Knatsch-Gefahr in der Nationalelf?
MÜNCHEN Die Systemfrage, die taktische Anordnung auf dem Platz – das ist die eine Facette, die über Sieg und Niederlage entscheidet. Doch für Trainer ist eine andere Ordnung, eine interne Sache, ebenfalls von hoher Bedeutung: die Tischordnung.
Also: Wer sitzt an welchem Tisch beim Essen in den Hotels? Wer hockt mit wem zusammen? Bilden sich Allianzen, was förderlich wäre, oder Grüppchen, die zersetzend auf den Mannschaftsgeist wirken könnten?
Das Thema Blockbildung in Nationalteams – auf dem Platz gewünscht und im Erfolgsfall gefeiert, zu Tisch eher als Gefahr zu werten. Fünf Dortmunder (Hummels, Schmelzer, Gündogan, Reus, Bender) trafen nun beim Testländerspiel der Nationalelf auf vier Bayern mit Kapitän Lahm, Neuer, Boateng und Müller, deren Gruppe ansonsten größer ist (siehe Kästen unten). Nach dem Champions-League-Finale am 25. Mai in London waren sich Dortmunder und Bayern im Supercup-Duell (27. Juli) gegenüber gestanden, akute Revanche-Gelüste lagen in der Luft, totale Harmonie ist etwas anderes. Schließlich geht es um die Vorherrschaft im deutschen Fußball und um Vorteile im Kampf um die Stammplätze bei Jogi Löw. Stets gegeneinander (allein in 2013 schon vier Mal), nun plötzlich im DFB-Dress miteinander.
ZDF-Experte Oliver Kahn sieht es als Gefahr: „Es ist nicht ganz so einfach: Wenn du zur Nationalmannschaft kommst und siehst die Kollegen, die gerade den großen Champions-League-Titel gewonnen haben, die ihn dir ja weggenommen haben – das sind schon kleine psychologische Aspekte innerhalb einer Mannschaft, die man nicht unterschätzen darf.” Hemmt sich die Nationalelf durch innere Spannungen und Eifersüchteleien. Kahn sagte nach dem 3:3 im Test gegen Paraguay: „Ich halte das für einen nicht ganz ungefährlichen Aspekt. Ich habe das selbst 1996 erlebt, damals gab es auch zwei große Blöcke mit dem FC Bayern und Borussia Dortmund. Das ist nun mal so: Wenn große Konkurrenz herrscht, da knirscht es schon das ein- oder andere mal.”
Wie 2012 vor der EM. Damals brach Mats Hummels – eloquent, medienaffin, smart – als neuer Abwehrchef in die Bayern-Phalanx (Boateng, Badstuber, Lahm) ein. Schon beim Pokalfinale vor der EM hatte es zwischen Hummels und Schweinsteiger Zoff gegeben. Der BVB-Verteidiger war dann extra vor der Abreise nach Polen zum Friseur gegangen, um sich den Schönling-Vorwurf zu ersparen. Lebt der Konflikt der Blöcke nun wieder auf?
„Das war bei uns kein Thema”, wehrte Bundestrainer Joachim Löw die Diskussion ab, „es gibt einen Konkurrenzkampf, ganz klar. Aber innerhalb unserer Mannschaft habe ich das in diesem Maße nicht festgestellt, sie gehen respektvoll miteinander um und wollen gemeinsam den Erfolg. Das 3:3 ist nicht passiert, weil sich einige nicht verstehen.” Dennoch mahnte Kahn: „Es gilt, das Augenmerk darauf zu richten, dass alles immer positiv bleibt, dass die Spieler verstehen, wenn sie zur Nationalelf kommen, muss alles ausgeblendet werden. Das ist schon eine Aufgabe.” Für Löw, meinte er. Kahn führte das Beispiel des schwierigen Miteinanders von Real- und Barcelona-Spielern in der spanischen Nationalelf an, das Trainer Del Bosque lösen konnte. Gemeinsam wurde man Welt- und Europameister.
Und was lehrt die DFB-Geschichte? Krachte es, wie zwischen dem Bayern- und Kölner-Block 1982 und ’86, blieb man ohne Titel. Funktionierte es wie 1972 und ’74 mit Bayern und Gladbachern, gewann man Trophäen. Dank Blockbildung. Auf dem Rasen und am Tisch.