Lukas Podolski, der Unvollendete

Kurz vor der Rückkehr vom FC Bayern nach Köln reifen in Lukas Podolski Einsichten, die sich manche von ihm früher gewünscht hätten.
MÜNCHEN Was er denn mitnehme nach drei Jahren FC Bayern, wird Lukas Podolski am Donnerstag gefragt. Er zögert. Seine Bilanz liest sich so: Zwei Meisterschaften, zwei Pokalsiege und ein paar Adiletten mit Bayern-Logo. Die hat er bei seiner letzten Presserunde getragen. Dabei soll es aber nicht bleiben. „Ich nehme alles mit, was ich noch im Spind habe“, sagt Podolski.
Gefühle sind natürlich auch dabei. Und ein Gefühl, das ist ganz neu, das kannte Podolski lange gar nicht in seiner Münchner Zeit: Wehmut. Ja tatsächlich, kurz vor seinem Wechsel im Juli zurück zum 1.FC Köln kommt Wehmut auf. Er will das nicht direkt aussprechen, er sagt es zwischen den Zeilen. „Ich hatte mit Höhen und Tiefen drei schöne Jahre hier. Ich habe München ein bisschen lieb gewonnen.“ Plötzlich doch.
Lieb gewonnen hat der Gefühlskölner München dank eines Mönchengladbachers, dank Jupp Heynckes. Der Aushilfstrainer hat Podolski den Spaß am Fußball zurückgegeben, ihn aufgebaut, ihn gelobt. Podolskis Jupp-Bilanz: Vier Spiele (alle von Beginn an), zwei Tore, fünf Torvorlagen.
„Jetzt am Ende unter dem neuen Trainer lief es gut“, sagt der 23-Jährige, „wenn es vorher so gelaufen wäre, wäre die Entscheidung vielleicht anders gefallen.“
Die Entscheidung pro Heimweh, für die Rückkehr zum 1.FC Köln, dem Verein seines Herzens. Ein Schritt zurück zu einem Klub mit geringerem Budget und geringeren Ambitionen – aber eben ohne Trainer, die Felix Magath, Ottmar Hitzfeld oder Jürgen Klinsmann heißen. Podolski sagt: „Aber die Entscheidung steht seit Januar und ich werde sie auch nicht rückgängig machen. Dass ein neuer Trainer kommt und ich so oft spiele, habe ich im Januar nicht gewusst.“
Für vier Jahre hat er in Köln unterschrieben – im Wissen, womöglich keinen Titel mehr gewinnen zu können. Aber die Herzen aller. Poldi ist ein Gefühlskicker, er braucht ein intaktes Umfeld, das Vertrauen der Mannschaft und einen Trainer, der bedingungslos zu ihm hält. Anders als Klinsmann. Unter dem am 27. April entlassenen Coach hatte er diese Bundesliga-Bilanz: 19 Spiele (davon neun von Beginn an), vier Tore, zwei Vorlagen. Er litt darunter, dass Klinsmann Luca Toni und Miroslav Klose als gesetzt hinstellte, als Platzhirsche. Podolski bekam die Rolle des Herausforderers – aber hatte er wirklich eine Chance? Noch im Nachhinein steckt Klinsmann Poldi in die Joker-Schublade: „Lukas ist nicht der Typ, der sich im Haifischbecken FC Bayern durchsetzen kann und möchte. Den Konkurrenzkampf wollte er und konnte er nicht annehmen. Er hat unter Felix Magath nicht gespielt, er hat unter Ottmar Hitzfeld nicht gespielt, er hat unter mir nicht gespielt, weil er ihnen nicht das Wasser reichen konnte.“
Teils wahre Worte, aber die Vehemenz, mit der Klinsmann Podolski als Nummer drei einstufte, überraschte und verwirrte auch die Verantwortlichen. Trotz seiner vier Titel ist Podolski, der auch nie wirklich zum Fanliebling der Südkurve geworden ist, in München ein Kölner geblieben.
Besser hätten die Voraussetzungen 2006 nicht sein können für ihn beim Wechsel gen Süden: Er war ein Teil des Sommermärchens, er war die eine Hälfte von Schweini/Poldi, das größte Sturm-Talent Deutschlands. Aber er wurde nie: der Bayern-Torjäger. Was er wurde: ständiger Bankdrücker und Exil-Kölner. Er geht als: der Unvollendete.
Die Mitspieler sind traurig, dass er geht. „Er kann es hier mit allen gut“, sagte Kapitän Mark van Bommel. Späße, Frohsinn, immer gut gelaunt zum Training kommen, immer positiv sein – das ist das eine. Über die andere Seite des Lukas P. spricht van Bommel auch: „Er hat leider nicht alles rausgeholt, was er kann. Das hat an ihm gelegen und an der Situation.“
Gegen Stuttgart macht Podolski am Samstag sein letztes Bayern-Spiel – von Beginn an. „Mal sehen, was kommt, ich habe für vier Jahre in Köln unterschrieben“, sagt Podolski. „Wenn man Erfolg haben will und international spielen will, ist der FC Bayern die beste Adresse.“ Wie bitte? Der kölsche Jong als Abtrünniger. Er bestätigt: „Bayern ist der beste Verein in Deutschland. Köln der zweitbeste.“ Ein Wechsel als Rückschritt – ein vorschneller dazu?
Eine Prise Wehmut, Abschiedsschmerz: Ungeahnte Emotionen des Spaßvogels. Ganz zum Schluss zeigt er ein neues Gesicht. Er, der Unvollendete.
Patrick Strasser