Kurioses Plakat am Vereinsgelände des FC Bayern: Knacki begrüßt Harry Kane

München - Wer aktuell am Vereinsgelände des FC Bayern in der Säbener Straße vorbeiläuft, dem wird möglicherweise ein Plakat an der Litfaßsäule auffallen, auf dem ein langhaariger Mann in Handschellen für ein Polizeifoto bereitsteht.
Darüber ist schwarz auf weiß zu lesen "Dear Harry, welcome to Munich". Doch was zunächst den Anschein einer außergewöhnlichen Begrüßung des neuen Bayern-Stars Harry Kane macht, ist alles andere als das – vielmehr soll damit auf ein ernstes Problem hingewiesen werden.
FC Bayern: Plakat an der Säbener Straße begrüßt Harry Kane – und warnt vor Spielsucht
Denn weiter heißt es auf dem Plakat "Did you ever think about the fact that more and more football fans like me are paying a life-threating high price just for supporting football players like you?" (zu Deutsch: "Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass immer mehr Fußballfans wie ich einen lebensbedrohlich hohen Preis dafür zahlen, dass sie Fußballspieler wie Sie unterstützen?"). Unter dem Foto ist dann noch zu lesen "End all gambling ads in sports. Now" ("Stoppt die Werbung für Sportwettenanbieter. Jetzt").

Die Botschaft: "Shame.com", die ebenfalls auf dem Plakat zu lesen ist, bezieht sich auf die umstrittene Trikotwerbung des englischen Premier-League-Klubs Everton FC, der für den Glücksspielanbieter "Stake.com" wirbt. Denn Spielsucht durch Sportwetten ist in England ebenso wie in Deutschland ein enormes Problem und birgt große Gefahren.
Warnung vor Sportwetten: Außergewöhnliches Werbeplakat mit wichtiger Botschaft
Und genau darum geht es bei der außergewöhnlichen Werbeaktion, der Hinweis auf die Gefahren von Sportwetten. Und der langhaarige Mann, der als Knacki in Handschellen auf dem Plakat zu sehen ist, ist nicht etwa ein bezahltes Fotomodell, sondern Thomas Melchior (44), der Initiator dieser Aktion.
Und Melchior weiß, wovon er spricht. Das Motiv als Häftling ist nicht zufällig gewählt, denn der 44-Jährige saß wegen seiner Spielsucht im Gefängnis. Zu fünfeinhalb Jahren Haft wurde Melchior wegen Betrugs und Unterschlagung verurteilt, 40 Monate saß er davon ab. Seit dem 17. Mai 2022 ist er wieder auf freiem Fuß, mit dem Damoklesschwert einer zweijährigen Bewährung über dem Haupt schwebend.
Thomas Melchior rutscht in die Spielsucht: Begonnen hatte es mit einem Spiel des FC Bayern
Doch anstatt diese Tatsache verschämt zu verheimlichen, geht der 44-Jährige mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit, um diese vor den Gefahren von Sportwetten zu informieren, die ein Leben zerstören können. Begonnen hatte es für Thomas Melchior am 22. November 2005. Zusammen mit seinem Bruder sieht er sich im Fernsehen das Champions-League-Spiel Bayern München gegen Rapid Wien an.
In der Halbzeitpause läuft Werbung für einen bekannten Sportwettenanbieter und noch vor dem Wiederanpfiff hatte Melchior ein Wettkonto eröffnet und zehn Euro auf einen Bayern-Sieg mit mehr als zwei Toren Unterschied gesetzt, wie er im Nachtcafé-Podcast des SWR erzählte. Am Ende stehen ein 4:0 für die Bayern und ein Euro Gewinn für Melchior. Nicht viel Geld, doch für den gelernten Bankkaufmann war das ein Gewinn von zehn Prozent binnen 45 Minuten und in diesem Moment begann Melchior nachzudenken.
Spielsucht brachte ihn in den Knast: Initiator der Plakat-Aktion weiß, wovon er spricht
Was darauf folgen sollte, war eine Abwärtsspirale, die der heute 44-Jährige so nicht vorhersehen konnte. Schon wenige Tage nach seiner ersten Wette hatte er sein gesamtes Weihnachtsgeld seines Arbeitgebers in Höhe von 2.000 Euro verspielt.
Melchior zog vorerst seine Konsequenzen aus diesem Verlust und bis Januar 2006 schloss er keine weiteren Wetten mehr ab. Dann beschloss er, sich sein verlorenes Geld zurückzuholen, indem er sich mehr mit dem Thema Wetten beschäftigte und sich eine Excel-Liste anlegte, worauf er wie hoch wetten sollte. Zunächst erfolgreich, binnen drei Monaten gewann Melchior etwa 25.000 Euro, doch zu dieser Zeit war er bereits der Spielsucht verfallen. Er hat seine Arbeit, den Sport und seine Freundin vernachlässigt und alles dem Zocken untergeordnet – die Gewinne jedoch blieben aus.
Irgendwann wurden die Verluste immer größer. Als ihm seine Freunde kein Geld mehr leihen wollen, gerät Melchior auf die schiefe Bahn. Um weiter wetten zu können, fängt er an zu betrügen. Dreizehneinhalb Jahre nach seiner ersten Wette, im Juni 2019, klicken dann bei Thomas Melchior die Handschellen. Zu diesem Zeitpunkt hat der gelernte Bankkaufmann bereits 800.000 Euro mit Sportwetten verzockt, seinen Job verloren und ist in die soziale Isolation gerutscht.
Für Melchior war der Tag seiner Verhaftung der Wendepunkt. "An diesem Tag fühlte mich zum ersten Mal seit meiner ersten Wette wieder frei", gesteht er dem SWR. Seit seiner Freilassung im Mai 2022 arbeitet Melchior daran, anderen Menschen mit seiner persönlichen Geschichte zu zeigen, wie gefährlich scheinbar harmlose Sportwetten wirklich sind.
Plakat-Motive mit Harry Kane, Oliver Kahn und Lothar Matthäus sollen vor Gefahr von Sportwetten warnen
Hat er Angst, von seiner Vergangenheit wieder eingeholt und rückfällig zu werden? "Ich bin nicht so naiv zu sagen, dass mich so etwas nicht wieder einholen könnte, das muss man ganz realistisch so sehen. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass gerade diese Offenheit mir hilft, damit umzugehen und mich auch ein stückweit davor bewahrt, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen", so Melchior gegenüber dem SWR.
Bereits im Juli waren in der Säbener Straße Plakate von Melchior als Knacki zu sehen, damals war darauf zu lesen: "Du dachtest, deine Sportwette wäre legal und beim 'Titan' in sicheren Händen?". Damit spielte Melchior ganz deutlich auf Oliver Kahn an. Der Ex-Bayern-Boss warb acht Jahre lang mit dem Spruch "Deine Wette in sicheren Händen" als Testimonial für den Sportwettenanbieter "Tipico", welcher auch als Platinsponsor des FC Bayern fungiert.
"Oli Kahn hat seine Popularität dazu genutzt, um andere Menschen in die Abhängigkeit zu geleiten", sagt Melchior in einer Pressemitteilung. "Und das auch noch zu einer Zeit, als Online-Sportwetten in Deutschland noch nicht legal waren."
Tatsächlich waren hierzulande alle Sportwetten bis Oktober 2020 illegal, wodurch im Internet ein gigantischer Schwarzmarkt entstand. Und noch einer bekommt bei der Plakat-Aktion von Thomas Melchior sein Fett weg: Lothar Matthäus, der für den Wettanbieter "Interwetten" wirbt.
Plakat-Aktion läuft noch bis Ende August
"Ach Lothar, wärst Du mal Greenkeeper im neuen Stadion geworden, dann müsstest du heute nicht Werbung für Sportwetten machen", heißt es auf dem Plakat. Der Spruch bezieht sich auf die Aussage des damaligen Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß aus dem Jahr 2002, der lautete: "Solange ich und der Kalle Rummenigge etwas zu sagen haben, wird der nicht mal Greenkeeper im neuen Stadion!".

Vom 22. bis zum 31. August sind die drei Plakat-Motive an drei unterschiedlichen Standorten zu sehen: Motiv Harry Kane in der Säbener Straße 49, Motiv Oliver Kahn an der Litfaßsäule vor der Seybothstraße 12 und das Motiv Lothar Matthäus auf der Litfaßsäule in der Werner-Heisenberg-Allee/Hans-Jensen-Weg vor dem Parkhaus in Richtung Allianz Arena.
Um die Kosten für künftige Plakat-Aktionen zu finanzieren, hat Melchior auf dem Portal "gofundme" eine Spendenaktion ins Leben gerufen.