Lahms Trainer-Kritik: Wird er jetzt bestraft?

ZÜRICH - Lothar Matthäus war der Letzte. Er hatte den feinen Unterschied in Kauf genommen. Dieser besteht für einen Fußballprofi darin, eine Autobiographie während oder erst nach der Karriere schreiben zu lassen.
Philipp Lahm ist 27 Jahre alt, auf dem Zenit seiner Laufbahn: Bayern-Kapitän, Nationalelf-Kapitän. Wie einst Lothar Matthäus. Im Sommer 1997 erschien dessen läster-intensives Werk „Mein Tagebuch" (Sport-Verlag, Berlin), er war damals 36, hörte erst 2000 auf. Lahm hat noch eine Menge vor sich – und dank seiner Autobiografie „Der feine Unterschied”, die am kommenden Montag erscheint und bereits jetzt in Auszügen von „Bild” veröffentlicht wird, nun eine Menge Ärger.
Er attackiert seine ehemaligen Trainer bei Bayern. Ob Felix Magath, Louis van Gaal oder Jürgen Klinsmann, der es am härtesten abbekommt vom Hinterherbesserwisser. Und zwar so: „Nach sechs oder acht Wochen wussten bereits alle Spieler, dass es mit Klinsmann nicht gehen würde. Der Rest der Saison war Schadensbegrenzung”, schreibt Lahm. Unter dem heutigen US-Nationaltrainer hätte man 2008/09 „fast nur Fitness trainiert. Taktische Belange kamen zu kurz. Wir Spieler mussten uns selbstständig zusammentun, um vor dem Spiel zu besprechen, wie wir überhaupt spielen wollten”, erinnert sich Lahm schriftlich. Genau das ist der Punkt. Warum jetzt? Erst jetzt?
Der frühere Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld hat wenig Verständnis für Lahms Memoiren. „Ich finde das eigentlich nicht günstig, denn als aktueller Nationalspieler sollte man sich ein wenig zurückhalten. Das ist ja ein Buch, das Kritik übt an seinen Vorgesetzten. Und da fragt man sich, warum hat er die Kritik nicht früher angebracht?", fragte der Schweizer Nationalcoach bei „Sky” und fügte ebenso kritisch an: „Als Klinsmann da war, als van Gaal da war, hat er sich ja auch immer zurückgehalten. Und das finde ich eigentlich schade. Da ist Philipp Lahm, der eigentlich einen guten Charakter hat, nie negativ auffällt und immer moderate Interviews gibt, ein bisschen falsch beraten.” Bei van Gaal intervenierte Lahm im zweiten Jahr aufgrund van Gaals sturer Vernachlässigung der Defensive jedoch auch intern bei den Bayern-Bossen.
Es war die Agentur „acta 7” von Roman Grill, Ex-Bayern-Profi und später ein paar Jahre Mitarbeiter der Pressestelle, die auf den Kunstmann-Verlag zukam. „Die Agentur von Herrn Lahm bot uns das Projekt an, sie wollten einen Münchner Verlag”, sagte Sprecherin Anna Jung, „die Anfrage kam Anfang des Jahres." Die nun aufkommenden Kontroversen um Lahm betrachtet man im Kunstmann-Verlag natürlich mit Freude. Was diskutiert wird, verkauft sich.
Dazu trägt indirekt auch Rudi Völler, der Lahm 2004 erstmals in die Nationalelf berief, bei. Der heutige Leverkusen-Sportdirektor attackierte den Autor am heftigsten: „Ich empfinde das als Frechheit ohnegleichen, was er da beispielsweise über seinen ehemaligen Trainer Jürgen Klinsmann geschrieben hat”, sagte Völler gestern. Teilweise sei das „erbärmlich und schäbig”, Lahm habe „null Charakter”.
Und obendrauf: „Auf dem Platz Weltklasse, außerhalb Kreisklasse”, meinte Völler, dem Lahm vorwirft, man habe unter dem Ex-Bundestrainer „nichts Spezielles” trainiert, die Methodik sei „lustig, ja, und völlig unsystematisch” gewesen. Völler forderte den DFB, der nun Lahms Buch prüfen will, zu Konsequenzen auf.
Lahm selbst rechtfertigte sich in Zürich nur knapp: „Wenn man's genau liest, dann war's ja gar keine Abrechnung.” Was dann?