Klinsmann: So sieht er den FC Bayern heute
Frankfurt - Jürgen Klinsmann (47) trainiert seit Juli diesen Jahres die US-Nationalmannschaft. Das Trainingszentrum des Verbandes ist nur eine halbe Autostunde von seinem kalifornischen Wohnort in Huntington Beach entfernt. Insgesamt anderthalb Wochen war Klinsmann nun in Deutschland, er traf sich mit Fabian Johnson und Daniel Willams von der TSG Hoffenheim, verband einen Familienbesuch im Schwabenland mit Stippvisiten bei seinen Heimatvereinen VfB Stuttgart und Stuttgarter Kickers und sprach bei "Jauch" über den 11. September.
Der Hyundai-Markenbotschafter flog nach seinem Besuch auf der IAA in Frankfurt direkt zurück - am 13. September hatte seine Tochter Laila Geburtstag.
AZ: Herr Klinsmann, wieso ist der Job des US-Nationaltrainers eine besondere Herausforderung für Sie?
JÜRGEN KLINSMANN: Es war ja ein Wunsch, der vor fünf Jahren bereits bestand, als ich nach der WM 2006 mit dem US-Verband verhandelt habe – damals kamen wir, genau wie nach der WM in Südafrika, nicht auf einen Nenner. Jetzt war die Zeit reif. Der US-Verband hat erkannt, dass er in die Vollen gehen muss. Für mich ist das eine faszinierende Aufgabe, zumal ich die Familie weiter zu Hause habe. Das Trainingszentrum ist 30 Autominuten von meinem Wohnort entfernt.
Es ist eine Aufgabe mit besonderen Emotionen für Sie.
Meine Frau ist Amerikanerin, meine Kinder sind eher amerikanisch als deutsch, auch wenn sie eine deutsche Neugier in sich haben, ist USA ihre Heimat. Ein Teil von mir ist sehr amerikanisch. Ich lebe seit 13 Jahren dort, aber trotzdem habe ich viele deutsche Erfahrungswerte, dazu kommt mein Verständnis für die Franzosen oder den englischen Humor und die italienische Lebensweise.
Sie haben ja auch viele Erfahrungen gemacht, positive wie negative, als Sie die deutsche Nationalmannschaft und den FC Bayern trainiert haben.
Dafür bin ich unheimlich dankbar. Wenn damals nicht Berti Vogts bei mir zufällig im Urlaub vorbeigekommen und die Geschichte angestoßen hätte, wäre ich nie 2004 Bundestrainer geworden. Aber ich glaube auch, dass ich dem deutschen Fußball viel gegeben habe; ich habe viel Kraft und viel Wissen investiert. Und nicht nur Lob bekommen.
Bayern- und DFB-Kapitän Philipp Lahm schreibt in seinem Buch, er habe nach wenigen Wochen gewusst, dass sie beim FC Bayern als Cheftrainer scheitern werden.
Das ist eine Denkweise von einem Spieler, der gar kein Gesamtbild erkennen kann. Ein Spieler denkt jeden Tag nur darüber nach, was ihm nicht passt und was er gerne anders hätte. Ich war Stürmer und hätte am liebsten jeden Tag Torschusstraining gemacht. Die Sichtweise eines Trainers kann man erst haben, wenn man selbst verantwortlich für das ganze Gebilde eines Klubs ist. Und dann hat man andere Themen auf dem Tisch als jene, von denen Philipp Lahm gesprochen hat. Wenn er meint, er muss das der Öffentlichkeit zutragen, dann ist das halt sein Charakter. Dafür hat er ja genügend Kommentare bekommen. Ich lasse mich nur nicht darauf ein, eine Fortsetzungsgeschichte davon zu machen. Das langweilt mich.
Hat Lahm Ihre Nummer und sich bei Ihnen gemeldet?
Nein.
Melden Sie sich bei ihm?
Nein, ich habe ja nichts über ihn gesagt.
Uli Hoeneß hat kürzlich noch einmal verraten, dass es ein Fehler war, nicht Jürgen Klopp statt Sie geholt zu haben. Das muss Ihnen doch befremdlich vorkommen.
Letztendlich sind da verschiedene Welten aufeinandergetroffen, und deshalb war es auch richtig, sich dann zu trennen. Es war die meiste Zeit absolut nicht konform und auf einer Wellenlänge. Das war eine Lebenserfahrung. Dass es nicht funktioniert, weiß man immer erst hinterher. Die Führung wusste, dass mit mir eine Richtung eingeschlagen wird, die komplett anders ist als die, die Bayern 30 Jahre lang beschritten hat. Sie wollten diesen neuen Weg nicht weitergehen, sondern wieder den alten Weg beschreiten. Diese zwei Welten waren nicht kompatibel. Natürlich hätte ich im Nachhinein einiges anders angepackt, aber es hätte keine Rolle gespielt, die Sache wäre trotzdem auseinandergelaufen, weil die kulturellen Gegensätze zwischen uns viel, viel zu groß waren.
Gibt es noch Kontakt zu Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge?
Nein.
Aber Ihre Familie hat sich doch in München wohlgefühlt, oder?
Zu der Stadt oder zu Freunden gibt es noch eine gute Verbindung. Auf privater Ebene hatte ich in dieser phänomenalen Stadt eine tolle Zeit. Die Familie will im Urlaub nach München, sie sind mit Freunden ständig am Skypen. Aber auf beruflicher Ebene war eben keine Basis mehr da.
Würden Sie nochmal als Vereinstrainer arbeiten wollen?
Absolut, das ist auch eine faszinierende Rolle. Es wird ja so dargestellt, als hätte ich keinen Spaß beim FC Bayern gehabt. Das stimmt nicht. Aber es ist auch toll, eine Nation wie die USA zu führen.
Sie sehen sich verstärkt nach Spielern in Europa um, die einen amerikanischen Pass besitzen. Jermaine Jones, neuerdings Timothy Chandler vom 1. FC Nürnberg, Ex-Löwe Fabian Johnson oder Daniel Williams von der TSG Hoffenheim sind solche Beispiele. Werden Sie nach Vorbild der Türkei auch ein Europa-Büro errichten?
Ich habe ein Netzwerk an Leuten, die die europäischen Ligen danach beobachten, ob es solche Spieler gibt. Uns schwebt eine europäische Präsenz vor; ich kann mir auch vorstellen, dass wir mal ein Trainingslager in Deutschland abhalten. Auch ein Freundschaftsspiel gegen Deutschland nach der EM 2012, vielleicht 2013, würde ich mir wünschen. Zu Joachim Löw stehe ich noch in ständigem Kontakt, wir schreiben uns regelmäßig SMS.
Sie haben am Wochenende nicht nur Ihre Mutter besucht, sondern auch bei Ihren Heimatvereinen VfB Stuttgart und Stuttgarter Kickers vorbeigeschaut. Sie sind dann auch bei Günther Jauch aufgetreten, und haben sich zum 11. September und den Terroranschlägen von 2001 geäußert. Wie kam es zu dieser Einladung?
Er wusste, dass ich hier in Deutschland bin. Er hat mich dann gebeten, zu seiner ersten Sendung zu kommen, weil er nicht wollte, dass es ein reiner Polittalk wird. Ich habe ihm vorher gesagt, dass er mich nicht zum Irak oder Afghanistan befragen möge, weil mir dazu das Wissen fehlt. Aber ich kann die Verbindung zur amerikanischen Gesellschaft aufzeigen, als einer, der den 11. September dort erlebt hat. Ich hätte mir nur gewünscht, dass der Blick mehr nach vorne gerichtet wird, was in näherer Zukunft abläuft.
Was denn?
Es kommt eine Lawine auf Amerika zu. Es ist ein Land der Extreme, positiv wie negativ. Die Immobilienbranche ist zusammengesackt, das öffentliche Schulwesen ist in großer Gefahr und das Gesundheitswesen wird wegen der katastrophalen Ernährung zusammenbrechen, weil die Kinder krank werden. Sie sind vollgepumpt mit Zucker und Fastfood. Die Amerikaner laufen da nicht nur in ein Fiasko rein.
Das klingt ja nach düsteren Aussichten für Ihre Wahlheimat.
Aber der Amerikaner ist ein Typ, der nicht aufgibt. Er liegt und steht wieder auf. Wie bei einem Hurrikan. Es wird alles zerstört und dann wieder aufgebaut. Und da können wir gerne die Verbindung zum Fußball wieder ziehen. In Deutschland heißt es, der hat es beim FC Bayern nicht geschafft, der ist gescheitert. In Amerika würde man so etwas nie sagen, da gibt es das nicht. Da heißt es nur, es ist nicht gut gegangen, aber er hat eine wichtige Erfahrungsspanne durchgemacht.
Und was kommt nun?
Weiter geht's!