Klinsmanns Triumph – mit der Taktik aus der Mottenkiste
Beckenbauer erinnert den Bayern-Coach vor dem 5:0 ans kleine Fußball-Einmaleins von Sepp Herberger und Branko Zebec - und der Trainer setzt tatsächlich auf kontrollierte Offensive.
LISSABON Er wirkte regelrecht erlöst. Die Spannung fiel von ihm ab. „Nach dem 2:0 hat es richtig Spaß gemacht“, gab Jürgen Klinsmann zu. Dass er gestern mit dem FC Bayern bei Sporting Lissabon 5:0 gewonnen hat, war für ihn ein erster, wichtiger Befreiungsschlag – in der Champions League. Klinsmann hat gezeigt, dass sein Mannschaft taktische Vorgaben einhalten kann, dass sie auch mal zu Null spielen kann. „Wir wissen, dass wir nach vorne gut sind“, erklärte er, „aber in der Defensive da gab es immer wieder Fehler. Das haben wir heute korrigiert.“ Korrigiert hat der Offensiv-Verfechter Klinsmann ganz offensichtlich seine taktische Ausrichtung: Hurrafußball war gestern!
Tatsächlich hatte es vor dem Anpfiff die bis dato härteste Kritik am Klinsmannschen Spielsystem gegeben – von Franz Beckenbauer. Bislang war dezente Kritik von Philipp Lahm („Spiele gewinnt man in der Defensive“) laut geworden und etwas Druck von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge („Was zählt ist das Sommerzeugnis“) erzeugt worden. Doch es war wieder einmal der grantelnde Kaiser, der in der Debatte um Klinsmanns taktische Schwächen Gas gab. Und, kaum zu glauben, Becknebauer hatte zwei Vorbilder von anno dazumal für den aktuellen Bayern-Trainer parat: Ex-Bundestrainer Sepp Herberger (†1977) und den Ex-Bayern-Coach Branko Zebec († 1988).
„Wenn du von vier Spielen drei verlierst, muss man sich mit den Personalien beschäftigen, auch mit dem Trainer“, sagte der 63-jährige Beckenbauer vor dem Anpfiff bei „Premiere“: „Da fragt man sich: Macht er alles richtig?“
Das tut offenbar auch Manager Uli Hoeneß. Er hatte – Champions-League-Party hin oder her – noch immer die peinliche 1:2-Heimpleite in der Liga gegen den 1. FC Köln vor Augen und sagte: „Man muss die Mannschaft kritisch begleiten. Jürgen nimmt Kritik zur Kenntnis und versucht, sich mit den Spielern sachlich zu unterhalten.“ Versucht? Der Manager fürchtet weiter um die Titelverteidigung: „Wenn man vier Punkte hinter Hamburg ist und so spielt wie gegen Köln, ist man kein Favorit sondern nur noch Aspirant. Wir müssen handeln in der Bundesliga! Es ist fünf vor Zwölf!“
Und nach Beckenbauer war es vor dem Sporting-Spiel an der Zeit, dem Reformer Klinsmann das kleine Fußball-Einmaleins aus der Mottenkiste vorzubeten. Wieso sonst sollte er dem Schwaben uralte Herberger-Sprüche mit auf den Weg geben? „Da stimmt doch etwas nicht, wenn man 30 Gegentore in 21 Spielen bekommt. 21 Tore waren’s in der gesamten letzten Saison! Und es sind die gleichen Spieler! Sie können’s ja nicht verlernt haben!“ Es sei Klinsmanns „Job, das abzustellen, Fehler zu minimieren, das Zweikampfverhalten zu verbessern“. Beckenbauer: „Wenn man die Zweikämpfe nicht gewinnt, gewinnt man die Spiele nicht. Das hat Herberger schon vor 70 Jahren gesagt.“
Dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauert, diese Weisheiten ersparte Beckenbauer dem aktuellen Bayern-Trainer, doch er hatte noch einen Leitsatz des legendären Trainer-Kauzes Branko Zebec parat. Nicht die offensive Ausrichtung hielt der Weltmeister von 1974 Klinsmann vor, sondern einen Mangel an Cleverness. „Es ist eine Frage des Rhythmus. Die Mannschaft spielt zu sehr Powerplay, zu ungestüm. Sie wollen das Spiel immer in der ersten Minute entscheiden. Aber warum? Ich denke da ein meinen alten Lehrmeister Branko Zebec. Der hat zu mir gesagt: Junge, warum bist du unruhig? Wir haben 90 Minuten, um ein Tor zu erzielen.“ Beckenbauers Tipps vor Lissabon: „Das Team muss mal das Tempo rausnehmen, mal auf den Ball treten. Sie muss ein bisschen mit Hirn spielen.“
Tatsächlich hatte Vordenker Klinsmann („Fußball ist Kopfsache“) dies den Stars gestern mit auf den Weg gegeben. Und es klappte: Sporting rannte an, Bayern nahm die Zweikämpfe an und lauerte auf Konter. Einen davon schloss Ribéry mit dem 1:0 (42.) ab, nach dem Wechsel trafen Klose (57.), erneut Ribéry (63.) und Luca Toni doppelt (84./90.). Da war sogar Taktik-Kritiker Lahm glücklich: „Wir haben sehr wenige Torchancen zugelassen. Jeder hat seine Aufgaben gekannt. So muss Fußball aussehen.“ Und sogar Beckenbauer lobte Klinsmann: „Wenn man 5:0 gewinnt, hat man überhaupt nichts falsch gemacht. Da bleibt nur eine Eins!“
Ist aber nur eine Zwischennote. Denn wie sagte schon Herberger? „Der nächste Gegner ist immer der schwerste.“ Und der heißt am Sonntag Werder Bremen. jos/ill