Köln-Coach Baumgart: "Die Bayern haben schon wieder einen enormen Hunger"
AZ-Interview mit Steffen Baumgart: Der ehemalige Rostock- und Union-Profi (49) führte als Trainer den SC Paderborn bis in die Bundesliga und übernahm dann in diesem Sommer den 1. FC Köln.
AZ: Herr Baumgart, Sie haben sicher am vergangenen Dienstag den souveränen Sieg des FC Bayern gegen Borussia Dortmund im Supercup gesehen. Vor der Saison hatten Sie die Prognose abgegeben, das heuer der BVB die Titelserie der Münchner durchbrechen werde. Wollen Sie ihren Meistertipp nun nochmal revidieren?
STEFFEN BAUMGART: Nein, wieso denn? Natürlich ist die Qualität des FC Bayern ungebrochen. Aber wenn man die Gesamtsituation betrachtet, hatten sie zuletzt eine hohe Belastung und die Vorbereitung war jetzt auch nicht gerade einfach. Ich glaube immer noch, dass Dortmund Meister werden kann - auch wenn der FC Bayern zweifellos die beste Mannschaft ist, die wir in der Bundesliga haben. Aber wir können doch trotzdem auch mal auf andere Teams setzen. Mich macht gerade eher unruhig, dass ich der Einzige bin, der das tut. (lacht)
Köln-Coach Baumgart: "FC Bayern hat Qualität und Gier auf Erfolge"
Droht der Liga also doch wieder die große Langeweile?
Es ist nie langweilig, sich die Bayern anzuschauen. Sie haben diese unglaubliche Qualität und diese Gier auf Erfolge. Aber die Meisterfrage hängt ja auch ein bisschen an den Vereinen, die eigentlich die Möglichkeiten hätten mit den Bayern mitzuhalten. Ich finde nicht, dass Dortmund oder Leipzig unbedingt einen schlechteren Kader haben.
Ihr neuer Arbeitgeber, der FC Köln, zählte in den letzten Spielzeiten nicht unbedingt zur Riege der Bayern-Jäger. Dennoch haben Sie im Vorfeld der Partie am Sonntag angekündigt, aus München etwas mitnehmen zu wollen.
Das muss doch unser Ziel sein, wir fahren ja nicht nach München, um einen schönen Ausflug zu machen. Als Sportler wollen wir immer das Höchstmögliche, also einen Sieg, erreichen. Dass so etwas nur gelingen kann, wenn vieles in diesem Spiel für uns läuft, ist auch klar. Man hat ja gesehen, dass die Bayern schon wieder einen enormen Hunger haben. Aber wir wollen hier in Köln eine Mannschaft entwickeln und dazu gehört es nun mal - selbst in München, wo das brutal schwer ist -, das eigene Spiel durchzuziehen. Mentalität und Laufbereitschaft müssen stimmen - und dann hoffe ich auch auf ein gutes Ergebnis.
"Wir fahren wir mit Vorfreude nach München"
Haben Sie beim Gegner eine Schwachstelle ausgemacht, wo Sie ansetzen können?
Die Bayern haben eigentlich keine Schwachstelle. Uns ist bewusst, dass das die beste Mannschaft ist - nicht nur in Deutschland. Wenn Robert Lewandowski nicht verletzt gewesen wäre, bin ich mir sicher, dass die Bayern erneut die Champions League gewonnen hätten. Und trotzdem fahren wir mit Vorfreude nach München und versuchen, dort alles rauszuhauen.
Ähnlich wie Bayern-Trainer Julian Nagelsmann agieren Sie mit Blick auf Ihren Kader sehr pragmatisch, haben keine neuen Spieler gefordert. Gleichzeitig ist es Ihr Anspruch, mit den FC in Zukunft nicht immer nur gegen den Abstieg zu spielen. Wie passt das zusammen?
Indem ich ein guter Trainer bin und junge Spieler oder Spieler, die letztes Jahr vielleicht eine Formschwäche hatten, entwickle - genau das ist doch meine Aufgabe. Immer bessere Jungs dazuzuholen, um besseren Fußball spielen zu können, ist einfach.
Dieser Weg, verstärkt auf die eigene Jugend zu setzen, scheint angesichts der negativen finanziellen Folgen durch die Coronakrise für viele Vereine alternativlos.
Ich habe das auch zuvor beim SC Paderborn so gemacht, da hatten wir beileibe auch nicht die großen Namen und sind trotzdem in die Bundesliga aufgestiegen. Und so wollen wir es jetzt auch beim FC wieder machen: Junge Spieler wie einen Jan Thielmann oder Tim Lemperle nach oben ziehen und entwickeln - und wenn das gelingt, werden wir auch als Mannschaft den nächsten Schritt nach oben machen. Wir haben hier sehr viele spannende Spieler mit viel Potenzial, selbst ein Jonas Hector (FC-Kapitän, Anm. d. Red.) kann sich immer noch weiterentwickeln. Ich lese oft, was wir alles nicht können, was der Kader alles nicht hergibt. Aber ich arbeite ja jeden Tag mit den Jungs und da frage ich mich schon, woher diese Informationen kommen sollen. Mein Kader ist stark und da lasse ich mir von außen auch nichts anderes einreden.
Einstellung als Trainer: "Klarheit, Geradlinigkeit und Eigenständigkeit"
Sie gelten als Fan des mündigen Profis, würden Ihren Spielern sogar das Rauchen nicht verbieten. Ist so viel Vertrauen in die Eigenverantwortung nicht auch gefährlich?
Ich bin selbst Nichtraucher und würde es natürlich meinen Spieler auch nicht erlauben, in der Kabine zu qualmen. Ich bin aber nicht der Vater der Jungs, die sind alle erwachsen - das habe ich damit gemeint. Und zum Thema Eigenverantwortung: Mit welchen Jungs gewinne ich Spiele? Mit denen, die Entscheidungen treffen, die ihren Weg gehen. Das sehe ich zum Beispiel bei den Bayern, die sind komplett fixiert, da geht es klar in eine Richtung.
Muss man diese Einstellung als Trainer auch selbst vorleben, um glaubwürdig zu sein?
Das ist auf jeden Fall mein Weg, so war es mein ganzes Fußballerleben lang. Klarheit, Geradlinigkeit und Eigenständigkeit - ich habe mir von keinem Trainer vorschreiben lassen, ob ich ein Bier trinke oder nicht, ob ich Motorrad fahre oder nicht. Warum? Weil ich ein erwachsener Mensch bin. Natürlich gibt es Regeln, an die man sich halten muss. Aber grundsätzlich lasse ich mir nicht sagen, was ich zu tun und zu lassen habe - und deshalb mache ich das bei meinen Jungs auch nicht.
Dazu passt Ihr selbstbestimmter Abschied aus Paderborn. Nach vier Jahren beim SC haben Sie ihren Vertrag auslaufen lassen, weil Sie ein etwas Neues wagen wollten. Damit sind Sie doch ein ziemliches Risiko eingegangen, Sie konnten ja nicht wissen, dass Sie gleich einen neuen Verein finden würden?
Da wird mir ein bisschen zu viel hineininterpretiert. Ich war fest davon überzeugt, dass der ein oder andere Verein Interesse hat. Ich habe jetzt nicht in Angst gelebt, nichts zu finden, denn dafür fand ich meine Leistung über die letzten vier Jahre dann doch zu konstant.
Können Sie mit der Bezeichnung "Kult-Trainer" etwas anfangen?
Noch nicht. Vielleicht später einmal, wenn wirklich etwas erreicht wurde.