Kompetenz kann er einzelne Spieler begeistern und besser machen und seine Teams ganz natürlich, ohne Spektakel führen. Diese Kombination auf diesem Niveau ist selbst auf dem internationalen Top-Trainermarkt selten. Die Begeisterung und der Respekt in Leverkusen, sowohl in der Mannschaft und als auch im Umfeld, sind sehr groß. Xabi Alonso ist ein Glücksfall für Bayer 04 und man muss Fernando Carro und Simon Rolfes zu dieser intelligenten Entscheidung gratulieren. Natürlich war Leverkusen auch für Xabi als Einstieg in den internationalen Fußball eine sensationelle Chance. Ich kann mir gut vorstellen, dass er auch kommende Saison noch Bayer 04-Trainer bleibt, selbst wenn sich einer der ganz Großen bei Ihm meldet.
Max Eberl vor Bayern-Engagement: "Eine logische und sehr intelligente Lösung"
Er hat noch so viel Zeit und steht erst am Anfang seiner Trainerkarriere. Irgendwann wird er in Liverpool, bei Real Madrid oder den Bayern landen. Zur Zeit ist er in Leverkusen bestens aufgehoben. Der Klub verfügt über hochklassige Strukturen. Das zeichnet Bayer 04 seit Jahren aus. Speziell im Scouting ist man unter der Führung von Kim Falkenberg sehr stark aufgestellt. Es gelingt immer wieder, den Kader sehr sinnvoll zu verstärken.
Voraussichtlich zum 1. April steigt Max Eberl als Sportvorstand bei Bayern ein, er wird eng mit Sportdirektor Christoph Freund zusammenarbeiten. Ein vielversprechendes Duo?
Bei einem Klub der Größenordnung des FC Bayern, mit extrem vielfältigen Aufgaben in der sportlichen Leitung, bist du auf zwei Spitzenleute angewiesen. Eberl und Freund werden in Absprache mit Jan-Christian Dreesen, gewiss auch mit Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, festlegen, wer welche Aufgaben und Schwerpunkte bearbeitet. Man kann den Bayern zu dieser Doppelspitze nur gratulieren. Für Christoph sehe ich da überhaupt kein Problem - im Gegenteil. Die Palette an Aufgaben, die er bislang zu bewältigen hatte, ist erdrückend und er kann sich auf Unterstützung durch Max freuen. Max Eberl hat in der Bundesliga jahrelang auf höchstem Niveau bewiesen, welche Klasse er besitzt und wie vielseitig er ist. Eine logische und sehr intelligente Lösung für den FC Bayern. Und Max ist überdies auch ein richtig guter Typ und Bayer durch und durch.