Mein Sohn, der Schattenboxer

Gespräche über Kahn: Wie die Familie seine Karriere erlebt hat. Vater Rolf über frühes Herzklopfen, spätes Wohlbefinden und den Effekt von Bananen.
von  Abendzeitung
„Durch ihn habe ich gelernt, meinen negativen Empfindungen nicht mehr hinterherzulaufen“: Das sagt Rolf Kahn über seinen Sohn.
„Durch ihn habe ich gelernt, meinen negativen Empfindungen nicht mehr hinterherzulaufen“: Das sagt Rolf Kahn über seinen Sohn. © Bongarts/Getty Images

Gespräche über Kahn: Wie die Familie seine Karriere erlebt hat. Vater Rolf über frühes Herzklopfen, spätes Wohlbefinden und den Effekt von Bananen.

AZ: In der Familie Kahn steht ein großer Abschied bevor – wie erleben Sie als Vater diesen Abschied?

ROLF KAHN: Ob Sie es glauben oder nicht: mit großer Gelassenheit. Es war eine aufregende Zeit, die hinter uns liegt und die von schön bis beschwerlich reichte. Im Grunde geht es uns wie allen Eltern, die mit ihren Kinder bangen oder sich auf der anderen Seite über deren Erfolge Freude. Die immerwiederkehrenden 90 Minuten, in denen man geschaut hat, ob er mit der Mannschaft gewinnt oder verliert, sind allerdings vorbei. Jetzt wird es um andere Dinge gehen.

Leiden Eltern besonders mit?

Du versuchst immer, in die Trickkiste zu greifen und „Götter” zu beschwören, die es gar nicht gibt. Wir sind da nicht anders als andere Eltern, die sich Gedanken und Sorgen um ihre Kinder machen.

Für wen ist der Abschied leichter, für Sie oder Ihren Sohn?

Sicher für mich, weil ich diese Momente des Sich-beweisen- Müssens nicht hatte, mein Gegner nicht Real Madrid hieß und ich nicht zu null spielen musste. Für mich bleibt es weiter spannend, weil für mich alles spannend ist, was er macht. Dieses emotionale Auf und Ab aber, das es im Sport extremer gibt als anderswo, ist vorbei. Es reicht auch.

Das empfindet er auch so?

Er wird sicher noch eine gewissen Zeit daran zu knabbern haben. Je schneller er sich auf einem anderen Feld bewegt und neue Anforderungen sucht, umso schneller wird er den Abstand gewinnen.

Ein emotionaler Moment war zuletzt vor der WM 2006, als es ihm wie ein Schlag vorkommen musste, als Nummer eins abgesetzt zu werden.

Ich hatte lange den Verdacht, es würde so kommen. Der Augenblick, in dem so etwas passiert, ist dann knallhart, trotz aller innerer Vorbereitung.

Hat Sie und Ihren Sohn diese Erfahrung mit Blick aufs Karriere- Ende geprägt?

Ich konnte da von Oliver nur lernen. Man kann nicht davon ausgehen, dass man jedem recht ist. Es wird immer jemanden geben, der einen nicht brauchen kann oder nicht mag. Ich habe von Oliver gelernt, nicht ewig darüber nachzugrübeln. Es geht darum, nachzudenken, ob man nicht selbst vielleicht irgendwann an den Punkt kommt, wo man eine Entscheidung treffen muss, die dem einen weh tut. Diese Großzügigkeit, mit der er mit diesen Dingen umgeht, beeindruckt mich. Durch ihn habe ich gelernt, meinen negativen Empfindungen nicht mehr hinterherzulaufen.

Es ist offensichtlich, dass Ihr Sohn gelassener geworden ist. Woran machen Sie das fest?

Ich spüre, dass bei ihm ein gewisses Wohlempfinden eintritt, es richtig gemacht zu haben. Was heißt, es war für die Zukunft wichtig, wie er damit umging und sich verhalten hat. Gewinnen und Verlieren sind nun mal Facetten des Lebens, nicht nur auf dem Sportplatz. Beides hat Olli für seinenweiterenWerdegang gestärkt.

Haben Sie mit ihm darüber gesprochen, als er entscheiden musste, ob er sich als Nummer Zwei auf die Bank setzt?

Mir war das aus dem damals emotionalen Blickwinkel sehr suspekt,weil man ihm Zeit gab, sich das zu überlegen. Dadurch, dass man einen Spieler so verabschiedet, indem man sagt, du kannst dir überlegen, ob du das machst oder nicht, bekam ich das Gefühl, man wollte ihn nie haben. Jetzt, wie gesagt, will ich es damit gut sein lassen.

Was war für Sie der emotionalste Moment in der Karriere Ihres Sohnes?

Eindeutig der, als er damals von Winfried Schäfer zur Halbzeit gegen Bochum ins Tor des KSC gestellt wurde. Oliver hat anschließend gesagt, er gehe davon aus, im Tor zu bleiben. Als das so eintraf, war das der schönste Augenblick. Da gab es noch keinen FC Bayern und keine Nationalmannschaft. Er hat es geschafft, dort, wo unsere Wurzeln liegen, auch meine als Kind beim KSC, erster Torwart zu werden.

Und weiter?

Mir glaubt kein Mensch, dass ich beim WM-Finale 2002 nicht annähernd so viel Herzklopfen hatte wie in der Halbzeit des Spiels gegen Bochum. Dann kam Valencia, als er mit dem KSC die Sensation schaffte, und eben das WM-Finale. Unvergessen die erste Meisterschaft mit den Bayern und das Champions-League-Finale mit den gehaltenen Elfmetern. Da hätte ich meine Frau auf der Tribüne fast umgebracht, so sehr drückte ich sie vor lauter Glückseligkeit.

Im WM-Finale hat man ihn zum Verlierer gemacht.

Das hat mich sehr gestört, denn es gab davor und danach genug Gelegenheit, ein Tor zu erzielen.

Es gab doch viel schlimmere Dinge, man hat ihm Bananen vor die Füße geworfen und ihn mit Affengeräuschen begrüßt.

Am Anfang ist so etwas schlimm. Irgendwann erreichst du den Punkt, wo du denkst, das hat er sich erarbeitet. Soll ich Ihnen meine Bananengeschichte erzählen?

Bitte, nur zu.

Als dieses sportliche Unglück für Schalke 04 passiert ist, als die Menschen dort glaubten, sie sind Meister, obwohl das Spiel der Bayern in Hamburg noch lief. Das lag auch daran, dass das Spiel überhaupt später anfing, weil der Strafraum von Oliver voller Bananen lag und minutenlang geräumt werden musste. Weil sie später anfing, endete die Partie nicht gleichzeitig wie die anderen, dann kam noch die Nachspielzeit dazu. Hätte es diese Bananenwerferei nicht gegeben, hätte es diese unglücklichen Momente und diese Tränen bei Schalke nicht gegeben.

Haben Sie sich irgendwann Sorgen umihn gemacht, weil er so ehrgeizig rüberkam?

Nein.

Manches sah schon sehr markant, finden Sie nicht?

Vieles von diesen Momenten hatte etwas mit Strategie zu tun. Das heißt, es war viel „Schattenboxen“ mit im Spiel. Er war in einer Schublade und kam nicht mehr raus. Da war aber kein verhärteter Mensch, und ich hatte keine Angst, dass da etwas kollabiert.

Freuen Sie sich nun nach Jahren der Anspannung, dass er jetzt vielleicht ein normales Leben führen kann?

Ich denke, man wird sich medial noch eine Weile um ihn kümmern und schauen, was tut er, wo trinkt er Kaffee, wo geht er essen und so weiter. Er wird also noch unter Beobachtung stehen. Ich hoffe nur, dass er nicht in diese Wussow-Kiste kommt.

Wie bitte?

Das meine ich nicht im Sinne des Schauspielers, sondern, dass er nicht sein Leben lang bei allem beobachtet wird. Ich hoffe, es beruhigt sich. Aber das wird dauern.

Nun gibt es am 17. Mai das letzte Bundesligaspiel. Wünschen Sie sich etwas für das letzte Spiel? Ist danach ein gemeinsames Essen mit der Familie geplant?

Der große Zündstoff ist ja raus, weil die Saison gelaufen ist. Es ist das Gefühl des langsamen Auseinandergehens. Vielleicht wird der 2. September, wenn die Bayern gegen die Nationalmannschaft bei seinem Abschiedsspiel spielen, ein emotionalerer Moment.

Und am Abend danach?

Am Wochenende jedenfalls werden mehr Familienmitglieder als sonst mit nach München kommen. Weil nichts mehr passieren kann, muss sich meine Frau auch nicht mehr in meiner Jackentasche verstecken, wenn die gegnerischen Angriffe rollen. Es kann ja nichts mehr passieren.

Oliver Trust

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