Interview

Klaus Fischer im AZ-Interview: "An Müllers Stelle würde ich nicht mehr für Deutschland spielen"

Exklusiv in der AZ spricht der frühere Angreifer von Schalke 04 über Lewys Rekordjagd, die deutsche Stürmerkrise und Thomas Müller: "An seiner Stelle würde ich nicht mehr für die Nationalelf spielen."
von  Maximilian Koch
Robert Lewandowski könnte den ewigen Tor-Rekord von Gerd Müller knacken.
Robert Lewandowski könnte den ewigen Tor-Rekord von Gerd Müller knacken. © imago images/LaPresse

München - Klaus Fischer im AZ-Interview: Der 71-jährige Ex-Stürmer liegt mit 268 Treffern auf Platz zwei der ewigen Bundesliga-Torjägerliste. Er spielte unter anderem für den TSV 1860 und Schalke 04.

AZ: Herr Fischer, Bayern-Stürmer Robert Lewandowski liegt nun bei 31 Saisontoren in der Bundesliga, nur neun Treffer fehlen ihm zur 40-Tore-Bestmarke von Gerd Müller. Schafft er es?
KLAUS FISCHER: Ich bin überzeugt, dass er 40 Tore oder sogar mehr schießt, wenn er verletzungsfrei bleibt. Zehn Spiele bleiben ihm ja noch. Ich hätte nie gedacht, dass Gerd Müllers Bestmarke tatsächlich mal in Gefahr gerät. Das ist wirklich unglaublich, eine großartige Leistung von Lewandowski. Er schafft es.

In der ewigen Bundesliga-Torschützenliste liegt Lewandowski mit 267 Treffern noch ein Tor hinter Ihnen. Sind Sie traurig, wenn er demnächst vorbeizieht auf Platz zwei?
Sein 268. Tor wird er wahrscheinlich schon am Samstag beim Spiel in Bremen erzielen. Ich kann gut damit leben, dass er mich auf Platz drei verdrängt. Platz eins wird er aber wohl nicht mehr schaffen. Zu den 365 Toren von Gerd Müller fehlen Lewandowski noch fast 100, und er wird dieses Jahr 33 Jahre alt. Er ist zwar topfit, aber dieser Rekord ist in weiter Ferne.

Fischer: Heutzutage haben es die Stürmer teilweise leichter

War es früher eigentlich leichter oder schwerer, so viele Tore zu schießen?
Du brauchtest früher wie heute eine super Mannschaft, um so oft zu treffen. Das war bei Gerd Müller nicht anders als bei Lewandowski. Zu meiner und Gerds Zeit hattest du über 90 Minuten Zweikämpfe, es wurde immer Mann gegen Mann gespielt. Das hat sehr viel Kraft gekostet. Heute haben die Stürmer mehr Freiheiten.

Wie meinen Sie das genau?
Ich frage mich schon: Warum kommt kein Trainer auf die Idee, gegen einen Topstürmer wie Lewandowski Manndeckung zu spielen? Ich würde gern mal sehen, wie sich Lewandowski dann verhält, er ist das nämlich nicht gewohnt. Bei Erling Haaland ist es genauso. Wenn du solchen Topspielern Raum lässt, hast du keine Chance.

Klaus Fischer mit seiner Frau Margit.
Klaus Fischer mit seiner Frau Margit. © firo Sportphoto

Also hatten Sie und Gerd Müller es doch etwas schwerer.
(lacht) Ich wusste jedenfalls genau, was auf mich zukommt. Wenn wir gegen den VfB Stuttgart gespielt haben, wusste ich, dass mich Karlheinz Förster das ganze Spiel verfolgen wird. Wenn wir gegen den FC Bayern gespielt haben, hat mich Katsche Schwarzenbeck 90 Minuten bearbeitet und nie aus den Augen gelassen. Zusätzlich gab es auch noch einen Libero. Da musste ich mir vor den Spielen überlegen, wie ich mich durchsetzen kann.

Wäre Haaland der passende Lewy-Nachfolger?

Sie haben Dortmund-Stürmer Erling Haaland erwähnt. Wäre er der passende Lewandowski-Nachfolger bei Bayern?
Man muss immer sehen, wie ein Spieler seine Tore erzielt. Haaland ist einer, der Raum braucht. Er ist ein Gewaltspieler, ein Kraftpaket mit einem wahnsinnig guten linken Fuß. Sein rechter Fuß und sein Kopfballspiel sind aber noch schwach, daran muss er arbeiten. Wenn er das permanent trainiert, kann er als Lewandowski-Nachfolger in Frage kommen. Bei Bayern hast du nicht den Raum, weil die Gegner tief in der eigenen Hälfte stehen. Lewandowski ist aktuell der deutlich komplettere Spieler, er hat keine Schwächen.

Mit Lewandowski und Haaland dominieren zwei ausländische Angreifer die Liga. Wann gibt es mal wieder einen deutschen Stürmerstar?
Die Suche nach einem deutschen Topstürmer ist vergleichbar mit der Mars-Mission der Nasa. Deutschland hat es über Jahre versäumt, diesen Spielertypen auszubilden. Das fängt in ganz jungem Alter an. Als Stürmer musst du schnell sein, beidbeinig schießen können und das Kopfballspiel beherrschen. Der letzte ideale Mittelstürmer war Miroslav Klose. Und ich glaube nicht, dass ich einen wie ihn noch erleben werde. Das ist schade. Denn ohne echten Mittelstürmer gewinnst du nichts. 2018 in Russland sind wir auch deshalb in der WM-Vorrunde ausgeschieden.

"Der letzte ideale Mittelstürmer": Miroslav Klose.
"Der letzte ideale Mittelstürmer": Miroslav Klose. © picture alliance / Ges/Markus Gilliar/GES/DFB/Gilliar/Pool/dpa

Immerhin scheint Bundestrainer Joachim Löw Thomas Müller zurückzuholen.
Der spielt aber auch nicht gern ganz vorne als zentrale Spitze. Serge Gnabry, Leroy Sané und Timo Werner genauso wenig. Das sind Außenstürmer mit viel Tempo. Dass Müller in die Nationalelf zurückkehren muss, steht außer Frage. Wie konnte Löw das 2019 nur machen? Wenn Spieler wie Müller, Mats Hummels oder Jérôme Boateng mal eine Formschwäche haben, kann ich ihnen eine Pause geben. Kein Problem. Aber sie komplett streichen? Nein. Wenn solche Spieler ihre Form wiedergefunden haben, gehören sie in die Nationalmannschaft. Da müssen die Besten spielen. Diese Maßnahmen sprechen nicht gerade für die Qualität des Bundestrainers. Und Löw hat die Quittung dafür bekommen, sein Team gehört nicht mehr zur Weltspitze. An Müllers Stelle würde ich nicht mehr für Deutschland spielen. Ich hätte den Stolz, Nein zu sagen.

Fischer glaubt nicht mehr an Klassenerhalt von Schalke

Zum Abschluss: Haben Sie noch ein Fünkchen Hoffnung, dass Schalke in der Bundesliga bleibt?
Ich hätte es unheimlich gern, dass Schalke die Klasse hält, aber daran glauben kann ich nicht. Schalke fehlen Fitness und Qualität. Und wenn jemand glaubt, dass man automatisch wieder aufsteigt, liegt er falsch. Es gibt genügend Beispiele wie den HSV, die zeigen, dass der direkte Wiederaufstieg unheimlich schwierig ist. Schalke gehört in die Bundesliga, aber von Tradition allein kannst du nicht leben.

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