Kurioses von der Seitenlinie: Was erlaube Pep?

München - Als wäre schon Champions League. Für Pep Guardiola ist jedes Spiel, besonders wenn es so emotional wird wie gegen den FC Schalke, eine Gratwanderung. Hat sein Team den Gegner im Griff, hat Pep sich selbst im Griff. Wenn nicht – tja. Irgendein Ventil braucht der Katalane, um all seine Besessenheit, Leidenschaft und Anspannung, den ganzen Druck des selbst auferlegten Perfektionismus rauszulassen. Dann darf ihm niemand zu nahe kommen.
Beim 1:1 gegen die Schalker hatte Robert Kempter, der Vierte Offizielle, das „Vergnügen“ mit Guardiola. Weil der mit ihm den Treffer von Arjen Robben an der Seitenlinie feierte. Als der Kopfball drin war, wandte sich der 44- Jährige zu Kempter, blickte ihn böse an und jubelte ihm ins Gesicht. In Bruchteilen einer Sekunde schaltete er auf vernünftig – und packte sich Kempter. Eine herzhafte Umarmung. Danke, Kumpel. Schön, dass du da bist. Jetzt weiß der 26-jährige Werkzeugmacher aus Saulgau, wie sich das anfühlen muss, ein Spieler von Guardiola zu sein. Kempter huschte kurz ein Lächeln über das Gesicht, dann mühte er sich mit ernsterer Miene um Distanz.
„Ja, wir sind Freunde“, sagte Guardiola später mit einem smarten, leicht ironischen Lächeln und fügte spitzbübisch hinzu: „Ich hätte auch gerne so gejubelt mit der Kollegin in Mönchengladbach.“ Doch Bibiana Steinhaus, damals ebenfalls in der Rolle des Vierten Offiziellen, hatte Señor Pep beim 0:0 der Münchner gegen die Borussia im Oktober abblitzen lassen, nachdem dieser sich mit ihr wegen der Frage der Nachspielzeit angelegt hatte. Dabei ist es tabu, einen der Schiedsrichter anzufassen – für Spieler wie für Trainer. Nur Hände schütteln ist okay. Als er merkte, dass er sich im Ton vergriffen hatte, legte Guardiola der Polizeikommissarin den Arm auf die Schulter. Doch Steinhaus stieß Guardiolas Arm weg. Damals gab es keine Meldung im Spielbericht, also auch keine Strafe vom DFB. Und diesmal?
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„Ein anderer Trainer wäre für die Aktion mit Bibiana Steinhaus wahrscheinlich auf die Tribüne geschickt worden“, kritisierte damals Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Guardiola ist Wiederholungstäter, schon im November 2013 antwortete der Spanier auf eine Rüge mit einer Kuschel-Attacke. Als Schiedsrichter Markus Schmidt ihm beim 3:0 gegen Augsburg aufforderte, wieder in die Coaching Zone zurückzukehren, umarmte er diesen. Überhaupt, diese Coaching Zone vor der Trainerbank. Für einige Trainer ein imaginärer Käfig, für Guardiola wohl eine unverständliche Beschränkung seiner Schaffenskraft. Für Matthäus ist es „seltsam“, dass sich Guardiola 80 Prozent der Zeit ungestraft außerhalb der Coaching Zone aufhalten dürfe. Eine gute Beobachtung. Matthäus damals deutlich: „Das ist ein Bonus, den er sich erarbeitet hat. Ob der auch verdient ist, ist eine andere Frage.“
Wie sehr der Trainer in den ersten Tagen der Rückrunde unter Strom steht, bewies eben das Spiel gegen Schalke. Erst brockte ihm Jérôme Boateng durch seine Notbremse in der 17. Minute eine Denksportaufgabe ein. Umstellen, auswechseln, umstellen. Es folgte der umstrittene Tor-Klau von Schiedsrichter Bastian Dankert (Lewandowski wurde zurückgepfiffen, weil der Ball angeblich schon im Aus war), dann Peps Sprint zu Assistent Markus Häcker an die Eckfahne. Dem reichte er spöttisch die Hand, alles noch vor der Kuschelei mit Kempter. „Ich habe nur nachgefragt“, erklärte Guardiola später seinen Ausflug, „der Vierte Schiedsrichter hat mir nicht gesagt, was los war, und dann musste ich mit dem Assistenten sprechen. Ja, ich war emotional. Ich war sehr freundlich. Aber alles war sehr, sehr, sehr nett. Es war sehr korrekt.“
Das macht der Trainer immer so. Erst emotional aufgewühlt, die Grenzen der Regeln überschreitend – hinterher höflich, charmant. Nur: Wie lange kommt Guardiola damit beim DFB durch? Oder anders gefragt: Was erlaube, Pep?