Letzte Chance? Warum die 95er-Generation um Kimmich beim FC Bayern unter Druck steht

München - Vor gut drei Wochen hat der FC Bayern die elfte Meisterschaft am Stück gewonnen. Bereits in Köln und später auch bei der Meisterfeier am Münchner Marienplatz konnte man sehen, dass es nicht irgendeine Meisterschaft und irgendeine Saison war.
Die Münchner stichelten gegen Liga-Rivale Borussia Dortmund, wie zum Beispiel Serge Gnabry, der Karim Adeyemis "Augen"-Jubel während der Feierlichkeiten imitierte. Eine Woche zuvor, nach seinem verwandelten Handelfmeter gegen die Bayern, schickte Dominik Szoboszlai genau damit einen Gruß an seinen Kumpel und ehemaligen Salzburger Teamkollegen.
Musiala fehlen die Worte: Euphorie bei der FC-Bayern-Meisterfeier
Siegtorschütze Jamal Musiala hatte "die Worte nicht", um sein Glück zu erklären. So ein gutes Gefühl habe Bayerns Juwel bis hierhin noch nicht gehabt. Ein so breites Grinsen wahrscheinlich auch nicht. Beim Empfang auf dem Rathausbalkon bekam Musiala den mit Abstand größten Applaus.

Auch Thomas Müller konnte die Situation nur schwer einordnen. "Ich habe Thomas noch nie so erlebt", war selbst Lothar Matthäus bei Sky erstaunt. Die Meister-Entscheidung in der letzten Minute: Der FC Bayern hat für sich die titellose Saison abgewendet und sie stattdessen kurz vor Ende noch dem Rivalen verpasst. Dass man ausnahmsweise als Underdog in den letzten Spieltag ging und sich dennoch durchsetzen konnte, macht die Geschichte rund.
Knackpunkt K.O.-Spiele: Köln als Wendepunkt für den FC Bayern?
Vielleicht hat die Mannschaft genau dieses Erlebnis gebraucht. Dass sie diejenigen sind, die enge Spiele und (Saison-)Finals auf ihre Seite ziehen. Auf internationaler Ebene wollte das zuletzt eher bedingt funktionieren.
Seit dem Triple 2020 zogen die Münchner gegen Paris Saint-Germain qua Auswärtstorregel den Kürzeren (2:3, 1:0), kassierten gegen Villarreal (0:1, 1:1) selbst den späten Knockout und mussten sich Manchester City in der abgelaufenen Königsklassen-Spielzeit letztlich deutlich geschlagen geben (0:3, 1:1) – jeweils im Viertelfinale der Champions League. Auch im DFB-Pokal kam der deutsche Rekordmeister seit 2020 nicht mehr über das Viertelfinale hinaus.
Am Ende fehlten konstant gute – und vor allem überzeugende – Ergebnisse. Als Konsequenz mussten Vorstandsboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic zum Ende der Saison gehen. Aber auch der Mannschaftskern wurde seiner Führungsrolle zu selten gerecht. Über weite Teile der Saison gehörten Musiala und Eric Maxim Choupo-Moting, an den jeweils gegenteiligen Enden des Altersspektrums, zu den konstantesten Akteuren. Aus der in der Vergangenheit vielgepriesenen Generation 1995/1996 gelang es lediglich Joshua Kimmich, sein Niveau die gesamte Saison über zu halten.
FC-Bayern-Vorstand macht Druck: Höhere Erwartungen für kommende Saison
Laut "Sport1" plant der FC Bayern für den Sommer keinen Ausverkauf oder großen Umbruch. Dennoch wird die neuformierte Führungsriege um Jan-Christian Dreesen, Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge von einigen Spielern deutlich mehr verlangen. Dies soll den Beratern auch bereits mitgeteilt worden sein.
Zu oft gab es denselben Spielfilm, dass der FC Bayern in Führung ging, das 2:0 verpasste, stattdessen den Ausgleich kassierte und manchmal sogar noch verlor, wahlweise mit verschuldetem Elfmeter. Deren drei waren es an den letzten beiden Spieltagen, zehn insgesamt – nur in der Bundesliga. Dortmunds Kollaps am letzten Spieltag gegen Mainz darf über diese Probleme nicht hinwegtäuschen.
Auch in der Nationalmannschaft zeigten sich diese Schwierigkeiten, als die DFB-Elf bei der WM gegen Japan trotz Führung unterlag oder auch das Spiel gegen Costa Rica (4:2) zwischenzeitlich hergab.
Auch Philipp Lahm erwartet mehr – und könnte als gutes Beispiel dienen
Ex-Kapitän Philipp Lahm meint, dass daher zwei Spieler nun besonders gefordert sind: "Joshua Kimmich und Leon Goretzka, die ich in der Verantwortung sehe, sind mit dem FC Bayern oftmals Meister geworden. Sie haben 2020 die Champions League gewonnen. Sie können es also. Sie müssen auch in der Nationalmannschaft einen Kern bilden und ein Team kreieren."
Lahm selbst ist ein gutes Beispiel, wohin die Reise für die aktuelle Generation gehen könnte. Der Verteidiger erlebte selbst zahlreiche Rückschläge mit der Nationalmannschaft – die Halbfinal-Niederlage gegen Italien 2006, das verlorene EM-Finale 2008 gegen Spanien, in dem Lahm entscheidend patzte, oder auch die Halbfinal-Niederlage gegen Italien bei der EM 2012.

Hinzu kommen für Lahm zwei verlorene Champions-League-Endspiele (2010, 2012). Auch in diesem Fall kamen zwischenzeitliche Zweifel auf, inwieweit Lahm & Co. noch der ganz große Wurf gelingen würde. Sowohl beim FC Bayern als auch in der Nationalmannschaft belehrten die Spieler die Kritiker eines Besseren: Nach drei zweiten Plätzen in der Saison 2011/12 gewann Lahm mit den Münchnern schließlich das Triple und wurde mit der DFB-Elf 2014 Weltmeister in Brasilien.
Neue Bestwerte für Coman und Gnabry, aber die Konstanz fehlt
Zurück in die Gegenwart: Der richtige Schluss für die Generation 1995/1996 lautet in erster Linie Konstanz. Über die vergangenen Jahre verhinderte Robert Lewandowski oftmals, dass sich diese Probleme auch punktetechnisch niederschlugen. Sein Abgang legte die Wunde sportlich offen und zwang das Team, geschlossen mehr Verantwortung zu übernehmen.
Das will auch Leon Goretzka in den kommenden Jahren und "ein Ankerpunkt sein in schlechten Phasen, in denen wir ein Gegentor bekommen oder in denen es nicht richtig läuft", sagte der Nationalspieler in einem Interview mit Sport1. Goretzka wolle " in schwierigeren Phasen – wie wir sie aktuell beim DFB haben, wie wir sie zuletzt bei Bayern hatten – noch mehr meinem Anspruch als Führungsspieler gerecht werden".

Für Kingsley Coman sowie Serge Gnabry sind acht, beziehungsweise 14 Saisontore jeweils neuer persönlicher Bestwert. Allein, sie verteilten diese auf bestimmte Phasen der Saison. Coman spielte einen herausragenden Februar, während Gnabry, mit fünf Toren an den letzten fünf Spieltagen sowie der Vorlage zu Jamal Musialas Siegtreffer gerade rechtzeitig zum Saisonfinish in Form kam.
Dennoch haben auch sie ihre Grenzen: 35 oder mehr Treffer aus den beiden zu holen, in den Sphären zu treffen, in denen es Lewandowski zu besten Zeiten tat, ist Utopie. Dessen ist sich die Vereinsspitze auch bewusst und daher bereit, viel Geld in einen Topstürmer zu investieren. Auch mit ihm, ob er Randal Kolo Muani, Dusan Vlahovic oder ganz anders heißt, sollte die aktuelle Generation ihr Niveau im Vergleich zur Vorsaison wieder etwas nach oben schrauben.
Mit Laimer und Guerreiro: Tuchel sollte den Konkurrenzkampf erhöhen
Um das zu gewährleisten, gilt es für Trainer Thomas Tuchel, den Konkurrenzkampf zu erhöhen. Mit Raphaël Guerreiro und Konrad Laimer sind zwei zusätzliche Alternativen fürs Mittelfeld und die defensiven Außenbahnen bereits eingetütet. Dazu soll ein Top-Sechser und besagter Star-Stürmer verpflichtet werden.
Der Fall für die aktuelle Generation ist klar: Es sind nicht nur die Bosse, die sie mit ihrer Ansage an die Berater dazu zwingen, aufs nächste Level zu kommen und dieses auch beizubehalten. Es ist in erster Linie die Spieler-Generation nach ihnen, die Druck macht. Musiala (Jahrgang 2003) erzielte nicht nur den entscheidenden Treffer in Köln, nachdem Leroy Sané Sekunden zuvor die Chance darauf vergab. In seiner ersten Saison als Stammspieler kommt Musiala auf zwölf Tore und 13 Assists in der Liga.

Die einzigen Mittelfeldspieler in den Top-5-Ligen mit noch mehr Scorer-Punkten, sind João Mário, der bei Benfica allerdings auch erster Elfmeterschütze ist – und ein gewisser Lionel Messi. Der heftig umworbene Declan Rice (Jahrgang 1999) führte erst in der vergangenen Woche seinen Jugendklub West Ham als Kapitän zum Gewinn der Europa Conference League.
Bei alldem darf man auch Mathys Tel (Jahrgang 2005) nicht vergessen, dessen 82 Minuten pro Tor Bestwert in der Bundesliga sind. In seinem Fall denkt der Klub auch über eine Leihe nach – er selbst allerdings nicht. "Der Klub liebt ihn, die Fans lieben ihn – wir wollen eine Liebesgeschichte zusammen aufbauen, weil Bayern einer der besten Vereine der Welt ist", sagte Tels Berater Gadiri Camara zuletzt. Der Youngster will sich im Münchner Star-Ensemble auf jeden Fall durchsetzen.
Ein Signal für die 95er-Generation um Kimmich, Gnabry, Goretzka und Co. Für sie gilt: Das Talent ist da, der Wille auch. Die Chance – noch...