Lehrstunde mit Louis - für die Bayern-Bosse

Van Gaal brüskiert seine Chefs, denen er in seiner Biografie den „falschen Umgang“ mit den Spielern vorwirft. Und er kritisiert „die Kultur dieses Klubs“– im Beisein von Hoeneß und Rummenigge.
MÜNCHEN Kathrin Müller-Hohenstein wusste, was kommt, die geladenen Gäste hatten noch nichts in der Hand. Waren brav in Schuhbeck’s „Südtiroler Stuben“ marschiert, vorbei am Stapel mit den originalverpackten Büchern, hatten in geblümten Fauteuils Platz genommen und ein wenig den Stuck an der Decke bewundert. Auf eine Bombe waren sie nicht gefasst. Die ging wenig später hoch – in Form des Buches von Louis van Gaal. 280 Seiten Biografie, 162 Seiten Vision. Macht zusammen drei Kilo Sprengstoff.
2009 hatte van Gaal dieses Buch schon einmal vorgestellt: im holländischen Original, in der Amsterdam Arena. Die intimen Einblicke in sein Privatleben sind in der deutschen Übersetzung also nicht neu. Zum Original hat van Gaal zwei Kapitel angefügt. Zwei Kapitel über seine ersten Monate beim FC Bayern. Das erste heißt: „FC Bayern, der Herbst“, das zweite „FC Bayern, der Lauf“.
Kathrin Müller-Hohenstein hat einen ihrer gelben Merkzettel an der richtigen Stelle gesetzt – und damit sozusagen die Bombe gezündet. Als sie liest, sitzen Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Karl Hopfner, Andreas Jung und Christian Nerlinger zwei Meter entfernt in Reihe eins.
Müller-Hohenstein liest auf Seite 167: „Eine professionelle Forderung von mir ist: Jederzeit on speaking terms bleiben. Niemand darf sich zum Kind machen, das trotzt, weil es nicht recht bekommt und sich bei anderen ausheult. Beim FC Bayern sind die Voraussetzungen in dieser Hinsicht ungünstig. Franz Beckenbauers Meinung hat den Rang göttlicher Offenbarung, und auch im Vorstand sitzen Ex-Stars wie Rummenigge und Hoeneß, die für die heutigen Stars ein offenes Ohr haben. Das hat schon etwas Schönes, doch ich halte es für den falschen Umgang. Es widerspricht meiner Philosophie. Leider muss ich das als die Kultur dieses Klubs hinnehmen. Diese Leute sind es immer gewöhnt gewesen, ihren Einfluss zu haben. Es gefiel ihnen gut, ihren Draht zu den Spielern zu haben. Der Vorstand setzt sich hauptsächlich aus Ex-Spielern zusammen, die den FC Bayern zu seiner Größe geführt haben. Da liegt es in der Natur der Sache, dass sie ihre Meinung haben. Rummenigge und Hoeneß sagten: „Louis, wir tun das doch alles auch für dich, da kannst du doch nicht allein entscheiden.“ Ich antwortete: „Doch, ich kann.“ Wenn Spieler riechen, dass sie irgendwo ein offenes Ohr finden können, dann werden sie dort hingehen. Das schafft Unruhe, das kostet viel wertvolle Energie, auch für Hoeneß und Rummenigge.“ Pardauz!
Schade, dass man nicht in Menschen hineinschauen kann, und nicht jeder ist wie Louis van Gaal, der von sich selbst sagt: „An meinem Gesicht kann man lesen, wie ich mich fühle.“ In den Gesichtern von Hoeneß, Rummenigge & Co. war nicht viel zu lesen.
A Hund isser scho, dieser van Gaal. Schert sich wirklich um nichts. Schlechtester Bundesligastart seit Erfindung des FC Bayern, 13 Punkte Rückstand auf Platz eins – und dann so was! Das nennt man wohl Chuzpe. Doch wie immer steht van Gaal zu seinen Worten, ob in gedruckter oder artikulierter Form. Mit einem Scherz versucht er die Stimmung zu lockern: „Wahrscheinlich kriege ich jetzt eine Geldstrafe.“ Erheiterung, bei den Journalisten. Van Gaal weiter: „Nein, ich denke nicht.“
Als ob es noch nicht genug wäre, bat die Moderatorin den Bayern-Trainer, den Vorständlern je ein Buch zu überreichen. Uli Hoeneß kam als Erster dran – und erhielt einen Rüffel von van Gaal: „In seinem Grußwort für mein Buch hat mir ein Satz nicht gefallen: der vom ,mittelmäßigen Golfer, der es mit den Regeln nicht so genau nimmt’. Das ist viele Jahre her. Ich bin viel besser geworden.“ Karl-Heinz Rummenigge drückte er den Wälzer in die Hand, deutete auf den Band „Vision“ und sagte: „Für Sie ist das auch wichtig zu lesen.“ Rummenigge nickte nur, sprachlos.
Uli Hoeneß hatte als erster wieder die Sprache gefunden: „Kritik gehört dazu. Man muss sich immer die Wahrheit sagen“, meinte der Mann von der Abteilung offenes Visier, „man kommt nicht immer zusammen, aber das muss ja auch nicht sein. Der Präsident beobachtet und berät sich mit dem Vorstand, und wenn es sein muss, sagt er auch mal seine Meinung. Das habe ich getan. Zurzeit haben wir nicht das, was wir uns vorgestellt haben, und dann muss man schon mal einen Pflock einschlagen und sagen: bis hierher und nicht weiter!“
Thomas Becker