Klinsmann gibt sich als Kämpfer - Vielleicht nur noch für ein Spiel
BARCELONA, MÜNCHEN - Die Abreise aus Barcelona, sie war wie eine Flucht, davongejagt von der eigenen Schande. Vor dem Abheben gab Jürgen Klinsmann Einblicke in seine Gefühlswelt. Drei Krisen hat er überstanden, seit er den Trainerjob bei den Bayern übernommen hat. Die vierte entscheidet sich wohl am Samstag.
Die Airport-Angestellten blickten leicht irritiert drein, so ganz wussten sie nicht, was sie da erwartete. Der FC Bayern hatte am Donnerstagmittag auf dem Flughafen von Barcelona kurzerhand eine Lounge von Lufthansa-Partner „Spanair“ gemietet, um eine improvisierte Pressekonferenz abzuhalten. Eine halbe Stunde vor dem geplanten Rückflug des von den Bayern gecharterten Airbusses nach München. Jürgen Klinsmann, so war es vereinbart, sollte sich noch einmal äußern über das 0:4 vom Vorabend beim FC Barcelona, über das „Fürchterlichste, was ich jemals vom FC Bayern gesehen habe“ wie Präsident Franz Beckenbauer noch an Ort und Stelle gesagt hatte.
Pressesprecher Markus Hörwick geleitete Klinsmann, in die Lounge, in der zig Kamera-Teams und Reporter auf den Trainer warteten. Blass sah er aus und das sonst laut und kraftvoll ausgesprochene „Guten Morgen!“ erklang aus seinem Mund traurig. Jegliche Kraft, jegliche Power – manchmal übertrieben, manchmal mitreißend – schien aus seinem Körper gewichen. Er sprach bedacht, aber relativ leise. Ganz so, als wolle er nicht einmal er selbst seinen Worten Glauben schenken. Seine Mimik hatte er beinahe komplett ausgeschaltet wie die Stummtaste der TV-Fernbedienung. Klinsmann war ganz Profi. Nur nichts Unüberlegtes, nur nicht provozieren lassen – wohl wissend, dass die Bosse aus dem Vorstand um Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß ein paar Hundert Meter weiter an Gate 41die Zukunft des Trainers diskutierten.
Klinsmann sprach kämpferische Worte mit einer verzweifelten Attitüde, als würde ein Finanzexperte derzeit den Aufschwung herbeireden wollen. Wenigstens die Analyse der Leistung seiner Mannschaft war klar und schonungslos: „Das Ergebnis und unsere Vorstellung waren sehr enttäuschend. Die erste Halbzeit war eine Demontage, uns wurden die Grenzen in jedem Bereich deutlich aufgezeigt. Wenn gegen so eine Mannschaft nicht alles passt, kommt so eine erste Halbzeit raus. Das schmerzt, das ist klar.“ Er sprach von Frust und einem „Stachel, der tief sitzt“. Klinsmann ist verwundet – nach neun Gegentoren in zwei Spielen (nimmt man das 1:5 in der Bundesliga vom Samstag beim VfL Wolfsburg hinzu) hat er seinen Optimismus verloren. Zumindest, den nicht-stereotypen, diese US-amerikanische Leichtigkeit.
Szenen einer Ehe, einer Ehe, die zum Scheitern verurteilt ist. „Ich denke, dass ich die Mannschaft sehr wohl noch erreiche“, versuchte der 44-Jährige zu verkaufen, „es ist normal, dass ein Trainer nach solchen Niederlagen Kritik einstecken muss. Das ist nicht angenehm, aber es gehört dazu, sich der Kritik zu stellen. Die Zeit wird knapp, wenn ein paar Niederlagen kommen, aber ich bin ein Kämpfer, ich sage mir: Helm auf und durch.“
Es ist seine vierte Krise, seit er im Juli 2008 den Job übernahm – drei hat er überstanden. Die vierte hängt wohl an der Partie am Samstag in der Allianz Arena gegen Eintracht Frankfurt (Live-Ticker auf abendzeitung.de). Acht Spiele sind es noch bis Saisonende, für den Coach könnte es das letzte sein. „Es ist eine klare Konstellation entstanden. Wir müssen jetzt zusammenhalten und uns voll auf die Bundesliga konzentrieren“, sagte er. Nach vorne schauen, ein paar Gewinn-Prognosen abgeben – zu mehr war er nicht in der Lage. Klinsmann: „Es ist nicht einfach, das Spiel zu verarbeiten, aber wir müssen die drei Punkte Rückstand aufholen und alles geben, um deutscher Meister zu werden. Es steht viel auf dem Spiel, der Fokus ist jetzt auf die Meisterschaft gerichtet, dafür muss die Mannschaft alles geben. Die Champions League müssen wir auf nächstes Jahr verlegen.“
So einfach aber ist das nicht. Klinsmann kann vielleicht schnell verdrängen, was passiert ist – die Vereinsbosse werden es nicht. Als Karl-Heinz Rummenigge beim Mitternachts-Bankett der Bayern-Mannschaft und -Funktionäre mit Sponsoren und Edel-Fans im Mannschafts-Hotel „Rey Juan Carlos“ das Mikrofon ergriff, herrschte betretenes Schweigen. Angestellte des Hotels, des Deutschen nicht mächtig, mussten glauben, es handele sich um eine Trauerrede.
Rummenigge: "Ich habe Udo Lattek weinen sehen"
„Wir haben ohne Zweifel heute gemeinsam eine sehr bittere Stunde erlebt in Barcelona“, begann Rummenigge und fuhr fort: „Ich möchte da gar nicht um den heißen Brei herum reden, das war ohne Frage eine große Blamage, was wir hier heute Abend erlebt haben. Ich muss ehrlich sagen: ich weiß nicht, was ich mehr bin - schockiert, traurig oder wütend über das, was wir heute Abend hier gesehen haben.“ Er hielt die Rede am Tisch der Bosse, auch Klinsmann saß dort, wohlwissend, dass er der Verantwortliche für das Desaster war. Auch Udo Lattek, Bayern-Trainer in den 70er und 80er Jahren, war unter den Bankettgästen. Ihn erwähnte Rummenigge explizit: „Ich habe unseren alten Freund Udo Lattek in der Halbzeit gesehen: Er hat geweint. Ich weiß nicht, ob es Tränen der Wut oder Tränen der Traurigkeit oder Trauer waren. Aber es war signifikant für das, was wir heute Abend leider hier gesehen haben. Ich muss mich bei allen, die dem FC Bayern nahe stehen, entschuldigen, das ist ein ganz bitterer Moment, den wir heute Abend erleben.“
Als letztes erklärte er noch das Buffet für eröffnet. Wenigstens eine gute Nachricht. Klinsmann rührte es nicht an.
Patrick Strasser