Klinsmann und die Bosse: Die Zerreißprobezeit

Für Jürgen Klinsmann beginnen mit der Champions-League-Partie am Mittwoch in Lissabon die wohl entscheidenden 14 Tage als Bayern-Trainer. Bosse und Mannschaft halten seltsame Distanz
MÜNCHEN Jürgen Klinsmann hatte doch ein Zwischenzeugnis bekommen – nach dem Ende der Vorrunde. Eines, das beim nochmaligen Lesen auf die Note 2, wohl sogar eine 2+, schließen lässt. Karl-Heinz Rummenigge stellte es aus, der Vorstandsboss, der Direktor des Vereins. Jener, der kürzlich auf das Saisonende verwies („Entscheidend ist das Sommerzeugnis“), hatte vor nicht einmal zwei Monaten gesagt: „Für den deutschen Fußball waren das Neuerungen, aber diese Neuerungen haben dem FC Bayern gut getan.“ Klingt nach Zufriedenheit.
Eher über sich selbst, den gesamten Vorstand. Jürgen Klinsmann hatte eine Idee vom modernen Fußball – doch im Selbstverständnis der Bosse war die Idee, den ehemaligen Bundestrainer, den einst im Unfrieden von der Säbener Straße verabschiedeten Stürmer und Dränger, zurückzuholen, noch radikaler. „Wir wollten eine neue Zeitrechnung einläuten mit Klinsmann – und das ist uns gelungen“, feierte Rummenigge sich selbst.
Das war gestern, damals. Heute sieht’s anders aus – gerade vor den Achtelfinalspielen in der Champions League gegen Sporting Lissabon. 14 Tage bis zum Rückspiel (10.3.), dazwischen das Liga-Duell der Enttäuschten in Bremen am Sonntag und das DFB-Pokal-Viertelfinale bei Bayer Leverkusen (4.3.). „Entscheidende Wochen“, sagte Philipp Lahm, „jetzt geht’s in die heiße Phase.“ In der eine merkwürdige Mischung aus aggressiver Einmischung (siehe die vorzeitige Verabschiedung von Klinsmanns Wunschleihspieler Landon Donovan) und defensivster Zurückhaltung vorherrscht. Ratlosigkeit führt zur Selbstreflexion: Alles richtig gemacht mit der Roulettekugel JK? War das größte aller Experimente, Klinsmann als Bayern-Trainer, nicht doch von vornherein zum Scheitern verurteilt?
War es nicht.
Klinsmann hat Ideen. Hat Strukturen geschaffen. Ist offen, wissbegierig. Ein Workaholic. „Manchmal muss erst ein Mann wie Klinsmann kommen und den neuen Weg, die Umstrukturierungen, auf die wir ohne ihn nie gekommen wären, zeigen.“ schwelgte Präsident Franz Beckenbauer im September, Später klang Lob so: „Klinsmann ist auf einem guten Weg, aber er braucht auch gute Ergebnisse.“
Die sind nun wie schon im Herbst ausgeblieben. Und, schlimmer noch, nach fast acht Monaten Arbeit mit der Mannschaft: Keiner der Spieler ist wirklich besser geworden, nur fitter sind sie. Und die Klinsmann’sche Spielidee, das High-Risk-Spiel verstört die Bosse und die Mannschaft. Nach Lahm letzter Woche ist es mit Miroslav Klose ein weiterer verdienter Nationalspieler, der die teils aktionistische Offensivorientierung kritisiert. „Die Spiele werden hinten gewonnen. Wir waren am stärksten, wenn wir kompakt standen“, sagte Klose dem „kicker“. Sehnt sich da einer nach Ottmar-Hitzfeld-Fußball? Klose verrät viel, was wohl vor Spielen als Vorgabe in der Kabine erzählt wird, wenn er sagt: „Es muss nicht nach 20 Minuten schon 2:0 stehen.“
Klinsmann sagt, er wisse, dass er an Ergebnissen gemessen wird. Und die Bosse am Ergebnis der Ära Klinsmann, dem größten Reformversuch der Ära Rummenigge/Hoeneß. Stellen sie nun Klinsmann in Frage, müssten sie sich hinterfragen. Den Ergebnisdruck beschreibt der Coach als „eine Kultur des FC Bayern“. Doch wie lange will sich Klinsmann dem aussetzen?
Langfristig arbeiten, kurzfristig Erfolge feiern. Der wohl größte Widerspruch des Klinsmann-Engagements. Schon das erste Jahr Klinsmann ist zur Zerreißprobezeit geworden.
Patrick Strasser