Knapp vorbei und wieder nix: Brachte Harry Kane ein persönliches Trauma mit zum FC Bayern?

München - Bayerns Mittelstürmer, der in dieser Saison 39 Pflichtspieltore in allen Wettbewerben erzielt hat – wohlgemerkt in exakt 39 Partien, wodurch der Schnitt leicht errechenbar ist – begann in der Jugend einst als defensiver Mittelfeldspieler. Als Sechser. Vielleicht war er sogar eine "holding six", die Bayern-Trainer Thomas Tuchel so schätzt, aber nicht bekommen hat während seiner Amtszeit in München. Aber das ist eine andere Geschichte.
Harry Kane hat er bekommen. Und der rückte im Laufe seiner fußballerischen Evolution immer weiter nach vorne auf dem Spielfeld. Aus dem Maschinenraum in die Kreativzentrale offensives Mittelfeld, schließlich dahin, wo es wehtut und man zugleich den größten Ruhm abschöpfen kann: in den Sturm. Um die 100 Millionen Euro Ablöse hat der FC Bayern im August 2023 an Tottenham Hotspur für Kane überwiesen.
Harry Kane ist beim FC Bayern längst Sympathieträger
Hat sich gelohnt. Neben der Tormaschine, die sich während einer Partie gerne ins Mittelfeld (ja bis in den Sechser-Raum!) zurückfallen lässt, haben sie an der Säbener Straße einen Weltmann, einen Sympathieträger und einen Teamplayer bekommen. Dazu einen, dessen Trikots mit der legendären Rückennummer "9" sich prächtigst verkaufen.
Aber hat sich der Wechsel auch für Kane gelohnt? Der Umzug der mittlerweile sechsköpfigen Familie (mit seiner Frau Katie hat er vier Kinder) aus dem vertrauten Umfeld in London nach München – in ein neues Land, eine neue Liga und einen neuen Verein – sollte neben den neuen Lebenserfahrungen vor allem eines bringen: Titel, Titel, Titel. Den DFL-Supercup im August, zu gewinnen in einer einzigen Partie, erlebte Kane wohl wie in einer Art Film, dessen Hauptdarsteller wider Willen er selbst war.
Die Meisterserie des FC Bayern reißt mit Harry Kane
Nach langem Gefeilsche am Freitagabend endlich eingeflogen, nach dem spätabendlichen Medizin-Check und einem ersten Kennenlernen von Mannschaft und Trainerstab noch völlig fremdelnd, wurde der 30-Jährige mit Messias-artigen Erwartungen eine knappe halbe Stunde vor Ende eingewechselt. Spielstand gegen RB Leipzig 0:2, Endstand 0:3. Das blamable Zweitrunden-Aus im DFB-Pokal bei Pokalschreck 1. FC Saarbrücken (1:2) erlebte er von der Bank aus. Tuchel hatte geglaubt, beim Drittligisten auf seinen Torgaranten verzichten zu können. Puff cake! Pustekuchen!
In der Bundesliga gelang es Bayer Leverkusen, die Münchner weit abzuhängen und vergangenen Sonntag bereits am 29. Spieltag – eigentlich Bayern-like – die Meisterschaft zu sichern. Und das ausgerechnet im zweiten Jahr nach der Mittelstürmer-Ära Robert Lewandowski. 2022/23 wurden die Bayern mit Eric Maxim Choupo-Moting (zehn Saisontore) als gute Verlegenheitslösung Doch-noch-Meister. Mit freundlicher Unterstützung von Borussia Dortmund.
Torjägerkanone als Trost für Harry Kane?
Um aus dem Fehler zu lernen, transferierte man daraufhin eben jenen Kane, den Kapitän der englischen Nationalelf, pulverisierte sämtliche Vereins- und Liga-Ablöserekorde, kassierte dafür Lob im In- und Ausland, und nun steht der Gute ohne Meisterschaft da. Wie der gesamte Verein. Erstmals seit 2012. Geht sein Titel-Fluch weiter? Kane wartet auf seine erste Team-Trophäe nach dem Gewinn eines internationalen U17-Turniers mit England 2010 an der Algarve.

Geht es auch am Mittwochabend in der Königsklasse gegen Arsenal London (21 Uhr, DAZN und im AZ-Liveticker) schief, bliebe ihm wohl nur die Torjägerkanone der Bundesliga als persönlicher Trost – außer Stuttgarts Serhou Guirassy holt die sieben Treffer Rückstand (32:25 Tore) noch auf. "Ich bin hier, um mit Bayern die Champions League zu gewinnen", hatte Kane angekündigt. Er, der Rekordtorschütze von Tottenham und seiner Landesauswahl, war schon mal ganz nah dran. 2019 unterlagen die Spurs im rein britischen Finale von Madrid dem FC Liverpool mit 0:2. Traurig stapfte Kane bei der Siegerehrung am Henkelpott vorbei.

Doch noch ist nicht aller Tage Abend für den WM-Vierten von 2018 und den Vize-Europameister von 2021. Im Sommer steigt in Deutschland die nächste EM. Und kommende Saison, das hat Tradition, werden die Bayern wütender denn je auf Titeljagd gehen.