Kultreporter Karlheinz Kas vor seinem letzten Spiel: "Ich habe noch lange nicht fertig"

AZ-Interview mit Karlheinz Kas: Der 66-Jährige kommentiert nach über 500 Einsätzen bei Bundesliga-Spielen am Samstag letztmals bei "Heute im Stadion" des BR.
AZ: Herr Kas, nach über 40 Jahren und mehr als 500 Bundesliga-Spielen am Mikrofon des Bayerischen Rundfunks kommentieren Sie am Samstag mit dem Derby der Bayern gegen Augsburg bei "Heute im Stadion" Ihr letztes Spiel. Stimmt es eigentlich, dass Sie Ihre Radio-Karriere einer Flitzerin zu verdanken haben?
KARLHEINZ KAS: Das ist richtig. Es war 1980, ich war Sportredakteur beim Trostberger Tagblatt, aber nur schreiben, war mir zu langweilig. Ich wollte unbedingt auch reden. Also bewarb ich mich bei Fritz Hausmann, der Moderatorenlegende von "Heute im Stadion" für ein Probesprechen. Ich erinnere mich gut, Sechzig gegen Düsseldorf im Olympiastadion, mit mir 15, 16 andere Probereporter, jeder bekam im Spiel fünf Minuten Redezeit. Genau während meiner fünf Minuten läuft eine Nackerte aufs Spielfeld. Offensichtlich habe ich das am Mikro so anschaulich rübergebracht, dass einige Wochen später Hausmann anrief und mir bei einem Gespräch im BR eröffnete, dass ich als einziger der Kandidaten genommen sei. Dass ich noch zu hoch und zu euphorisch mit meiner Stimme sei, sagte er, aber dass ich ihn sonst etwas an Edi Finger erinnern würde.
Karlheinz Kas: Erste große Reportagen gab's beim Eishockey
I wer narrisch, gleich zu Beginn ein Vergleich mit der großen ORF-Ikone? Das kam ja einem Ritterschlag gleich.
Durchaus, ich dachte, jetzt hätte ich es geschafft, würde nur noch Bayern, Sechzig und den Club kommentieren. Von wegen! Zehn Jahre lang machte ich Beiträge über, ich hab's mal aufgeschrieben, 45 verschiedene Sportarten. Heißluftballonfahren, Schlittenhunderennen, Fingerhakeln. Oder Schach. Schach im Radio, stellen Sie sich das mal vor. Das kam immer in Sport Regional, 17.30 Uhr, Sonntag auf Bayern 2. Hat kein Mensch gehört. Erstmals richtig bei den großen Reportern reingeschnuppert hab ich beim Eishockey. Bei der großen Mannschaft des SB Rosenheim der Achtziger. Dreimal Meister, 82, 85, 89. Aber auch da hattest du vor dir Leute wie Günther Isenbügel oder Gerd Rubenbauer, an denen kamst du damals noch nicht vorbei.
Karlheinz Kas kickte an der Seite von Papa Schweinsteiger

Sie spielten in Rosenheim lange Fußball, mit der großen Karriere war es aber nichts.
Fußballprofi war immer mein Traum, Helmut Haller mein großes Idol. Ich war Stürmer bei 1860 Rosenheim, später beim Sportbund, war auch in der Landesliga-Meistermannschaft, die in die Bayernliga aufstieg. Für den Durchbruch hat's bei mir aber nicht gereicht. Bei beiden Vereinen spielte ich übrigens mit Vater Schweinsteiger, meinem Spezl, dem Fredl. Er war kein wirklich begnadet guter Fußballer, eher einer fürs Rustikale.
Karlheinz Kas: Abmahnung für ein blaues Stirnband
Mit Schweinsteiger mal bei 1860 gekickt zu haben, das können nicht viele behaupten.
Stimmt. Das hört sich gut an. Auch wenn's Sechzig Rosenheim war. Sechzig München hat mich natürlich sehr geprägt in der Karriere. Mit den Löwen hatte ich unvergessene Erlebnisse. Tampere 1997, Uefa-Pokal, 1. Runde, gegen Jazz Pori, das Siegtor von Abedi Pele in der 90. Minute, auf einem Platz, gegen den der Sportpark Unterhaching WM-tauglich wäre. Der Treffer wurde im BR-Hörfunk übrigens dann zum Tor des Jahres gewählt. Oder drei Jahre davor, Meppen 1994, das entscheidende Spiel um den Bundesliga-Aufstieg. Danach bekam ich Ärger, weniger weil die O-Töne nicht rechtzeitig ankamen, ich war eine Stunde mit den Spielern in der von den Fans belagerten Kabine eingesperrt, konnte nicht senden. Eine Abmahnung bekam ich, weil ich mit einem blauen Stirnband kommentierte und es davon dann ein Foto in der Zeitung gab. So dürfe man als Reporter im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht auftreten, hieß es.
So sehr Sie inzwischen auch dank Ihres oberbayerischen Idioms als Kult-Reporter gelten, gab es anfangs nicht auch Widerstände gegen Ihren Dialekt, gerade bei den anderen Sendeanstalten?
Und wie. Da hatte ich es ab meinem Einstieg bei "Heute im Stadion" 1995 richtig schwer. Montags standen immer zur Nachbesprechung interne Konferenzen der ARD-Funkhäuser an, und regelmäßig gab es Beschwerden über mich, von Radio Bremen, dem WDR, dem NDR, dass mein bayerischer Einschlag inakzeptabel sei. Glücklicherweise hatte ich mit Sportchef Franz Muxeneder einen großen Förderer und Fürsprecher, der mir immer den Rücken stärkte und den Kollegen aus dem Norden mit seinem eigenen urigen Dialekt gerne entgegnete: "Wos is? Habts eahm wieda ned vastandn?" Mit den Jahren wurde mein Ansehen besser, die frühere WDR-Sportchefin Sabine Töpperwien meinte mal, eine Schalte zum Kasi sei Pflicht in ihrer Samstags-Sendung, und fürs Pokalspiel der Bayern in Kiel im Januar wurde ich vom NDR als Reporter vor Ort angefordert. So ändern sich die Zeiten. Aber polarisiert habe ich immer. Für die einen war ich der Kasi-Kultreporter, während die anderen nur raunten: "Jetzt kommt der Verrückte wieder."
Karlheinz Kas über seine Derby-Erfahrungen
Welche Spiele empfanden Sie denn am anstrengendsten?
Grundsätzlich die bayerischen Derbys. Es allen recht zu machen und neutral und unparteiisch rüberzukommen, war immer eine große Kunst. Aber Kritik gab es trotzdem immer. Einmal, Nürnberg gegen Bayern, Trainer des Clubs Michael Wiesinger, schon lange ein guter Freund von mir. Sage ich also bei den ersten Einblendungen kurz nach Anpfiff: Oh, der Club ohne echten Stürmer, da hat der Wiesinger Beton angerührt. Schon kamen allein deswegen Beschwerdebriefe über den Kasi, die rote Sau aus München. Oder August 2007, 1. Runde DFB-Pokal, Burghausen gegen Bayern, das denkwürdige Elferschießen. Die Bayern am Rand der Blamage, die Sensation greifbar nah, Palionis müsste für Wacker treffen, der sechste Elfer, aber Palionis scheitert an Kahn, danach kommt Bayern weiter. Auch da war ich für viele Bayern-Fans zu emotional auf der Seite des Außenseiters, dass ich mich schämen soll, ob ich im Wacker-Trikot kommentiert hätte, schimpften sie.
Fast so schlimm wie ein blaues Stirnband. Champions League haben Sie ja auch kommentiert, welches Spiel blieb da in Erinnerung?
Moskau 1994. Als die Bayern einen Linienbus kaperten.
Der Tag, als der FC Bayern einen Linienbus kaperte
Wie bitte?
Spartak gegen Bayern, Babbel mit dem Ausgleich zum 1:1 in der Neunzigsten. Im Anschluss die Interviews, Kahn, Matthäus, Nerlinger, alles easy. Danach Abfahrt mit dem Bus zum Flughafen, die Journalisten flogen damals noch mit der Mannschaft. Wir also prima in der Zeit, steigen am Flughafen aus, der Bus fährt weiter, als wir merken: Hoppala, das ist ja der falsche Flughafen. Was tun. Plötzlich rennt Markus Hörwick los, der damalige Pressechef, läuft über eine Straße und stoppt an einer Haltestelle einen Linienbus. Innendrin so 20 Passagiere. Lange Gespräche zwischen Hörwick und dem Fahrer, dann zückt der Hörwick ein Kuvert, wo ich bis heute nicht weiß, ob Mark oder Rubel drin waren. Die Fahrgäste stiegen mit viel Geld in der Tasche beglückt aus dem Bus und der gut entlohnte Fahrer fuhr Team und Reporter zum richtigen Flughafen. Übrigens mitten aufs Flugfeld. Das war der Hörwick. Sowas vergisst dein Leben lang nicht.
Nicht gerne erinnern werden Sie sich an Garmisch 2009. Da durften Sie gar nicht kommentieren. Schuld war Ihr Sohn.
Tennis Davis Cup, Deutschland gegen Österreich, 1. Runde.Ich hatte acht Jahre den Grand-Slam-Cup aus der Olympiahalle kommentiert, 15 Jahre die BMW Open vom Aumeister, kannte mich im Tennis also aus. Aber: Teamchef Kühnen nominierte neben Schüttler, Kohlschreiber, Kiefer kurzfristig nach der Verletzung von Philipp Petzschner meinen Sohn Christopher nach. Das sorgte für Aufsehen in der ARD. Ich weiß noch, als mich Muxenender anrief: "Kaslinger", er sagte immer Kaslinger zu mir, "mir hamm Stress. Sie kenna Eahnan Buam ned kommentiern." Ich entgegnete: "Aber Muxi, schauns, des is doch wurscht." - "Naa, des is a Interessenskonflikt", meinte Muxenender darauf, "mia miassen Eahna obziagn." Deswegen kommentierte ich an dem Samstag Bayern gegen Hannover. Bei Pro Sieben ging das neulich übrigens problemlos, als Matthias Stach beim U21-Länderspiel gegen Holland das DFB-Debüt seines Sohnes Anton kommentierte.
Mit den schon berühmten Worten bei dessen Einwechslung: "Blamier mich nicht, Junge." Hat es Sie eigentlich nie zum Fernsehen gezogen?
Nein, ich bin ein Radiomann. Ich wollte schon immer Kopfkino erzeugen und nicht als Ergänzung zu Bildern plaudern, die eh jeder sieht.
Wie hat sich der Fußball verändert, ist das noch der Sport, für den Sie sich zu Beginn der Karriere begeisterten?
Nein, ist er nicht. Der Fußball ist gerade in den letzten Jahren langweiliger geworden, was vor allem am Videobeweis liegt. Ein riesiger Schwachsinn und gerade für Radioreporter fürchterlich. Du kannst nicht mehr sagen, ob Tor oder nicht, ob Elfer oder nicht, musst erst warten, bis der Mann in Köln die kalibrierte Linie gezogen hat oder der Schiri in der Review Area war. Bis dahin ist deine Sendezeit meist wieder abgelaufen. Zurück ins Studio. Aus diesem Grund bin ich ganz froh, dass meine Zeit am Mikro jetzt vorbei ist. Ich brauch das alles nicht mehr.
"Langweilig wird mir garantiert nicht. Ich habe noch lange nicht fertig"
Ihr letztes Spiel ist ein Derby, Bayern gegen Augsburg.
Ja, das hab ich mir zum Abschied noch aussuchen dürfen.
Gut, dass es um nichts mehr geht, sonst hätten Sie sich nur wieder den typischen Derby-Ärger eingehandelt.
Da bin ich sehr froh. Ein entspannter Ausklang für mich mit den Verabschiedungen von Alaba, Boateng, Martinez, Flick, Gerland. Im Fokus steht an dem Spieltag der Abstiegskampf. Ein absoluter Traum wäre zum Abschied ein letzter Zwischenruf in der 90. Minute der Schlusskonferenz, der lauten würde: "Tooooooorrrrrr! Lewandowski! Einundvierzig!" Diesen Schrei würden sie in ganz Deutschland hören. Das wäre ein würdiger Abschluss.
Und wie geht's weiter? Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, wusste schon Udo Jürgens.
Es gibt noch so viele Sachen, ich bin weiter Stadionsprecher beim Biathlon in Ruhpolding oder beim TC Großhesselohe, ich engagiere mich beim Golfclub Chieming und beim TC Waging, habe immer wieder Moderationen, dazu zwei sportbegeisterte Enkel, einen Stammtisch und eine Schafkopfrunde. Langweilig wird mir garantiert nicht. Ich habe noch lange nicht fertig.