"Messi steht über allen"
Bayern-Star Martin Demichelis hält seinen Landsmann für den besten Spieler seit Maradona, will noch nicht ans mögliche Finale gegen dessen Klub FC Barcelona denken – und gibt zu, dass ihm mit seiner Maske der Überblick fehlt.
AZ: Herr Demichelis, ein Landsmann ist zur Zeit der beste Fußballer der Welt. Wie wollen Sie Barcelonas Lionel Messi im Champions-League-Finale stoppen?
MARTIN DEMICHELIS: Im Moment kümmern wir uns nicht um dieses Thema. Zum einen muss der große Favorit Barcelona erst Inter Mailand schlagen, zum anderen müssen wir auch erst mal ins Finale kommen. Das wird schwer genug.
Haben Sie je einen Spieler in einer solchen Form erlebt?
Als ich klein war, habe ich Maradona gesehen. Aber seitdem habe ich keinen gesehen, der in der Lage ist, regelmäßig Spiele alleine zu entscheiden, der 90 Minuten Gefahr ausstrahlt. Messi steht über allen.
Wie ist es, Messi als Mannschaftskamerad zu haben?
Es ist eine große Freude und macht mich auch Stolz, wenn man weiß, dass man solche Mitspieler hat. Wenn's nach mir geht, könnte die WM morgen schon beginnen – aufgrund der Verfassung, in der Messi spielt. So wären wir sicher einer der Favoriten. Ich hoffe, dass er die Form bis zur WM halten kann.
Wie ist Ihr Kontakt zu Nationaltrainer Maradona?
Er hat mich ja nach dem Unfall im Krankenhaus besucht. Seitdem telefoniere ich alle drei, vier Tage mit dem Trainerstab, den Ärzten und Physiotherapeuten.
Wie geht's Ihnen gesundheitlich? Sie müssen im Spiel ja immer noch diese Zorro-Schutzmaske tragen.
Es geht mir ziemlich gut. Ich habe keine Schmerzen mehr, aber der Mund und die rechte Seite sind immer noch taub. Aber ich muss zufrieden sein. Ich habe keine Angst, in Zweikämpfe zu gehen, aber manchmal sagt der Instinkt im Körper: schützen!
Kam das Comeback nur drei Wochen nach dem Jochbeinbruch zu früh?
Es war schon ein gewisses Risiko, zumal in diesem Kontaktsport Fußball. Ein Golfer oder Tennisspieler hätte nicht solche Probleme. In den ersten Spielen mit der Maske war ich noch nicht hundert Prozent fit. Nach dem Spiel war ich total müde, aber mit der Hilfe von Doc Müller-Wohlfahrt ging’s dann wieder.
Wie sehr stört die Maske?
Sie stört schon. Eine schwierige Erfahrung. Wenn ich mit dem Ball am Fuß nach vorne laufe, ist es okay. Aber ich sehe die Gegenspieler rechts und links nicht so gut aus den Augenwinkeln wie ohne Maske. So ist auch das 0:1 von Rooney im Hinspiel gegen ManU entstanden. Ich muss immer den Kopf drehen, um den Gegner richtig zu sehen.
Wie lange müssen Sie die Maske noch tragen?
Das hängt von einem Gespräch mit dem Arzt ab, der mich operiert hat. Der konnte gar nicht glauben, dass ich schon wieder so viele Spiele gemacht habe.
Begeistert war er auch nicht gerade, oder?
Hmmm...,aber Louis van Gaal fragte mich, ob’s geht, ich wollte, und dann haben wir es eben versucht.
Bei der WM könnte es zu einem Wiedersehen mit Michael Ballack kommen, der sich nach dem Zusammenprall nicht bei Ihnen entschuldigt hat...
Es gibt andere Dinge, die jetzt wichtiger sind. Ich will mir keine Gedanken machen, was wäre, wenn ich wieder auf Ballack treffe.
Zurück zu Bayern. Der Klub durchlebt eine besondere Saison. Noch ist das Triple möglich und doch gibt es viel Kritik, auch vom Ehrenpräsidenten, auch an der Abwehr...
Die Statistik sagt, dass wir die beste Abwehr der Bundesliga haben, oder nicht? Es ist Wahnsinn, was hier beim FC Bayern passiert! Die Leute müssen immer was zum Kritisieren finden. Wir stehen im Champions-League-Halbfinale, im DFB-Pokal-Finale, sind Tabellenführer – und trotzdem gibt es Kritik. Das habe ich noch nicht erlebt. Das ist nicht die Phase zum Kritisieren. Wir brauchen jetzt Vertrauen und Glauben.
Die Internetseite kickwelt.de führte Sie unlängst als effektivsten Spieler der Liga: die meisten Punkte pro Spielminuten. Wie zufrieden sind Sie selbst mit Ihrer Saison?
Ich kenne diese Statistik nicht, weiß aber, dass in dieser Saison noch kein Spiel verloren ging, wenn ich gespielt habe (bis auf das 2:3 in Manchester, das aber als gefühlter Sieg zu werten ist, d. Red.). Ansonsten war die Saison schwierig, weil ich so viele Verletzungen hatte, wie noch nie in meiner Karriere: zwei Monate Pause nach der Operation am Sprunggelenk, ein Monat Pause nach dem Jochbeinbruch. Du bist einfach nicht hundert Prozent fit, wenn du aus Verletzungspausen raus kommst, hast keinen Spielrhythmus, musst immer wieder den Anschluss finden.
Kamen die großen Spiele zu früh für Sie?
Die Champions-League-Spiele waren wichtig für mich, aber ich war nicht auf dem Level, auf dem ich hätte sein müssen. Aber nach den paar Tagen Pause jetzt bin ich auf einem guten Weg.
Jahrelang waren Sie mit Lucio ein eingespieltes Team. Diese Saison musste viel gewechselt werden, Sie haben andere Nebenleute. Was ist mit Holger Badstuber und Daniel van Buyten anders als mit Lucio?
Lucio kannte ich schon drei Jahre, bevor wir zusammen diesen Bundesligarekord mit den wenigsten Gegentoren aufgestellt haben. In diesem Jahr hat mal der eine gefehlt, mal der andere, Holger hat mal in der Mitte verteidigt, mal außen. Wir sind gerade dabei, uns besser abzustimmen. Das war bisher nicht möglich. Ich bin sicher, dass das, sollten wir nächste Saison in der gleichen Formation spielen, viel besser aussehen würde.
Es gab Stimmen, die gewarnt haben, mit nur drei Innenverteidigern die Belastung von drei Wettbewerben anzutreten...
Als ich zum FC Bayern kam, gab es auch nur drei: Kuffour, Linke und Kovac. Da stellte sich die Frage nicht. In diesem Jahr hatte ich von allen dreien am meisten Pech. Die letzten zehn Jahre hatte ich praktisch keine Verletzung. Daniel ist auch keiner, der oft verletzt ist, und Holger hat ja fast alle Spiele gemacht. Dieses Problem ist eher konstruiert.
Sie haben noch einen Vertrag bis 2012. Können Sie sich vorstellen, Ihre Karriere hier zu beenden oder zieht es Sie in die Heimat?
Als ich hierher kam, hätte ich nicht gedacht, dass ich es schaffe, mich sieben Jahre lang zu behaupten. Ich versuche, bis zum Vertragsende zu bleiben, dann muss man sehen. Ich habe jetzt auch eine Familie, auf deren Wohl ich Rücksicht nehmen muss. Wenn mich der Verein weiter als wertvoll erachtet, dann kann man ja nochmal hier bleiben. Ansonsten muss man vielleicht auch gehen, vielleicht nach Spanien. Aber mein Karriereende wird wohl eher in Argentinien liegen.
Bis dahin ist noch Zeit. Welcher der drei noch möglichen Titel wäre Ihnen der Liebste?
Ich habe beim FC Bayern ja gelernt, dass die Meisterschaft das Wichtigste ist. Aber die Champions League ist natürlich ein Traum.
Interview: Thomas Becker