King Louis, der Macht-Haber

Louis van Gaal ist der 17. Bundesliga-Trainer des FC Bayern – keiner vor ihm hatte eine solche Machtfülle; er gilt auch in der Krise als sakrosankt. Doch das Denkmal bekommt erste Kratzer.
MÜNCHEN Trainer beim FC Bayern ist kein 08/15-Job. Seit Tschik Cajkovski und „kleines dickes Müller“ aus der Regional- in die Bundesliga marschierten, hat der Klub die unterschiedlichsten Typen erlebt. Doch keiner von ihnen hatte eine solche Machtfülle wie der aktuelle Coach.
Bis auf wenige Ausnahmen (Erich Ribbeck, Reinhard Saftig) saßen immer markante Charaktere auf der Bayern-Bank. Da war Branko Zebec, der Bayern zum ersten Meistertitel seit 1932 verhalf und dabei nur 13 Spieler einsetzte. Udo Lattek mit seinem blauen Glücks-Pullover. Dettmar Cramer, dessen Qualitäten man erst erkannte, als man ihn hinauskomplimentiert hatte. Gyula Lóránt, der Klaus Augenthaler gerne mal „Gurkenthaler“ nannte. Oder Pál Csernai, dessen Installation Vereinspräsident Wilhelm Neudecker damals zum Rücktritt bewog.
17 Trainer leiteten bislang die Geschicke des Bundesligisten. Manche waren zwei Mal da: Udo Lattek, Giovanni Trappatoni, Franz Beckenbauer, Jupp Heynckes, Ottmar Hitzfeld. Ein derart ausgeprägter Machtmensch wie Louis van Gaal war noch nicht dabei.
Seit dem nicht gerade störungsfreien Aufgalopp im vergangenen Herbst hat der Niederländer alles richtig gemacht, sagen die Bayern-Bosse. Meisterschaft gewonnen, den DFB-Pokal, fast auch noch die Champions League – und die Herzen der Fans, Stichwort Feierbiest.
Das alles schaffte er gleich im ersten Jahr. Und jeder dachte, dass das so weitergeht. Nach sieben Spieltagen ist klar: Es ging nicht so weiter. Und wenn man Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge nach dem 0:2 in Dortmund zuhört, ist klar: So kann es auch nicht weitergehen. Nur: Dem Trainer geben sie keine Schuld an der Misere. Louis van Gaal ist sakrosant.
Fast der komplette Trainer- und Betreuerstab ist mit seinen Landsleuten besetzt, und man kann davon ausgehen, dass selbst die Maulwürfe an der Säbener Straße – wenn es denn welche gäbe – einen niederländischen Pass hätten.
Van Gaal kam zu einer Zeit, als der Verein im Umbruch begriffen war. Der ewige Franz Beckenbauer wurde nach zahllosen verbalen Querschlägen ins Ehrenpräsidentenamt weggelobt. Neu-Präsident Uli Hoeneß verordnete sich selbst weitgehende Medienabsenz und kümmert sich nun auch mal um andere Dinge (Basketball, Dominik-Brunner-Stiftung, Nürn-Burger). Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge konnte oder wollte sich mit dem Wunsch nach Kaderauffrischung nicht durchsetzen. Und Sportdirektor Christian Nerlinger ist eben Christian Nerlinger: kein Vertreter der „Abteilung Attacke“.
Das übernahm dann doch wieder Hoeneß selbst. Seine jüngste Analyse der Krise stellte die Unfehlbarkeit van Gaals indirekt in Frage. Und Beckenbauer franzelte: „70 Prozent Ballbesitz und der ganze Käse – was soll das?“ Erste Kratzer am Denkmal.
In diese Gemengelage platzt die Nachricht von einer Buchpräsentation. Heute stellt van Gaal die deutsche Übersetzung seines Werks „Biographie & Vision“ vor. Der Verlag zitiert einen Ausschnitt: „Wenn die Elf schlecht spielt, brauche ich auch nicht zu gewinnen. Dann sind Tränen besser als gewinnen.“ Da dürften die Meinungen auseinander gehen.
Thomas Becker