Mehr Bayer als Schwabe
Für einen Fototermin hat Jürgen Klinsmann Lederhosn angezogen. Das soll urig wirken. Aber wie münchnerisch ist er wirklich? Ein AZ-Check.
MÜNCHEN Jürgen Klinsmann kam mit, posierte aber ohne. Nicht oben ohne. Nein, ohne Weißbier in der Hand. Aber wenigstens in Lederhosn.
Ein Pflichttermin war’s, am Dienstag beim Paulaner am Nockherberg. Routine in Krachledernen – für die meisten. Nur für die Neuverpflichtungen Jörg Butt, geboren in Oldenburg, und Tim Borowski, den Neubrandenburger, war das neu. Borowski: „Ich habe mit zehn oder elf Jahren das letzte Mal eine getragen, warum weiß ich nicht mehr. Es war eine schlechte Idee meiner Mutter.“ Auch für Klinsmanns Assistenten, den Mexikaner Vasquez und den US-Amerikaner Theslof, war’s das erste Mal. Für den Chefcoach nicht.
Der trug schon 1996 Tracht. Da feierte er als Bayern-Profi den Uefa-Cup-Triumph auf dem Rathausbalkon in Lederhosn. Privat besitzt er allerdings keine. Doch auf den offiziellen Wiesn-Termin mit dem FC Bayern freut er sich schon. Da wird dann die gesamte Mannschaft im Käfer-Zelt einlaufen, bayerisch gestylt. Doch wie bayerisch ist Jürgen Klinsmann, der Schwabe, geboren in Göppingen? Die AZ macht den Check:
Das Münchner Kindl: Als Spieler wohnte Klinsmann von 1995 bis ’97 innerstädtisch im Herzogpark – nicht wie die meisten Mitspieler in Grünwald. Jetzt hat er mit Frau Debbie, einer Amerikanerin, und den Kindern Jonathan und Laila ein Haus in Grünwald bezogen. Die Beziehung zu München ist stark – vor allem weil Klinsmann Vater eines echten Münchner Kindls ist: „Unser Sohn Jonathan ist vor zehn Jahren in München geboren worden. Das ist eine sehr emotionale Geschichte für uns.“ Seit er am 30. Juni seinen Dienst bei Bayern angetreten hat, ist er noch nicht dazugekommen, seine Mutter Martha in Stuttgart-Botnang zu besuchen.
Der Fremdenführer: Schon im Februar, wenige Wochen nach seiner Verpflichtung, hatte Klinsmann seinem Co-Trainer Vasquez die Stadt gezeigt. Klinsmann im Juli über seine Assistenten: „Meine Jungs sind beeindruckt von dieser Stadt, von ihren Plätzen und Gärten. Hier kann man an fast jeder Stelle die Geschichte dieser Stadt spüren.“ Er selbst zeigt sich ungern in der City. Klinsmann: „Klar gehe ich auch mal in ein Straßencafé. Aber da setz' ich mir halt die Baseballkappe auf, dann erkennt man mich nicht ganz so schnell.“
Der Feinschmecker: Mit Vasquez und den anderen Assistenten geht Klinsmann regelmäßig zum Essen in die „Südtiroler Stuben“ von Münchens Starkoch Alfons Schuhbeck oder ins „Käfer’s“ am Hofgarten. Als Leibspeisen gibt er meist Dampfnudeln oder Pasta an, als Getränk Spezi und Weißbier. Klinsmann liebt auch italienische Küche, trinkt gern Espresso.
Der Mundartspezialist: Klinsmann ist gebürtiger Schwabe, sieht sich selbst aber eher als Weltbürger. Er spricht fließend Englisch, Italienisch, passabel Französisch und lernt seit längerem Spanisch. Freilich hört man sein Schwäbisch noch durch, wenn er spricht, doch lieber benutzt er Begriffe wie „Empowerment“ oder „Life skills“ – Fachterminologie aus den USA.
Der Mir-san-Mir-Vertreter: Klinsmann möchte den Spielern des aktuellen Kaders das legendäre Image der Bayern der 70er Jahre einimpfen. „Mir san mir – das ist die Philosophie“, sagte Klinsmann, „der FC Bayern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten selbst definiert.“ Der Coach möchte, dass die Spieler diese Geschichte weiterschreiben, im neuen Kinosaal sollen ihnen Videos von damals vorgeführt werden.
Klinsmann hat seinen Lebensmittelpunkt aus Kalifornien nach München verlegt, die Familie will hier sesshaft werden. Ein Vertrauter von ihm sagt, dass sich Klinsmann ohnehin mehr als Bayer fühle denn als Schwabe. Heiligs Blechle.
Patrick Strasser