Lothar Matthäus: „Wir haben alle abgehängt“
AZ: Herr Matthäus, drei Siege aus vier Spielen von Bayern und Dortmund gegen Real Madrid und Barcelona, mal eben 11:3-Tore. Ottmar Hitzfeld sieht eine „Wachablösung“ des deutschen über den spanischen Fußball. Zu früh?
LOTHAR MATTHÄUS: Nein. Der deutsche Fußball steht in Europa an der Spitze – nicht erst seit dieser Woche. Die Halbfinal-Erfolge waren eine Bestätigung der Klasse. Man hat sich Schritt für Schritt nach oben gearbeitet – und gespielt. Erst die Italiener, dann die Engländer, nun die Spanier verdrängt. Wir haben alle abgehängt. Man ist dran, Spanien längerfristig als Nummer eins abzulösen. Diese Entwicklung war vorhersehbar.
Inwiefern?
Mir war klar, dass sich die Machtverhältnisse vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet regulieren würden und zu Gunsten der Bundesliga einpendeln. Da ist zum großen Teil stets vernünftig gewirtschaftet worden – das zahlt sich aus. Die Liga ist gesund.
Profitiert man immer noch von der WM 2006?
Klar. Dem Fan wird etwas geboten, der Service in den Arenen ist top. Da beneidet man uns in Italien und Spanien. Ich komme viel rum, werde oft auf die Bundesliga angesprochen. Es kommt nicht von ungefähr, dass in den letzten Jahren Top-Stars wie Ribéry, Toni, Robben, Raul, Huntelaar oder Martínez nach Deutschland gewechselt sind.
Bayerns Präsident Uli Hoeneß beklagte vor kurzem, dass es spanische Verhältnisse geben könnte in der Bundesliga – mit nur zwei dominierenden Vereinen.
Ich denke, dass nicht nur Bayern und Dortmund in den nächsten Jahren in der europäischen Spitze überzeugen können. Auch Leverkusen, Schalke und der Hamburger SV, falls man sich stabilisiert, könnten in Champions League und Europa League eine gute Rolle spielen. Allem liegt die gute Jugendarbeit zugrunde. Man gewann die U19-EM 2008, die U17-EM 2009, dann den Titel bei der U21-EM 2009 mit Neuer, Hummels, Boateng, Özil und Khedira.
Im Juni will die U21-Auswahl von Trainer Adrion den Titel in Israel holen.
Nach dem Desaster bei der WM 1998 und der EM 2000 hat man erkannt, dass man im Nachwuchsbereich einiges verändern, sich neu aufstellen muss. Da hatten die Franzosen, die Spanier vorbildhaft gearbeitet. Das Resultat der hervorragenden deutschen Nachwuchsarbeit sind nun Spieler wie Müller, Badstuber, Götze, Reus.
Lahm und Schweinsteiger sind seit knapp zehn Jahren Nationalspieler. Ist Ihre Generation endlich dran mit einem ganz großen Titel?
Der letzte Schritt, der große internationale Titel, ob es die Champions League ist oder eine EM oder WM, das fehlt noch. Der Hunger ist da, der Antrieb auch. Klappt es, würde es die Spieler noch besser, weil sicherer machen.
Wer hat im deutschen Finale am 25. Mai Vorteile?
Die Bayern. Sie haben sich gegen Juventus Turin und Barcelona souveräner durchgesetzt als der BVB gegen Malaga und Madrid. Bayern ist breiter aufgestellt, hat den besseren Kader, die besser besetzte Bank. Doch die psychologische Komponente ist: Wer hat mehr zu verlieren? Wenn die Bayern wieder den Champions-League-Titel im Finale verlieren, dann zum dritten Mal in vier Jahren. In diesem Fall wären Meisterschaft und der eventuelle Pokalsieg kein Trost. Die Enttäuschung dafür riesengroß.