Klinsmann: "Meisterschaft ist ein Muss“

Der Bayern-Trainer über den verpatzten Rückrundenstart, Saison-Ziele und Personalien.
von  Abendzeitung
Emotionsbolzen an der Seitenlinie: Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann.
Emotionsbolzen an der Seitenlinie: Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann. © dpa

Der Bayern-Trainer über den verpatzten Rückrundenstart, Saison-Ziele und Personalien.

Herr Klinsmann, bereitet Ihnen der erneut durchwachsene Start Sorgen?

JÜRGEN KLINSMANN: Dieser Start ist ärgerlich und war unnötig. Aber das ist eine ganz andere Situation diesmal. Wir haben zweimal das Spiel kontrolliert und Torchancen herausgearbeitet. Das gibt eine andere Zuversicht als zu Beginn der Saison, als sich vieles erst noch finden musste. Von daher beunruhigt uns das nicht. Wenn wir entschlossener und konzentrierter zu Werke gehen, werden wir uns die nötigen Punkte holen.

Haben Sie eine Erklärung für diese Nachlässigkeiten?

Das ist reine Kopfsache. Da haben einige nach dem 5:1-Sieg im DFB-Pokal in Stuttgart einen Moment gedacht, es läuft schon alles. Aber man muss von der ersten Sekunde an voll konzentriert sein. Wir müssen diese Nachlässigkeiten auf jeden Fall abstellen.

Wie soll das gelingen?

Wir halten die Trainingsintensität hoch und machen den Spielern immer wieder klar, dass wir uns als FC Bayern so etwas nicht leisten können.

Sie haben gesagt, dass Sie Ihre Arbeitsweise nach den Misserfolgen in der Vorrunde verändert haben. Ist das jetzt auch nötig?

Nein, denn ich spüre, dass die Mannschaft sehr selbstkritisch ist und weiß, was sie sich da eingebrockt hat. Man bekommt ein Gespür, wie man reagieren muss. Man lernt, sich auf das Umfeld, aber auch auf die Mannschaft einzustellen. Man muss ständig flexibel sein, damit die Spieler weiterkommen. Das ist ein ewiger Prozess.

Immer wieder wird die Abhängigkeit der Bayern von Franck Ribery deutlich. Wie sehen Sie dieses Problem?

Das Wort Abhängigkeit wird der Mannschaft nicht gerecht. Wir haben eine große Wertschätzung für Franck, er ist ein Weltklassespieler, der unserem Spiel viele Überraschungsmomente gibt. Aber wir haben auch viele Chancen über andere Spieler herausgespielt. Die Mannschaft hat auch so sehr großes Potenzial.

Im Fall Lukas Podolski hat die Vereinsführung geäußert, dass sie sich eine Rückkehr des Stürmers wünschen würde. Empfinden Sie dies als Einmischung in Ihren Bereich?

Wenn die Chefs das eine oder andere öffentlich äußern, ist das überhaupt kein Problem: Weil wir darüber vorher schon diskutiert haben.

Es geht jetzt mit den englischen Wochen los. Werden Sie von Ihrer Linie abweichen und rotieren lassen?

Ich denke, dass sich die Mannschaft gefunden hat. Wir haben einen Stamm. Aber es ist wichtig, dass wir auch das eine oder andere Mal rotieren, damit die Mannschaft die Belastung in den nächsten drei Monaten wegstecken kann.

In der kommenden Woche steht das Achtelfinale der Champions League bei Sporting Lissabon an. Wie groß ist die Vorfreude?

Sehr groß. Jetzt können wir uns mit den besten Mannschaften Europas messen.

Sporting wird gemeinhin nicht dazu gezählt...“

Das sagen diejenigen, die Lissabon nicht kennen. Die haben keinen großen Namen. Aber das ist eine richtig gute Truppe. Wir müssen an die Grenzen gehen, um die auszuschalten. Aber wenn man bei der Creme dabei sein will, dann muss man weiterkommen.

Sie sollen die Mannschaft in Europa an die Spitze führen. Wie weit ist der FC Bayern auf diesem Weg?

Wenn man sieht, was die Mannschaft in der Gruppenphase geleistet hat, sind wir auf einem guten Weg. Die Mannschaft spürt, dass sie mitspielen und sogar noch einen Gang hochschalten kann. Das wollen wir in der K.o.-Phase noch mehr unterstreichen.

Ist der FC Bayern schon reif für den Titel in der Königsklasse?

In diesen 50:50-Spielen entscheiden Kleinigkeiten. Da muss man den nötigen Biss und die nötige Besessenheit haben, um da auch weiterzukommen.

Welchen Stellenwert hat der FC Bayern im Moment in Europa?

Ich denke, dass wir uns eindrucksvoll in der Königsklasse zurückgemeldet haben. Wir haben eine Mannschaft mit viel Erfahrung, mit guten Einzelspielern, aber auch mit einer guten Organisation. Das wurde in Europa registriert. Wie weit wir kommen, liegt alleine an uns.

Was muss passieren, um sich dauerhaft neben Teams wie dem FC Barcelona oder Manchester United zu etablieren?

Wir müssen über einen längeren Zeitraum konstant und fokussiert unseren Job machen. Wir müssen in jedem einzelnen Bereich immer wieder nachhaken. Wir sind für die nächsten Monate gut gewappnet. Aber ob man über Jahre bei der Creme de la Creme dabei ist, wird sich noch zeigen. Das ist ein Prozess, für den man auch die Ergebnisse braucht, um die innere Ruhe und Überzeugung zu bekommen.

Gerade bei Bayern München ist viel von Ergebnissen abhängig. Empfinden Sie dies als Belastung?

Im Gegenteil. Das ist positiv. Dieser Ergebnisdruck hält das ganze Umfeld immer auf Trab und auf Hochspannung. Die Spieler müssen lernen, damit zu leben. Keiner kann sich zurücklehnen. Wenn ich 5:1 in Stuttgart gewinne und dann in Hamburg verliere, herrscht schon Unruhe. Das ist eine Kultur, die der FC Bayern entwickelt hat, immer das Maximum herauszuholen.

Haben Sie kein Problem, wenn ein Franz Beckenbauer plötzlich erklärt, der FC Bayern ist nicht mehr Titelfavorit?

Überhaupt nicht. Das ist eine Botschaft an uns: Mit so einer Situation können wir uns nicht zufrieden geben. Also ist die Konsequenz, dass aus dieser Verärgerung heraus noch mehr Energie entwickelt wird, wieder Erster zu werden. Das ist ein stetiger Ansporn. Deswegen steht der FC Bayern auch da, wo er seit Jahrzehnten steht.

Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

Wir wollen alles optimieren. Wir wollen sehen, wo wir Nachholbedarf haben. Wir können uns im taktischen Bereich verbessern, auch spielerisch. In Teilbereichen müssen wir auch mental stärker werden.

Wie sieht es personell aus?

Im Großen und Ganzen haben wir für die nächste Saison schon eine sehr gute Mannschaft zusammen. Aber wir werden uns nach der Saison zusammensetzen und eine Bestandsaufnahme machen. Wo stehen wir im Vergleich zu Barcelona, Manchester United oder Inter Mailand? Da wird es einige Diskussionen geben. Die Position des rechten Verteidigers wird zum Beispiel ein Thema sein, auch ein Back-up für Philipp Lahm.

Wollen Sie den von Mailand ausgeliehenen Massimo Oddo halten?

Da gibt es noch keine Gespräche mit dem AC Mailand. Da warten wir noch die Rückrunde ab.

Wie sieht die Situation bei Ze Roberto und Mark van Bommel aus?

Wir gehen davon aus, dass beide noch ein Jahr bleiben.

Auch van Bommel trotz der Verpflichtung von Anatolij Timoschtschuk?

Ja, trotzdem. Ich habe mit Mark darüber gesprochen.

Bei Landon Donovan ist der Verein laut Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge offenbar nicht bereit, eine hohe Ablöse zu bezahlen. Tragen Sie dies mit?

Der Klub müsste für Landon viel Geld ausgeben. Da Ivica Olic schon unterschrieben hat und angesichts der Finanzkrise, ist es legitim, dass der Klub überlegt, wie viel Geld er für einen weiteren Stürmer ausgibt.

Haben Sie Ihren Einstieg als Vereinstrainer beim FC Bayern schon bereut?

Der Job macht mir unheimlich viel Freude, die Form der Arbeit, auch die Kommunikation mit den Chefs.

Was unterscheidet die Arbeit von der des Bundestrainers?

Der Job ist viel intensiver und auch spannender. Man hat auf die Entwicklung viel mehr Einfluss. Außerdem ist es im Vereinsfußball faszinierend, dass du mit vielen verschiedenen Kulturen zusammenarbeitest.

Sehen Sie sich deshalb auf Dauer als Vereinstrainer?

Darüber mache ich mir im Moment keinen Kopf. Ich will etwas reißen, will eine erfolgreiche Saison spielen. Das will ich ausreizen. Dann hoffe ich, dass unter dem Strich der ein oder andere Titel rausspringt. Das ist mein Anspruch. Deswegen passen der FC Bayern und ich auch so gut zusammen. Der Verein will auch am Saisonende am Marienplatz stehen.

Das heißt, dass Sie sich eine längere Zusammenarbeit vorstellen können?

Das wird sich entwickeln. Ich hoffe, dass Verein und Fans zufrieden sind. Stand heute fühle ich mich sehr, sehr wohl. Ich habe mich mit meiner Familie sehr gut eingelebt. Trotz der anfänglichen sportlichen Unebenheiten läuft es sehr positiv. Aber meine Arbeit definiert sich letztendlich über den Erfolg.

Wie groß wird der Erfolg am Ende Ihrer ersten Saison in München sein?

Bei K.o.-Wettbewerben kann man schwer Vorhersagen treffen, da entscheiden Kleinigkeiten. Da wollen wir eine Hürde nach der anderen nehmen, haben aber große Hoffnungen. Die Bundesliga ist ein Muss für uns. Wir machen den Spielern Woche für Woche klar, dass es sehr, sehr wichtig ist, Meister zu werden, um in Deutschland die Nummer eins zu bleiben und um sich für die nächste Saison die Champions League zu sichern.

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