Marcel Reif spricht in der AZ über die Saison-Chancen des FC Bayern München
München - Der 67 Jahre alte Sportjournalist und Kommentator arbeitet aktuell als TV-Experte für Sport1 beim "Doppelpass".
AZ: Herr Reif, der FC Bayern hat eine holprige Vorbereitung hinter sich. Ist die mit dem Supercup-Sieg gegen Borussia Dortmund nun vergessen?
MARCEL REIF: Das muss man alles ein bisschen unaufgeregt sehen. Der Supercup war plötzlich wichtiger als sonst, wegen dieser medialen Bedenken ob der Bayern-Vorbereitung. Es bleiben aber einige Baustellen und Fragen offen.
Welche denn?
Eine große Baustelle, die nicht geschlossen wurde, ist die fehlende Alternative für Robert Lewandowski. Ich habe da meine Zweifel, dass Thomas Müller das sein kann. Und dann haben die Bayern noch den Abgang von zwei Hierarchen zu verkraften. Philipp Lahm und Xabi Alonso waren ganz wichtige Figuren, Säulen in der Mannschaft - auch in der Kabine.
Sehen Sie da Probleme?
Es ist bei jedem Klub ein Problem, wenn solche Giganten aussteigen. Die Hierarchie wird sich jetzt neu zurechtruckeln müssen. Boateng und Neuer sind jetzt auch noch zum falschen Zeitpunkt verletzt. Die beiden wären mit Hummels so die natürlichen Nachfolger.
Können Corentin Tolisso oder Sebastian Rudy Alonso sportlich ersetzen?
Tolisso ist ein Wechsel für die Zukunft. Das macht Dortmund ja durchgängig. Und auch die Bayern müssen wenigstens zum Teil auf Junge setzen und hoffen, dass es nicht so läuft wie bei Renato Sanches. Gerade jetzt, da Alonso weg ist, muss das früher funktionieren. Rudy wird vielfach unterschätzt. Er ist nicht der spektakulärste Name, aber einer, der sofort da ist. Man sollte ihn nicht sofort an Xabi Alonso messen. Dass er großes strategisches Potenzial hat, hat man aber gesehen.
"Meisterschaft kein Selbstläufer"
Ist James der Granaten-Transfer, der große Name, den Bayern gebraucht hat?
Er kann und wird die Mannschaft verstärken, aber er ist ein offensiver Mittelfeldspieler. Eine Verpflichtung, die vorne das Backup-Problem mit Lewandowski gelöst hätte, wäre für mich aber der Königstransfer gewesen. Ein Alexis Sanchez hätte da mehr Sinn ergeben. Ich kann nachvollziehen, dass die Bayern wegen ihm nicht ihr gesamtes Gehaltsgefüge über den Haufen werfen wollten. Ich glaube aber, dass die Meisterschaft mit diesem Kader kein Selbstläufer wie in den vergangenen Jahren wird.
Sie haben Dortmund auf der Rechnung?
Als allerersten Anwärter. Dann wird man sehen, wer noch dazu bereit ist, aufzuheben, was von den Bayern liegengelassen wird. Einen Bayern-Durchmarsch wird es nicht geben. Vieles muss sich erst mal zurechtruckeln. Die Frage ist, wie ruhig man dabei bleibt. In der Vorbereitung hat man ja schon gesehen: Ein bisschen was läuft nicht - und schon wird die große Krise ausgerufen.
Beim Wettbieten um die ganz großen, teuren Spieler hielt sich der FC Bayern zurück.
James Rodríguez ist ja ein großer Name, auch wenn er so ein bisschen bei Real Madrid verklungen war. Das ist aber alles noch in einem überschaubaren Kontext. Wenn wir anfangen, das alles an Neymar zu messen, werden wir verrückt. Jetzt muss man sehen, ob die Bayern im großen Rahmen konkurrenzfähig bleiben. Barcelona wird mit dem Geld jetzt auch noch in der Gegend rumturnen. Es wäre schön, wenn die Bayern den Gegenbeweis antreten könnten, dass man auch ohne durchzudrehen, konkurrenzfähig ist.
Sind die 222 Millionen Euro, die Paris für Barcelonas Neymar zahlt, nachvollziehbar?
Über die Entwicklung des Fußballs diskutiere ich seit vergangener Woche und diesem Transfer nicht mehr. Dafür reicht mein Koordinatensystem nicht mehr aus. Das ist Irrsinn, blanker Wahnsinn.
"Einige Dinge sind im Umbruch"
Hat Paris sich mit Neymar den Erfolg gekauft?
Ja, weil Geld natürlich Tore schießt. Neymar wird sie entschieden besser machen. Und das wird auch noch andere Spieler locken. Paris wird zu einem großen Player. Es wäre ja bei diesen Summen auch verrückt, wenn nicht.
Carlo Ancelotti glaubt dennoch, dass er mit Bayern die Champions League gewinnt.
Wenn er das Gegenteil gesagt hätte, hätte ich mich gewundert. Jetzt ist es noch ein Spiel der Worte. Real Madrid ist nicht schlechter, Paris stärker geworden, Barcelona hat fürs Erste Qualität verloren, ist aber immer noch ein Topteam. Und die Engländer drängen mit Macht und vor allem Geld nach vorne. Die Bayern werden wieder aus ihren Möglichkeiten das Beste machen müssen. Es kriecht der Verdacht in einem hoch, dass es unter diesen Bedingungen zunehmend schwerer wird.
Mit Hasan Salihamidzic hat Bayern einen neuen Sportdirektor. Ist er der Richtige?
Das werden die Fakten zeigen. Es braucht einen Teammanager. Das hat man in der vergangenen Saison gesehen. Das hätte Spielern wie Coman, Sanches, Kimmich oder Costa, der lustlos wie ein trauriges Pferdchen rumlief, gutgetan. Salihamidzic war nicht die erste Wahl, aber das heißt ja nicht, dass er es jetzt nicht hinkriegt. Die Frage wird sein: Wie funktioniert das mit Ancelotti? Mit Willy Sagnol ist auch noch ein neuer Co-Trainer da, Michael Reschke ist jetzt weg. Einige Dinge sind im Umbruch bei Bayern. Ein Umbruch dauert im Normalfall ein bisschen, es muss sich alles finden. Aber wir reden hier über den FC Bayern. Zeit ist in München eigentlich kein Faktor, der akzeptiert wird. Da heißt es: Mia san mia. Und dann muss es auch relativ zügig gehen. Es wird sehr schnell sehr laut werden, wenn etwas nicht funktioniert.